Intensit�t & Enge
Jan�ceks "Jenufa" an der Komischen Oper Berlin Es war eine gute Entscheidung
meines Instinkts, was mich vor dem Besuch der zweiten Auff�hrungsserie von
Willy Deckers Jenufa-Inszenierung mehrmals die Mackarras-S�derstr�m Aufnahme
von 1982 anh�ren lie�. So war ich - fehlendes tschechisches Sprach-Melos
erwartend - mit gen�gend Vorurteil aufgeladen, um so nachdr�cklich auf den
R�cken geworfen werden zu k�nnen, dass mir die Auff�hrung nicht nur inszenatorisch,
sondern vor allem auch musikalisch ins Herz schnitt. Zwar bleibt (und muss
auch bleiben!) die rhythmische Phrasierung der slawischen Sprache, aber
nie so, dass sich mir der Eindruck einer semantischen oder gar harmonischen
Verzerrung herstellte, wie das bei auf Deutsch gesungenen italienischsprachigen
St�cken der Fall ist... ich bin da Purist, mir tut sowas weh... es ist unterdessen
ja auch ganz unn�tig, die deutschen �bertitel sind eine wunderbare Invention...
Doch Petrenko wei� das urspr�ngliche Melos so leidenschaftlich zu erhalten,
dass er nicht einmal folkloristisch wird. Er l�sst die Partitur durchsichtig,
mit einem ganz bisweilen puccinischen Schmelz interpretieren... und auch,
dass das Ensemble der ersten sieben Auff�hrungen ausgetauscht wurde, hat
dem St�ck nicht geschadet. Wie denn auch?! In Julia Juon erf�hrt die K�sterin
eine Leibhaftigkeit, eine Durchdringung von b�ser Strenge und tiefer Moralit�t,
dass einem der Atem stockt. Es ist mehr als nur eine Idee Deckers
und seines B�hnen- und Kost�mbildners Wolfgang Gussmann, sie an langer Kette
ein Christenkreuz tragen zu lassen - Symbol f�r den rechten Glauben, der
vor Kindsmord so wenig zur�ckschreckt wie irgend ein anderer Glaubens-Fundamentalismus
vor der terroristischen Aktion.
Die Verstrickung von tiefer �berzeugung und Schuld, wie schnell eines ins
andere hineinschlagen, es v�llig und gegen den Willen des Gl�ubigen pervertieren
kann - gestern Abend, auf der B�hne der Komischen Oper, war das mit H�nden
zu greifen: mit schockiertem, entsetztem Verst�ndnis vollgepackt. Entsagung
macht b�se und das wogende Mitf�hlen so kalt, dass daran ein S�ugling erfriert.
Und dann Gun-Brit Barkmin! Ich habe diese erstaunliche S�ngerin nun in vier
verschieden(st)en St�cken erlebt, und jedesmal steigerte sie sich als Person
vollkommen in die Rolle hinein, wurde die Rolle... und verlor dennoch
nie ihre tremolofreie, sehr warme und dennoch �beraus tragende Stimme. Auch
nun also wieder Barkmins str�mender verst�rter Gesang, der mir das Kalk�l
unbegreiflich macht, diese S�ngerin nicht bereits in der Premiere, sondern
erst als B-Wahl einer zweiten Serie einzusetzen. Zugegeben, sie hat nicht
Naomi Nadelmanns so blendende wie (selbst)herrliche Zickigkeit, aber doch
alles Zeug, aufgrund nicht nur darstellerischer, sondern vor allem sanglicher
Empathie, die zugleich hochvirtuos ist, zum n�chsten weiblichen Star des
Hauses zu werden. Es lohnt sich allein schon ihretwegen, in die Komische
Oper zu pilgern. Weder ihre grandiose Gouvernante in Brittens "The Turn
of the Screw" noch nun diese "Jenufa" werde ich je wieder vergessen: Die
Gestaltung junger, suchender oder jung�ltlich verklemmter Frauen, die (erotisch)
erwachsen werden wollen und deren K�rper und Wille auch mitbringen, wessen
das bed�rfte, die aber so gebeugt werden, dass sie sich endg�ltig verleugnen
m�ssen, sind in dieser S�ngerin aufgehoben wie in keiner anderen, die mir
bekannt ist.
Zur Seite stehen dem ph�nomenalen K�sterin-Stieftochter-Duo mit Peter Bronder
ein in seiner Zwanghaftigkeit gleicherma�en leidenschaftlicher wie unsympathischer
Tenor, der Jenufas Liebe zu dem angenehmen Hallodri Stewa st�ndig einleuchtend
h�lt, sowie ein Solisten- und Chorensemble, das nur inszenatorisch, n�mlich
bei den sozusagen Holzplattler-Nummern, ein wenig zu eckig und ausgestellt
wirkt.
Die Deckersche Inszenierung besticht ohnedies in den kammerst�ckhaften,
konzentrierten Passagen, die Jan�ceks "Jenufa" ja auch charakterisieren
und die Gestaltung seelischer Ambivalenzen erlauben; gro�e Tableaus sind
Deckers Sache offenbar nicht, vielleicht langweilen sie ihn. Sie sind ja
fast immer nur Kolorit - sind eine "lightshow" sozusagen, die vom Drama
nicht anders ablenken soll wie bei popul�rer Musik von mangelndem Gehalt.
Entsprechend klug gew�hlt sind die B�hnenbilder: voller Poesie der mit gefallenem,
gelbbraunem Laub bedeckte Boden der Eingangsszene, beklemmend die billig
tapezierten Innenr�ume, denen im zweiten Akt - vorsichtig symbolisierend
- Eisbl�cke beigegeben sind und im dritten (vielleicht dann doch etwas dicke)
das Steinmeer, das auf Jenufa niederprasseln w�rde, stellte sich nicht die
erstaunliche K�sterin, ihre grauenvolle Schuld bekennend, davor. Durch leichtes
Verschieben oder Heben der Kulissenw�nde wird der Spielraum, der hier immer
ein seelischer ist, mal weiter, mal dichter, immer aber bleibt er - der
moralischen Repression in d�rflichen Gemeinschaften schrecklich angemessen
- eng. Und wenn am Ende Jenufa und Laca Hand in Hand in die Ferne wandern,
um ein neues Leben zu beginnen, kommt einem das v�llig aussichtslos vor...
nein, Jenufa ist nicht "gereift", sondern verh�rmt. Es w�re deshalb angemessen
gewesen, sie und Laca in der Enge des Zimmers stehen zu lassen und nicht
den Laubboden zu wiederholen.
Dieser Versuch eines Happy-ends tut nun in doppeltem Ma�e weh, und ich fragte
mich, weshalb Jenufa zwar im zweiten Akt die tiefe Schnittnarbe zeigt, die
Lacas Messer ihrer Wange beibrachte, im dritten aber nicht mehr... Ein verlogeneres
(Nicht-)Bild f�r angebliches Gereiftsein h�tte tats�chlich kaum gefunden
werden k�nnen. Freilich entspricht es komplett Jenufas sie verh�rmendem
Versuch, sich �ber ihre Gef�hle zu bel�gen: sie habe Laca schon geliebt,
als er ihr Gesicht entstellte. Einen schlimmeren Weg kann ein Frauenleben
nicht einschlagen. Es ist - man m�chte weinen! - der der K�sterin. Die auf
ihre H�nde schaut wie Lady Macbeth. Doch hat sie gar nicht Macht gewollt.
Sondern Jenufas Gl�ck. (anh)
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