EINE VERRÜCKTE VERWECHSLUNG
(Gioachino Rossini)
13. September 2004
Deutsche Oper Berlin
Kunsthandwerk in eisigen, befeuerten
H�hen
Es liegt nahe, dieses fr�he, so temperamentvolle wie pfiffige St�ck Rossinis
als, sagen wir, extreme Burleske aufzuf�hren oder - um einen zeitgen�ssischen
Begriff - anzuwenden: "trashig". Das in Zoten und sonstig derbem Witz berstende,
bisweilen auch darunter zusammenkrachende Libretto, dessen Personen- und
Handlungsf�hrung eigentlich auf den Marktplatz geh�rt, k�nnen wir Heutigen
sicher eher goutieren als ein distinguiertes oder sich distinguiert gebendes
Obere-Klasse-Publikum noch vor drei�ig Jahren.
Und Alberto Zedda hat v�llig Recht, Rossinis ohnedies rasante Tempi kurzerhand
noch einmal anzuziehen. Was dann selbst in den H�rnern zu derart irrwitzigen
Bravourst�cken f�hrt, dass man gar nicht mehr anders kann, als von Zeit
zu Zeit in schallendes Gel�chter auszubrechen. Bei den gerasten Plapperpartien
des Ensembles sowieso.
Erstaunlicherweise dreht die bescheidenerweise "konzertant" genannte Auff�hrung
das Buffo-Gequassel in eine fast gl�serne Qualit�t, die eben nicht nur vom
Witz, sondern vor allem davon lebt, dass Zedda die groben �bertreibungen
des Librettos in den Frechheiten der Partitur wiederfinden l�sst. Und das
alles grinsend, ja grienend, ein pfiffig-schwelgender Maestro des musikalischen
Humors, dem im zweiten Akt der aufgegangene Kragen des Frackhemds im Nacken
zipfelt.
Das �bertr�gt sich - weil derart perfekt musiziert - unmittelbar. Auch mir
ging Zeddas permanentes Grinsen nicht aus dem Gesicht, kein feixendes, sondern
eines, das auf Temperament galoppiert. Die Regisseurin l�sst Rossinis Charaktere
sich r�cksichtslos �berzeichnen, was den Darstellern diebische Freude bereitet
und bereiten darf, da die Rollen ja Typen, nicht etwa Charaktere sind. "Gnadenlose
Outrierer" fl�sterte mir mein Begleiter ins Ohr, um allerdings sp�ter, achtungsvoll
sich revidierend, "von Kunsthandwerk in eisigen H�hen" zu sprechen. Selbstverst�ndlich
geht es um nichts als ein, freilich genialisches, Entertainment, wof�r das
Publikum schon vor Opernbeginn h�chst dankbar war: konnte man sich doch
jubelnd selbst beklatschten.
�berhaupt wurde gern applaudiert, das Publikum also sich selbst und den
losgelassenen Musikantismus, die Musiker das Publikum und sich und der winzige
alte Zedda alles zusammen. Aber das war eine befeuerte, zwar neureich blitzende,
doch durch makellose musikalische Arbeit gereinigte Eitelkeit.
Au�erdem gab es Silvia Tro Santaf� (wer denkt sich blo� immer diese Pseudonyme
aus?) in der Rolle eines nachgeborenen Aufsteiger-M�dels, das tagaus tagein
denselben achtelphilosophischen Unfug daherschw�tzt wie ihr Vater. Imgrunde
ist sie eine bessere Sophie. Neben Antonino Siragusas eindimensional angelegtem
lyrischen Ermanno - das St�ck l�sst ihm wenig andere Chancen als "nur" sch�n
zu singen - war sie die einzige, die ihren Charakter letztlich nicht denunzierte,
will sagen: sich nicht �ber ihre Rolle lustig macht. Vielleicht ist es ihrer
- sanglich sowieso vollkommenen - Interpretation zu danken, dass nicht doch
irgendwie der Geschmack zur�ckbleibt, man habe sich zwar trefflich, aber
doch ein bissel unter Niveau am�siert, wie bei einem technisch auf Shakespeare-Niveau
gebrachten Schwank des Ohnesorg-Theaters.
Nein. Die ambivalente Spanne zwischen der Phrasendrescherei eines adoleszenten
Dusselchens und seiner erotischer Erweckung zu halten und schlie�lich mit
dem pragmatischen Willen einer erwachsenen Frauensperson von menschlich
ber�hrender Italianit� zu f�llen, das war schon - auch emphatisch - hohe
Kunst.
Die "Szenische Einrichtung" Gerlinde Pelkowskis �brigens, ich mag noch einmal
die Bescheidenheit ehren, ist getrost und rundweg eine gelungene Inszenierung
zu nennen, die �berdies zeigt, wie sich in Zeiten knapper Kassen mitrei�ende
Auff�hrungen auch g�nzlich ohne Kulissendonner und auf der Glatze subventionierter
Einfallslosigkeit gedrehte Ausstattungslocken auf die Bretter bringen lassen.
Vielleicht werden wir den knappen Kassen eines Tages sogar danken. Denn
nicht nur das "giocose dramma", sondern sehr wohl l�sst sich auf diese Weise
auch eine sagen wir Salome aus dem gleicherma�en Zwang sozusagen �berrealistisch-filmischer
Pr�senz wie dem bildlich zugestopften Symbolismus in eine sinnlich ative
Imagination des Zuschauers zur�ckretten. In Kunst-Lust n�mlich. (anh)
Karten unter 0700 67 37 23 75 46
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