Kulturmagazin mit Charakter
DVD
DV8, der Name des sich für jede Produktion neu zusammensetzenden Ensembles um den Choreografen Lloyd Newson leitet sich ab von Dance und Video 8. Bei letzterem handelt es sich um eine technische Entwicklung im Videoproduktionsbereich der 1980-er Jahre, die es Künstlern wie Lloyd Newson ermöglicht, zu einem erschwinglichen Preis die eigenen Produktionen auf Video festzuhalten. Jedoch kann die Videotechnik mehr leisten, als „nur“ ein Bühnenstück für die Nachwelt zu konservieren.
So beginnt Newson bei der Kameraadaption seiner Bühnenstücke zu experimentieren und schöpft das erzählerische Potenzial des Videobildes mit aus. Er verlässt die Bühne und arrangiert seine Stücke in Fernsehsets, auf der Straße oder in einer Kneipe, je nachdem, was es bedarf, um seine Botschaft zu vermitteln. Newson hat dem Argument, dass Tanz im Film oder Fernsehen nicht ansehbar sei, mit seinen Produktionen Paroli geboten. Dabei sind seine Choreografien weit entfernt vom korrekten und erhabenen klassischen Tanz, denn DV8 beinhaltet auch ein Wortspiel: deviate bedeutet abweichen und genau das beschreibt die inhaltliche Arbeit des Ensembles: Bei DV8 wird der menschliche Körper als radikales Ausdrucksmittel eigesetzt, die Tänzer sind zu gleichen Teilen Schauspieler, Darsteller oder neudeutsch: Performer. Es sind Menschen am Rande der Gesellschaft, die von der Norm abweichen und anders sind.
Wie in den Bühnenstücken gelingt es DV8 auch in den Videoproduktionen, eine Sogwirkung zu entfalten, die den Zuschauer in ihren Bann zieht. Nicht nur die Optik der Produktionen ist ansprechend, sondern mehr noch die psychologisch-spannungsreichen Dramen, die entfaltet werden. Es sind Themen aus der realen Welt, die hier schonungslos verhandelt werden.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Tanz | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Choreografie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Kamera | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Ton | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Dead Dreams of Monochrome Men von 1990 basiert auf der Geschichte eines Mannes, der im London der 1970-er Jahre 15 Männer tötete, von denen jedoch nur zwei als vermisst gemeldet wurden. In der Videoproduktion sind vier Männer in homoerotischen Verstrickungen zu erleben, die ebenfalls in Morden enden. Inszenierung und Kameraführung erinnern an Alfred Hitchcock, den Meister der atmosphärischen Spannung, ohne hierbei den Tanz zu vernachlässigen. Strange Fish von 1993 hingegen spielt auf humorvolle Weise mit den Wünschen und Ängsten zweier Menschen, die Freundschaft und Intimität suchen, jedoch auf Ablehnung und Grenzen stoßen. Eine grandiose Szene, die auch gänzlich Tanzuninteressierte zum Schmunzeln bewegen dürfte, findet sich in der Mitte des 50-Minüters: Der Darsteller Nigel Charnock platzt in eine Stehparty, redet sich um Kopf und Kragen, um hiernach die Anwesenden zu umarmen und zu herzen. Doch alle Umherstehenden flüchten sich in die Arme des Nächstbesten, um seinen Umarmungen zu entgehen. Hieraus entsteht eine intelligente Choreografie, an deren Ende Charnock alleine zurück bleibt und konstatiert: Es gibt keinen Grund, alleine zu sein.
Enter Achilles von 1995 spielt mit männlichem Verhaltenskodex in einem britischen Pub. Ein einzelner Mann tritt der Gruppe hinzu, ohne sich in deren Rituale einzufügen. Ein Konflikt entsteht und wird auf mehreren Ebenen ausgetragen. Bewegend ist die Szene direkt zu Beginn des Films, in dem ein Darsteller es vorzieht, mit seiner Gummipuppe intim zu werden, statt den Anruf einer Frau zu beantworten. In Enter Achilles wechseln sich heitere und unendlich beklemmende Szenen ab, die noch lange danach im Gedächtnis haften bleiben.
Allen drei Produktionen ist gemeinsam, dass sie menschliche Abgründe offenlegen und erforschen. DV8 Physical Theatre hält dem Zuschauer einen Spiegel der Gesellschaft vor, der von präzisen Beobachtungen des menschlichen Miteinanders nur so wimmelt. Ihre Bildsprache ist teilweise hart, direkt und alles andere als leichte Kost für laue Sommerabende. Doch dem geneigten Zuschauer offerieren alle drei Produktionen spannungsvolle Einblicke in die Psyche des Menschen mittels Tanz, Sprache und Bild.
Die DVD bietet zwar eine Sprachauswahl im Menu an, jedoch hat das keine erkennbare Auswirkung auf die Filme. In allen dreien sprechen die Darsteller Englisch, wobei der Einsatz von Sprache nur punktuell erfolgt. Das beigefügte Booklet ist ebenfalls in englischer Sprache abgefasst und bietet komprimierte Informationen.
Jasmina Schebesta