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LA BOHEME
(Giacomo Puccini)
01. Februar 2004

Staatsoper Unter den Linden (Berlin)


Venus Monroe im Quatier Latin

Indes das Publikum den Saal betritt, steht zwischen dem leicht ge�ffneten roten Vorhang ein verschlissener Sessel, dahinter folienartig bis zum oberen B�hnenrahmen Plastik. Man nimmt Platz, und ein alter Mann, der �ber seinen Schlafanzug einen Mantel geworfen hat, setzt sich auf den Sessel, nachdenkend, eine Art spr�de, sich vielleicht immer wieder verlierende Erinnerung zusammenklaubend, und er sieht in den Schnee einer Glaskugel dabei, die er dabeihat. Als er sie sch�ttelt, beginnt es auf der B�hne zu schneien, und der Vorhang �ffnet sich.

So hebt eine wundervolle Inszenierung an, die nicht nur deshalb so jung wirkt, weil wenigstens die H�lfte der im Opernhaus Anwesenden Jugendliche waren. Sondern mit vor allem Alfredo Daza (Marcello) und Klaus H�ger (Schaunard) wird die oft allzu zuckrige Oper vermittels Leidenschaft und einem so willk�rlichen wie trotzigen Spott, der Puccinis Librettisten auch vorgeschwebt haben mag, deutlich ents��t. Vor allem bekommt sie ein Tempo, das L�ngen gar nicht m�glich macht.

Ich habe auch noch niemals einen so stur-glaubw�rdigen Eifers�chtler erlebt wie diesen Marcello, die F�uste in den Taschen und die Taschenboden hinabgepresst. Es ist ein hochironischer Genuss, dem Spiel von Marcello und Musetta zu lauschen, zumal sie, Musetta, auch stimmlich die unangefochtene G�ttin dieses Abends ist und am Ende der Oper sogar noch etwas von der herben, lebensklugen Eleganz der Feldmarschallin gewinnt, etwas hofmanntsthalsches also; auch das sah ich noch nie.

Mary Mills' Mim� f�llt dagegen ab, aber das ist so auch ganz richtig bei einer kr�nkelnden jungen Frau. Denn auch hier hat die Regie Linda Humes wohltuend eingegriffen: Mim� ist nicht l�nger die lebensferne, quasi-keusche Heilige, als die man sie so gern inszeniert, sondern durchaus selber kokett, wenn auch ungelenk, aber den Lippenstift hat sie sehr schnell zur Hand. Da kann man sich schon vorstellen, dass auch Rodolfos Eifersucht nicht ganz grundlos w�re, erlaubte Mim�s Konstitution ihr amour�se Kapriolen. Mit einem Mal wird glaubhaft, dass Mim� nach der Trennung von ihrem Geliebten zur M�tresse eines sonst nicht weiter gestalteten "Grafen" wird. Was an Mary Mills Mim� beeindruckt, ist das vergebliche Bem�hen, wie Musetta aufzutrumpfen, was ihr ja schon deshalb nicht gelingen kann, weil sie sich nicht, anders als diese hier, wie Marilyn Monroe auff�hren (und so auch aussehen) kann, sondern eben doch nur ein Blaustrumpf ist, der Bl�mchen auf Seidendecken stickt.

Der sehr helle, sehr samtige Tenor Miroslav Dvorskys (Rodolfo) passt zum Herzzusammenschn�ren gut dazu, vor allem, weil die Inszenierung ihm hinwiederum erlaubt, durchaus der puccinische Macho zu bleiben, der er ist, ohne dass er dabei ins klebrig Sentimentale abrutschen muss. Die jugendliche Pr�senz seiner Zimmergenossen f�rbt daf�r einfach zu sehr auf ihn ab.

Die sinnlichen, halb-szenischen, sozusagen "brechtisch epischen" B�hnenbilder Dan Potras - man sieht die S�nger bereits vor ihrem Auftritt die jeweiligen Szenen betreten - bleiben klugerweise dem Verismo verpflichtet und tappen nur ein einziges Mal in die Falle des Symbolkitsches, als n�mlich im 1. Bild hinter den Atelierw�nden �bergro�e Rosen bl�hen. Ansonsten episch-reale Innen- und Au�enr�ume, f�r die Puristen, besonders beim 2. Bild, dar�ber streiten k�nnten, inwieweit es gerechtfertigt ist, das Geschehen aus dem Historismus in den sp�ten Jugendstil zu verlegen. Optisch plausibel ist das allemal. Und nirgends gibt es inszenatorischen Staub.

Dementsprechend frisch spielt die Staatskapelle unter der Leitung des jungen Dan Ettingers, der zur Entgegennahme des Applauses konsequenterweise die Fliege im Orchestergraben zur�cklie� (wenn er sie denn trug); weder der Auff�hrung, noch der Musik, noch dem Opernritual der "Vorh�nge" ging es irgend um Schmock: Man spielte, man sang, man war da, und keiner hatte Lust auf Getue. So dass selbst der Rapper, der mit M�tze und Halbmeter-Schlag gekommen war und ganz vorne sa�, w�hrend der Pause nicht ging. Es gab ja auch gar keinen Grund. Und ich dachte: Ja, so war das schon einmal, in den sp�ten Siebzigern in Frankfurt am Main, als Berghaus und Gielen das Ger�mpel aus den Operfenstern warfen und wir Studenten Schlange an den beiden Kassen standen.

Derweil hat sich der alte Mann, den wir wahrscheinlich l�ngst verga�en, an die B�hnenwand eines Altersheimes gedr�ckt und sieht uns in seiner Kugel immer noch zu. Schlie�t dann die Augen. Und schl�ft endlich ein. (anh)

 

 


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