Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

DVD

Alles nur Theater

Mozarts Don Giovanni bleibt ein Phänomen und auf dem DVD-Markt ein konsequenter Garant für Neuerscheinungen. Daher ist der Markt mittlerweile mit dem Verführer so übersättigt, dass man schon genau überprüfen muss, welche Aufnahme nun wirklich das gewisse Extra für den jeweiligen Käufer bereithält. Da tut sich die von der Deutschen Grammophon veröffentlichte DVD aus der Mailänder Scala etwas schwer. Denn Regisseur Robert Carsen legt ein recht beliebiges Konzept vor, das nun wirklich nicht neu ist. Noch schwerer wiegt der Umstand, dass der Regisseur schon öfters zu dem Interpretationsansatz, Theater auf dem Theater, gegriffen hat. Auch beispielsweise Hoffmanns Erzählungen in Paris siedelt er in der Theaterwelt an.

Dabei ist der Auftakt durchaus vielversprechend, wenn Don Giovanni zu den ersten Akkorden der Ouvertüre den berühmten roten Vorhang der Scala hinabreißt und dem Publikum einen portalhohen Spiegel vorhält. Dass dieser immer wieder im Laufe der Vorstellung zum Einsatz kommt, soll wohl ein dezenter Hinweis sein: Schaut hinein, hier findet sich jeder wieder. Bühnenbildner Michael Levine kann im Folgenden das komplette Theater-Register ziehen: Vorhänge zum Verschieben hier, gewaltige Versenkungen dort. Wie sich das Bühnenbild aufbaut, mit der Lichtregie von Carsen und Peter van Praet verbindet, um sich dann wieder selbst zu entzaubern, ist schon wirklich sehenswert.

Das Ganze geschieht natürlich auf Anweisung des Hausherrn. Don Giovanni zieht in diesem Theater wie ein Phantom der Oper die Fäden. Wenn er sich seinen Verfolgern entziehen möchte, heißt es nur Licht aus, Vorhang zu – und der zufallende Vorhang entwaffnet seine Widersacher. Alle, inklusive der Zuschauer, sind Giovannis Laune ausgesetzt. Dementsprechend sind auch die Kostüme von Brigitte Reiffenstuel ausgewählt. Von Abendgarderobe bis zu opulenten Ballkleidern ist die Palette zwar recht klein, aber immerhin sehr ansehnlich. Giovannis Dienerschar sind Bühnenarbeiter im entsprechenden Outfit, angeführt vom Oberbutler, Inspizient Leporello. In diesem Ambiente kann hemmungslos mit Masken und Verkleidung gearbeitet werden. Alles in allem ist das nicht neu oder originell, aber immerhin setzt Carsen seine Arbeit bis zum Schluss konsequent um. Selbst im zweiten Akt bricht der Spannungsbogen nicht ein, sondern hält bis zum Finale durch.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Kamera
Ton
Chat-Faktor

Video-Regisseurin Patricia Carmine fängt diese recht bildgewaltige Aufführung sehr geschickt ein: Nahaufnahmen und Bühnentotale stehen im guten Verhältnis zueinander. Wie es sich gehört, ist auch der Ton zufriedenstellend, so dass die Mailänder Scala ein Ensemble aufbieten kann, das der Saisoneröffnung am 7. Dezember 2011 angemessen scheint. Der musikalische Leiter, Daniel Barenboim, eröffnet, wie es sich gehört, mit der italienischen Hymne. Sein Mozart klingt fast ganz ähnlich. Für heutige Verhältnisse wird die Oper durch das Orchester der Scala ungewöhnlich breit und romantisch aufgeführt. Das darunter spielende Cembalo soll wohl historische Aufführungspraxis simulieren. Natürlich weiß das Orchester der Scala, wie es einen schönen Mozart spielen kann, doch fehlt vom Pult aus der letzte Funke, der die Musik von der Begleitung zum gleichberechtigten Partner erheben würde.

So bleibt es bei den Sängern, für Emotionen zu sorgen. Auch wenn diese hochkarätigen Namen nicht durchgehend zu einem homogenen Ensemble verschmelzen, werden die Rollen sehr ausdrucksstark dargeboten. Nur Giuseppe Filianoti bleibt als Don Ottavio darstellerisch und vokal etwas steif. Eine würdige Erscheinung ist Kwangchul Youn als Commendatore. Štefan Kocán ist auf anderen Bühnen ebenfalls als Komtur unterwegs, hier gibt er einen einschüchternden, aber auch naiven Masetto. Eine erfreulich selbstbewusste und aufmüpfige Zerlina wird von Anna Prohaska gezeigt, die schön und frech aufsingen kann. Das Vibrato von Barbara Frittoli ist schwerer geworden, doch die versierte Künstlerin singt die Donna Elvira immer noch mit viel Stilgefühl. Wie sie ist auch Anna Netrebko eine leidenschaftliche Darstellerin. Die Donna Anna ist seit ihrem Durchbruch in Salzburg ein Markenzeichen der Sopranistin, und man merkt in ihrer Darstellung auch, warum. Nachdem sich Bryn Terfel von seinem animalischen Don Giovanni verabschiedet hat, kehrt er zurück zu seinen Wurzeln: Den tapsigen, unbeholfenen Leporello, den er mit seinem etwas rauen Bass-Bariton würzt. Doch Peter Mattei stellt sie alle in den Schatten: Wie ein frecher Kater stromert er über die Bühne. Sein Bariton ist einerseits autoritär fokussiert und besitzt andererseits einen butterweichen Kern, um verführerisch flirten zu können. Der große Wermutstropfen: Wieder einmal lässt es sich ein Label entgehen, solche versierten Sänger den Zuschauern zuhause eingehender vorzustellen. Keine Interviews, keine Backstages – wirklich einfallslos.

Vom Publikum der Scala gibt es für die Sänger viel, sehr viel Beifall, viele bravi-Rufe. Besonders Terfel, Netrebko und Mattei werden gefeiert. Dagegen müssen Robert Carsen und sein Team auch ein bisschen Kritik einstecken.

Christoph Broermann