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TURANDOT
(Giacomo Puccini)
2. Oktober 2003


Staatsoper Unter den Linden








Die tragische Wahrheit des Erwachsenwerdens

Stellen wir uns vor, Turandot sei ein sp�tpubertierendes M�del, das von jungen M�nnern, ja eigenen Begehrlichkeiten nichts wissen will, weil sie Angst vor der (erwachsenen) Wirklichkeit hat. Dennoch wird sie schlie�lich von einem Typen "genommen" und in den Haushalt gestellt. Hat sie dann verloren oder gewonnen?

Das ist die Frage, die Doris D�rries Inzenierung stellt und mit der sie die zuschauenden H�rer entl�sst. Dem Ganzen eignet etwas Tragisches, egal, ob man den �berdimensionierten Teddy nun f�r eine gute Idee h�lt, der auf der B�hne f�r ein M�dchenzimmer herhalten muss. Plausibel ist es allemal: Herkunft unterste Mittelklasse, st�ndig am Abrutsch in die Pleite... da liegt eine seelische Flucht in die heroische Abenteuerwelt der Manga-Comics nah.

L�sst sich das nahtlos in die Oper �bertragen? Ich f�rchte: Nein. Zum einen aus musikalischen Gr�nden. Turandot ist nicht Salome, und die vollentwickelte Stimme einer reifen Frau steht zu der Grundidee sinnlich quer. Das macht sich in dieser Inszenierung hartn�ckig bemerkbar, zumal am 2. Oktober, als Sylvie Valayre wegen einer allergischen Disposition ihre Rolle "nur" spielte und vom linken B�hnenrand aus Susan Felver sang - sehr sch�n, doch mit gutturaler Tiefe. Es war, als legte die Musik selbst Widerspruch ein.

Zum anderen stammen die Manga-Comics, die D�rrie in Kost�men, Bewegungen usw. zitieren l�sst, aus Japan und nicht aus China. Turandot ist auch nicht Butterfly, Hier verbirgt sich eine interkulturelle Naivit�t, der etwas Kolonialistisches eignet. Spielte die Oper in Berlin oder New York City (worauf eines der letzten B�hnenbilder hinweist), w�re wegen der von vornherein gegebenen Distanz das Problem viel eher aufgehoben. Das Aufeinanderlegen Chinas und Japans machte mir die Gefolgschaft bisweilen etwas sauer. Andererseits: Es ist ja eine Fantasie... Und schlie�lich ist es die Mischung einer modernen Edward-Hopper-Realit�t, in die das St�ck gegen Ende �berf�hrt wird, und dem M�dchen-M�rchen mit Puccinis fin-de-si�cle-Symbolismus, in dem die Denkbr�che erkennbar werden.

Dass Valayres Turandot eigentlich nichts anderes tut, als ruckhaft Positionen von Ninja-K�mpferinnen einzunehmen, die in die Mangas durchaus Eingang gefunden haben, h�lt das Problem allerdings diskutabel. Obendrein l�sst Turandots Kost�m auch noch an den fantastischen Computer-Film "Edward mit den Scherenh�nden" denken. Immer wieder sch�ttelt man den Kopf, manches ist allzu deutlich Klamotte, wenigstens Gag, doch l�sst sich der Zuschauer darauf ein, kann das unvermittelt in extrem dichte, hochsuggestive und auch anhaltende Momente kippen, die etwas Mythisches haben. Dazu geh�rt etwa das Ballett der Skelette, das ganz im Sinn des fin-de-si�cle-�sthetizismus auf das erotischste mit der Grausamkeit flirtet. Die zugleich b�se wie lockende Halluzination, ein sich-Freisprengen der Verklemmtheit, �bertr�gt sich dann geradezu gnadenlos. Man muss nur den Willen haben, das zuzulassen - und seien Sie sicher: Kent Naganos Dirigat hilft einem dabei.

Dass der beeindruckend singende, ja in den H�hen sogar leuchtende Calaf (Dor�o Volont�) in dieser Inszenierung allezeit als "Kerl von der Schicht" auftritt, der sich logischerweise in der sp�ten "Realszene" ein Bier aus dem K�hlschrank nimmt, ist nur konsequent, und man f�hlt mit einem Mal, wie furchtbar es f�r das M�dchen ist, sich der Wirklichkeit stellen zu sollen, man riecht direkt schon Haarspray und Scheuerpulver. Da wird Calafs Stimmschmelz mit einem Mal Schmalz. Und man begreift, weshalb das M�del sich nicht "�ffnen" wollte, ja wie betrogen sie nun ist. Und dar�ber - besondere L�ge des Vorscheins - die Sternenwelt der erleuchteten Fenster einer aus Wolkenkratzern zusammengeballten Stadt. Das ist eine ganz zweifelsfrei gro�e Inszenierungsidee, �ber die man in der Turandot wird immer wieder nachdenken m�ssen.

Dennoch bleibt ein Unbehagen. Das haben Nagano und die D�rrie vielleicht auch gesp�rt, als sie sich nicht f�r den bekannten, triumphalen (in gewissem Sinn perversen) Alfano-Schluss der Oper entschieden, sondern Berios sehr viel verhaltenere Komplettierung des Dritten Aktes beizogen. Allerdings mutet es ein wenig seltsam an, pl�tzlich den Eindruck zu haben, irgendwer im Orchester spiele Berios ber�hmte "Sinfonia" simultan.

Kent Nagano - f�r mich einer der bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart - treibt das Orchester zu weitem, feurig-fantastischem Spiel, das dennoch auf keine Arabeske verzichtet. Er h�lt aber auch jeden manierierten Auswuchs zugleich leidenschaftlich im Griff. Auch deshalb kommt das als Schreioper ber�chtigte St�ck durchweg als musikalischer, bisweilen rauschhafter Genuss daher - vielleicht einmal Turandots Vater beiseite, der allerdings die ganze Zeit �ber die undankbare Aufgabe hat, den "Tod eines Handlungsreisenden" ohne dessen Tod zu mimen.

Die "Pings" agieren mit deutlicher Spiellust und sind offenbar in ihre bizarren Kost�me vernarrt, in denen sie mehr watscheln als gehen und die dennoch keine Sekunde l�cherlich wirken. Und rundum ergreifend Elena Kelessidis Li�, voll dr�ngender Sch�nheit, ja einer so stimmlichen Hingabe, dass man sich fragt, was denn dieser Calaf unbedingt von der punkig-h�lzernen Turandot will... aber na ja, wenn einer so tumb ist. (anh)

 

POINTS OF HONOR

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


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