DIALOGE DER KARMELITERINNEN
(Francis Poulenc)
12. Juni 2004
Deutsche Oper Berlin
Gesto�ene Entsagung
Keine Frage, diese seit 1994 gespielte Inszenierung geh�rt f�rs Publikum
zu den Schlagern der Berliner Opernh�user. Ich frage mich allerdings, warum.
Es ist wahr, die Auff�hrung besticht durch enorme Bildkraft, der Gang zum
Schaffott der sich selbst opfernden Nonnen nutzt die gesamte riesige B�hne
aus und geh�rt sicher zu den eindrucksvollsten Ideen der Auff�hrung. Auch
hat G�nter Kr�mer seine Personenf�hrung bis in die genaueste Einzelgeste
durchdacht. Allerdings leidet unter dem Detailblick die interpretatorische
Linie insgesamt.
Musikalisch wiederum findet sich alles auf h�chstem Niveau, nicht was die
Komposition selbst anbelangt, wohl aber ihre Interpretation. Einem enorm
starken Damen-Ensemble, zu dem unbedingt der Chor hinzugerechnet werden
muss, stehen wenige, aber h�chst lyrisch gestaltende M�nnerstimmen gegen�ber...
nichts ist unpassend hier, alles f�gt sich, ja selbst die notwendigerweise
hysterischen Nonnen sind irgendwie im Rahmen; bisweilen hat die Komposition
R�schen an den Noten, bisweilen f�llt eine Z�hre Puccini, dann wieder �berkommt
eine Art "russischer" Melancholie das Melos... doch letztlich tut es niemandem
weh und nimmt keinem den Atem. Selbst das donnernde Pathos hat etwas, ich
m�chte sagen, Zitiertes. Wir bleiben insofern v�llig zivilisiert.
Das Hauptproblem besteht aber wahrscheinlich in der dramatischen Anlage
des St�ckes selbst und darin, dass Kr�mer keinen Ansatz findet, der die
Widerspr�che nicht aufl�st (das w�re unangemessen), aber mindestens aufeinander
bezieht. Die ersten sechs Bilder fokussieren sich mehr oder minder individuell
um die Frage, ob man es hier m�glicherweise mit einer (verschobenen) Missbrauchsgeschichte
zu tun habe. Der zweite Teil des Abends aber gestaltet eine gro�e politische
Allegorie, die Figuren - also auch ihre Leiden - verschwinden im Metaphorischen,
auch im Massenhaften... wozu die gemeinschaftliche Opferszene nicht wenig
beitr�gt.
Beide Teile f�r sich sind plausibel, wenn mich der zweite auch ziemlich
irritiert, da doch der zwanghaften M�nnerwelt nicht etwa ein befreiendes
Frauenleben, sondern die jetzt sozusagen als Gruppenindiduum gestaltete
nicht minder zwanghafte Gemeinschaft von Nonnen gegen�bergestellt wird,
die ihrer Mutter nicht einmal einen gnadenvollen Tod erlauben, sondern sie
zwingen, sich im Zeichen der Selbstzucht aufs viehischste von dannen zu
machen... Die Priorin schreit denn auch und zu Recht vaterlos wie Elektra.
Damit will der zweite Teil des Abends das Publikum identifizieren. Es ist,
als h�tte Kr�mer Angst gehabt, sich auf das immer mitlaufende Thema von
(christlichen) Perversionen wirklich einzulassen, obwohl es immer wieder
inszenatorisch aufklingt.
Erst unter der gro�en, aufs Leben verzichtenden Massen-Begeisterungs-Szene
wird das endg�ltig versch�ttet. Wer also da nur ein wenig nachdenkt, den
�berkommt das Schaudern. Und sowieso der Schmock. Die standing ovations
dieser 17. Auff�hrung verleugnen ihn und es. (anh)
Karten unter 0700 67 37 23 75 46
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