Bürgerliche Selbst-Fantasien
Ist dies nun durchgefallen? Sicher nicht. Zwar donnerten und gr�lten Buhs,
aber auch nachdr�ckliche Bravi durchs Haus; sie brandeten besonders um Katharina
Kammerloher und Laura Aikin. Jene lie� im Vorspiel die Inspiration des Komponisten
geradezu se(e)lig aus ihrem Gesang aufsteigen, und diese gab eine derart
weltliche, schnippisch-diesseitige Zerbinetta, dass der trag�dischen Partie
Ariadnes (Lisa Gasteen) eigentlich gar keine Chance blieb, zumal Junggott
Bacchus zwar volumin�s an Stimme, nicht jedoch unbedingt sch�n an ihr war
und man Zerbinettas Spott eben schon deshalb nachvollziehen konnte, als
ihr "Kommt der neue Gott gegangen,/hingegeben sind wir stumm" ein "Liebe
macht taub" mitschwingen lie�.
In dem sonst so makellosen, zugleich spielfreudigen Ensemble fiel Sergej
Larin also ein wenig auf - in seinem gl�nzend jaguarfleckigen Anzug sowieso.
Zumal er nicht etwa mit einem Boot erschien, sondern auf dem Skateboard
in die Szene schoss - gedoubelt von zwei jugendlichen Rollbrettartisten.
Dies schien ungef�hr 7/13 des Publikums ebenso zu missfallen wie Laura Aikins
Hagen-Outfit - nicht etwa ihr Gesang, f�r den es nach dem frechen Rondo
unisono heftigen Zwischenapplaus gab. Tats�chlich ist mir derzeit keine
andere S�ngerin bekannt, die derart m�helos und zugleich innig in die allerh�chsten
Lagen geht; die Aikin zwitschert dabei nicht einmal, sondern - singt! Als
ich sie vor drei bis vier Jahren das erste Mal h�rte, war ich sprachlos:
Ihr Sopran brachte mir sogar die f�r mich eigentlich uninteressante, weil
furchtbar naive Sophie nahe. Der Seelengesang unterminierte einfach jede
Distanz.
Hier nun, in der Ariadne, hat Laura Aikin mit Katharina Kammerloher eine
ziemlich �hnlich disponierte Partnerin zur Seite. Die beiden sind - weil
jenseits aller B�hnen- und S�ngerroutine und ganz unabh�ngig vom Rollenfach
- das eigentliche Sensationspaar des Abends. Da m�gen Ariadne und ihre Dryaden
noch so sch�n intonieren. Selbst Stimmstahl hilft nicht weiter. Und die
m�nnlichen Stimmen sind ja insgesamt nur Grundierung, wundersch�ne bisweilen,
kr�ftig-sonore, auch anr�hrende - Grundierung aber eben doch. So will mir
die Heftigkeit der Buhs nicht recht einleuchten.
Reinhild Hoffmann hat ein ironisches St�ck inszeniert, das mit b�rgerlichen
Selbst-Fantasien spielt und die hehre Welt eines gr�nderzeitlichen "Heldenlebens"
von ein paar Punks in die Gegenwart ziehen l�sst, wo sie ihr dann die Nase
zeigen. Das ist ziemlich hinterfotzig, stimmt, aber eine prima Strategie,
dem Variet�Kitsch zu begegnen, in dem sich Straussens raffinierte Partitur
eben auch gef�llt. Der dickste Punk ist weiblich, Aikin-Hagen selbstverst�ndlich,
und ich meine das jetzt wirklich nicht k�rperlich. Aikin stellt sogar ihre
Springerstiefel zeheninw�rts, beim Sitzen, und bekommt dann etwas von der
ja ebenfalls leicht anarchistischen Pipi Langstrumpf.
So gut funktioniert das. Strauss und Hofmanntsthal m�gen sich ihre kokette
Soubrette anders vorgestellt haben und das buhende Publikum sowieso (es
h�tte vielleicht gern ein Strumpfband gesehen), aber darauf kommt es nicht
an, wenn es sich zum trag�dischen Gesang ("Es gibt ein Reich, wo alles rein
ist") doch so herrlich Hartmut Meyers stilisierte, realkonkave B�hne seitlich
hinaufkraxeln und auf dem Hosenboden herunterrutschen l�sst. "Alles, was
man f�hlt, wenn man einen Beethoven ans Ohr kriegt, ist losmarschieren und
Polen erobern", hei�t es bei Thomas Pynchon. Die Rumturnerei Zerbinettas
und ihrer Jungs sind ein ganz �hnlicher Kommentar zu Ariadnes Todesschwelgerei,
nur halt gestisch fischotterartig. Es ist ironische Profanierung eines Leidens,
das momentan bereit w�re, die ganze Welt anzuz�nden, sich aber von dem erstbesten
Gerhard Wendland (etwa so sieht Herr Bacchus hier aus) ziemlich umstandslos
heilseiern l�sst.
Fabio Luisi dirigiert ein recht motiviertes Orchester, das sich ganz in
den Dienst der Szene und der S�nger stellt; einige Male w�nschte ich mir
ein musikalisch-interpretativ etwas st�rkeres Profil, vielleicht auch sattere
Farben, aber das ist letztlich Beckmesserei.
Daniel Bock und Christian Schwarz d�rften die ersten Skateboarder sein,
die jemals durch die W�lbung einer Opernb�hne roll(t)en und standen daf�r
Sergej Larin auch bei der Entgegennahme seines Applauses zur Seite. Um 21
Uhr m�sse die Oper aussein, hei�t es im Libretto, denn dann sei im Garten
ein Feuerwerk anberaumt. Um 21 Uhr war die (Staats-)Oper tats�chlich aus,
und tats�chlich hob - aber rein akustisch - vom Schn�rboden her ein Feuerwerk
an. Das nennt man, *lach*: "konstruktives Koinzidieren von Fiktion mit Realit�t".
Schon die Buhs, die Bravi schon, das Premierenpublikum wogte, lange hatt'
ich nicht mehr so viel K�lnisch Wasser in der Nase. Drau�en hatte es endlich
geregnet, es regnete noch, regnete Berlin von 35 Grad Celsius auf 32 Grad
hinunter. "Eine ganz dumme, einfallslose Inszenierung" wehte mir, der ich
anderer Meinung bin, im Nieselregen nach, als ich mein Fahrrad aufschloss
und einen skeptischen Blick gen Himmel warf. Touch� f�r Hoffmann. (anh)
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