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Psychogramm eines Außenseiters


Am 28. Februar wird die Oper "Bahnw�rter Thiel" am Theater G�rlitz uraufgef�hrt. Der Komponist Enjott Schneider vertonte Gerhard Hauptmanns gleichnamige novellistische Studie. Zusammen mit Julia Cloot verfasste er auch das Libretto. Im Backstage-Interview beantwortet Dramaturg Peter Biermann Fragen zu den Hintergr�nden der Produktion.


Opernnetz: Hauptmanns Drama ist naturalistisches Sozialdrama � und damit anachronistisch. Was ist f�r Sie die �Botschaft� der Oper?

Peter Biermann: Wir haben es in der Oper wie schon in Hauptmanns novellistischer Studie mit Archetypen zu tun. Bahnw�rter Thiel, B�chners Woyzeck nicht un�hnlich, ein �u�erlich robuster, seinem Wesen nach jedoch eher verletzlicher Mann, wird seiner starken (zweiten) Frau Lene sexuell h�rig und am Ende an ihr und dem gemeinsamen Kind zum M�rder. Ausl�ser der Wahnsinnstat ist der von Lene durch Nachl�ssigkeit verschuldete t�dliche Unfall des kleinen Tobias, Thiels Sohn aus erster Ehe. Um diesen schw�chlichen Jungen, dessen zarte Mutter im Kindbett gestorben ist, versorgt zu wissen, hatte Thiel �berhaupt zum zweiten Mal geheiratet. Hin- und hergerissen zwischen den so unterschiedlichen Frauen - der Toten, die ihm in Visionen erscheint und der Lebenden - zwischen Altgewohntem und Neuem, Vertrautem und Unfassbarem, zwischen G�te und Scham, Moral und Sex verliert der W�rter auf seinem einsamen Posten an der Bahnlinie Berlin-Breslau den Verstand.

Opernnetz: Welche Bedeutung hat die Musik Enjott Schneiders f�r eine zeitgem��e Umsetzung des Dramas?

Biermann: Die Stoffwahl fiel ganz bewusst auf kein Drama Hauptmanns, sondern auf diese fr�he Novelle. Enjott Schneider zeichnet mit postmodernen kompositorischen Mitteln in acht Bildern das Psychogramm eines Au�enseiters, der zum M�rder wird. Er konfrontiert Thiel mit dem Glauben, mit den Abgr�nden in sich selbst, mit der Frau, mit der Dorfbev�lkerung und - in sinfonischen Tableaux - mit der m�rkischen Kiefernheide und der immer wieder pr�senten Bahnlinie, die sie durchschneidet.

Opernnetz: Welche Rolle spielt das Musiktheater in G�rlitz und umgebender Region � und wie sch�tzen Sie die Reaktion Ihres Publikums ein?

Biermann: Das Musiktheater Oberlausitz/Niederschlesien, bis 1988 noch das mehrspartige Gerhart-Hauptmann-Theater G�rlitz, erweist dem niederschlesischen Literaturnobelpreistr�ger seine Reverenz. Das �stlichste Theater der BRD, seit seiner Restaurierung liebevoll "Kleine Semperoper" genannt, steht links der Nei�e, im deutschen Teil der Europastadt G�rlitz/Zgorzelec, neuerdings hat es auch eine zus�tzliche kleine Spielst�tte im polnischen Teil. Kooperationen mit polnischen und tschechischen B�hnen, der grenz�berschreitende Dialog und polnische neben den osts�chsischen Besuchern sind dem Theater wichtig. Opernauff�hrungen werden �bertitelt. Eine Ausstellung des Museums Dom Gerharta Hauptmanna Jagniatk�w (Agnetendorf) in den Theaterfoyers begleitet die Urauff�hrung. G�rlitzer Sch�ler sind schon seit Wochen im Hauptmann-Fieber, aber auch das polnische Interesse an Hauptmann und ganz allgemein an deutsch-schlesischer Kultur scheint zu wachsen.


Bahnw�rter Thiel
Oper von Enjott Schneider nach Gerhart Hauptmanns gleichnamiger novellistischer Studie
Libretto von Julia Cloot und Enjott Schneider
Urauff�hrung am 28. Februar 2004, 19.30 Uhr im Theater G�rlitz

Musikalische Leitung: Eckehard Stier
Regie: Aron Stiehl
B�hnenbild und Kost�me: Karen Hilde Fries
Filmsequenzen: Kirsten Winter
Ch�re: Myron Michailidis
mit Hans-Peter Struppe (Thiel), Yvonne Reich (Lene), Anja Meyer (Minna), Stefan Bley, Katja Woite, Birgitt Baumann, Heiko Vogel, Manfred Reich, dem Chor des Musiktheaters und Mitgliedern des Extrachores und des Prager Rundfunkchores Neue Lausitzer Philharmonie

Internet: www.theater-goerlitz.de


Bochum, 10.02.2004

 

 


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