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Tanz auf dem Vulkan

Don’t try steht auf dem Grabstein von Charles „Hank“ Bukowski in San Pedro. Heißen könnte das beispielsweise „Versuch erst gar nicht, besser als ich zu sein“ und würde gut zu dem amerikanischen Kult-Autor passen. Eine ganze Generation von Schriftstellern hielt sich nicht daran, sondern imitierte ihn mehr schlecht als recht, ohne Sprache und Inhalt je zu erreichen. Bis heute polarisiert seine schmutzig-derbe Poesie.

Auch Ali Eskandarian ist tot. Er wurde 35 Jahre alt. Vor drei Jahren fiel er einem Amoklauf in Brooklyn zum Opfer. Zuvor stellte er ein Manuskript fertig, das beim Berlin-Verlag unter dem Titel Die goldenen Jahre veröffentlicht wurde.

„Seine ärztlichen Ansichten waren uns heilig. Nicht nur sein absolutes und enzyklopädisches Wissen über After und Schließmuskel waren uns von Nutzen, nein, auch wegen all unserer Beschwerden suchten wir ihn auf. Herr Doktor, mir tut da hinten der Zahn so weh … He, Doc, können Sie sich das mal ansehen, ja, da am Schniedel …“ Die ruppige Sprache erinnert sehr schnell an Bukowski, auch wenn Übersetzer Robin Detje glaubt, nachschärfen zu müssen, indem er sich zahlreiche Amerikanismen gönnt. Überflüssig. Eskandarian war kein Bukowski-Imitat oder -Imitator. Er war mehr. Er war so etwas wie die Reinkarnation des alten Hank. In dem rund 200 Seiten starken Roman vermeidet der im Iran geborene Musiker eine durchgehende Handlung. Konzentriert sich auf Episoden, auf assoziatives Schreiben – und die üblichen Themen: Sex, Drogen und Musik.

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Was ist an einer „Wiedergeburt“ im Literarischen interessant? Eskandarian zeigt, was über den Tag hinausreicht. Er schafft Vergleichbarkeit. Und so lernen wir 40 Jahre nach Post Office – im Deutschen Der Mann mit der Ledertasche – dass sich im Wesen des Menschen nichts geändert hat, er aber an der zugenommenen Komplexität scheitern wird. Nicht der Fortschrittsglaube bringt die Menschheit auch nur einen Millimeter weiter, sondern es sind ihre Träume, das Ringen um wahrhafte Glückseligkeit, die nichts, aber auch gar nichts mit Geld zu tun hat.

„Du bist irdisch und trägst das Göttliche in dir wie alle anderen auch. Also fürchte dich nicht, vergib dir selbst und bleibe verrückt. Das Licht wartet nicht am Ende des Tunnels, es ist immer und überall.“ Ist es so, dass wir alle für eine Aufgabe in diese Welt geboren werden, die wir zu erfüllen haben, auch wenn wir erst im Nachhinein wissen, welche es war? Und dass wir dann gehen müssen, egal, wie alt wir geworden sind? Wir wissen das nicht. Aber nach der Lektüre dieses Buches darf man sich das fragen. Und vielleicht ist das sogar eine tröstliche These.

Die goldenen Jahre allerdings gab es für Eskandarian nicht, weder in seiner Kindheit im Iran, von der er ansatzweise erzählt, noch in einem Amerika, das ihn nicht wollte, so wenig, wie es sie in den 1920-er oder in den 1950-er Jahren gab. Und heute sind wir weiter davon entfernt denn je. Vielleicht sollten wir uns gerade deshalb mit der Lektüre dieses Buches auseinandersetzen.

Michael S. Zerban