Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Sympathische Maestri

Das Gespräch, neudeutsch Interview, ist und bleibt neben der Recherche das wichtigste Arbeitsinstrument des Journalisten. Unglücklicherweise wurde und wird es bis heute auch als journalistische Erscheinungsform in verschriftlichter Form gelehrt und praktiziert. Völlig überraschend feiert es gerade im multimedialen Zeitalter fröhliche Urständ. Das ist schwer verständlich, weil man erwarten sollte, dass sich Journalismus um höchstmögliche Authentizität bemühen will. Gewiss, das verschriftlichte Interview ist die schnellstmögliche, fantasieloseste und arbeitsärmste Erscheinungs- und Verbreitungsform. Das hoffentlich wenigstens tatsächlich geführte Gespräch wird niedergeschrieben, geglättet und gehübscht – es gibt Medien, die diese Version dann noch einmal dem Gesprächspartner zur „Freigabe“ vorlegen, was oft genug weitere Modifikationen bewirkt – um es dann mit wenig Aufwand zu veröffentlichen. Von PR-Arbeitern wird diese Erscheinungsform hochgeschätzt, bleibt doch so am ehesten die Kontrolle gewahrt. Dass eine solche Publikation frei von Emotion, Spontaneität und Persönlichkeit ist, hätte spätestens im digitalen Zeitalter aus qualitativer Sicht adhoc zum Verschwinden verschriftlichter Interviews führen müssen. Stattdessen werden sie hier als scheinbar legitime Form weiter betrieben – bar jeder journalistischen Reflexion. Es liegt am Rezipienten, dieses Faulenzer-Gehabe abzustrafen und solche Publikationen schlicht nicht mehr zur Kenntnis zu nehmen.

Ganz anders verhält es sich bei Buchveröffentlichungen. Nicht, dass hier das – fiktive – Gespräch zwangsläufig an Spannung zunähme. Und oft genug stellt sich auch heraus, dass der Befragte nicht ausreichend Substanzielles für 100 oder gar 200 Seiten zu sagen hat. Aber dann ist es eben ein langweiliges Buch und weiter nichts. Schließlich hat das Buch keine journalistischen Ansprüche. Bei einem „guten“ Buch wird der Autor sich wenigstens bemühen, die Antworten mittels Begleittext einzuordnen und einen dramaturgischen Spannungsbogen aufzubauen.

Und hin und wieder kann es vorkommen, dass Lektor und Autor sich Gedanken darüber machen, wie man mit dieser Publikationsform neue und interessantere Wege beschreiten kann. Einverstanden, das ist selten. Aber es kommt vor. Bei Styria premium erscheint jetzt Die Weisheit der Götter – Große Dirigenten im Gespräch. Auf rund 220 Seiten befragt Rupert Schöttle 25 Dirigenten, nachdem er Lebenswege und Verdienste vorgestellt hat. Was daraus nicht die übliche PR-Tour macht, die dem Befragten nur die erwünschten Fragen stellt, ist die kluge Idee, allen Dirigenten die gleichen Fragen zu stellen – und die Antworten damit vergleichbar zu machen. Dabei ist, wie sich zeigt, gar nicht die Qualität der Fragen von so hoher Bedeutung. „Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten Sie sich treffen und was würden Sie ihn fragen?“ ist mindestens so – wenig – bedeutsam wie „Welche drei Dinge würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“. Gerade die Allgemeingültigkeit dieser Fragen macht aus den Antworten etwas Besonderes.

POINTS OF HONOR
Buchidee
Stil
Erkenntnis
Preis/Leistung
Verarbeitung
Chat

Immer sind sie entlarvend. In alle Richtungen. Nicht jeder Mensch, dem eine besondere Aura unterstellt wird, oder um es vielleicht krasser auszudrücken, dessen Öffentlichkeitsarbeit hervorragend funktioniert, ist in der Lage zu intelligenten Antworten auf für ihn ungewöhnliche Fragen. Da wird es schon mal banal. Zugegeben, nicht banal genug, als dass ein echter Fan ihm diese Antwort nicht noch als Glaubensbekenntnis abnähme. Aber es gibt auch die Antworten, die geeignet sind, die Zukunft der Musik zu bestimmen.

Damit ist auch schon das Spektrum ausgebreitet, das Schöttle mit seiner Arbeit bietet. Angefangen mit den Kurzbiografien, die auch Einsteigern einen leichten Zugang bieten, über Antworten, bei denen man sich fragt, ob hier möglicherweise – neben ihren musikalischen Fähigkeiten – doch nicht ganz so große Genies am Werk sind bis hin zu wirklich weisen Antworten, die dem Titel des Buches gerecht werden. Gleichwohl darf man nach der Ironie des Titels fragen.

Letztlich ist ein außerordentlich unterhaltsames und lehrreiches Buch entstanden, das kurzweilig Aureolen entfernt und aus Dirigenten sympathische Mitmenschen macht, mit denen man gern mal einen Abend verbringen möchte, um sie nach dem einen oder anderen zu befragen.

So kann man gerne verschriftlichte Interviews verwenden.

Michael S. Zerban