Klonen ist menschlich
Wie passt ein Rokokotheater zu Klonwesen im frostigen Ambiente einer Biotechfirma?
Auf den ersten Blick gar nicht. Tats�chlich wirkt das widerliche gelbe Licht,
mit dem den P�ttchen, Muschelchen und Tr�pfchen ihre Farben genommen sind,
noch vor Beginn von J�rg Widmanns erster Oper ,Das Gesicht im Spiegel' vermittelnd
zwischen dem Zuschauerraum und der B�hne, die den Blick auf die r�ckw�rtige
Betonwand und riesige fensterartige Projektionsfl�chen f�r Videoeinblendungen
freigibt (B�hne: Katrin Hoffmann).
Genau betrachtet jedoch f�gen sich die vielgestaltigen Formen und Gesichter
des Rokoko zu Parallel- und Symmetriewelten und finden in der Oper ihre
Entsprechung im Kinderchor, einer Klonarmee, der Widmann und die Regie Falk
Richters ausstaffierende, atmosph�rische, kommentierende und schauspielernde
Funktionen zuweisen. Der Chor kann f�r die Innenwelt Justines stehen, jenem
Produkt der Profitgeilerei der B�rsianer Bruno und Patrizia, das von Bio-Ingenieur
Milton als exakte Kopie Patrizias konzipiert wurde.
Justine, unschuldig und unwissend wie ein Kind und von Widmann fast plakativ
mit silberhellen h�chsten Wohlkl�ngen bedacht, durchlebt die Stadien der
Menschwerdung: sie lernt, liebt, verzweifelt und will endlich sterben, da
sie ihr Gesicht im Spiegel als Duplikat erkannt hat. Dies f�hrt sie zur
Einsicht, kein Mensch zu sein. Das ist dramaturgisch problematisch, da sie
als Klon doch auch Mensch ist und sich durch den Lernprozess von Patrizia
zu unterscheiden vermag.
Richter konfrontiert entsprechend der hastigen, anpeitschenden Musik voll
divergierender Stilelemente mit einer ebensolchen visuellen �sthetik. Die
Video-Kunst Martin Rottenkolbers und Meika Dresenkamps schafft dabei ein
modernes, multimedialen Sehgewohnheiten entsprechendes Umfeld. Doch Widmanns
Musik verabschiedet sich unvorbereitet vom Drive, profiliert sich durch
bewegungsarme stehende Kl�nge, "Orgelpunkte", die �bermalt, �berschichtet,
�berlagert werden und klanglich an sich reizvoll aber im Kontrast zum bisherigen
erm�dend wirken.
Die Regie verlangsamt treu ihr Tempo und best�rkt die uneinheitliche Wirkung.
Neben der bet�rend zarten und weichen H�he Julia Rempes als Justine, fordert
Widmann von Salome Kammer (Patrizia) alle Facetten der stimmlichen Laut�u�erung,
denen sie dennoch sehr sinnlich Ausdruck verlieh. An ihr wie an Dale Duesing
(Bruno, mit erstaunlicher Textverst�ndlichkeit) faszinierten schauspielerisches
Profil und stimmliche Vielseitigkeit ohne Erm�dungserscheinungen. Anders
der Milton Richard Salters, den seine zwischen Sprechen, Deklamationsgesang
und Fisteln angelegte Rolle sichtlich ins Schwitzen brachte. Konkurrenzlos
war wieder einmal die Leistung des T�lzer Knabenchores.
Hervorragend auch die musikalische Leitung Peter Rundels, der mit dem Bayerischen
Staatsorchester Kl�nge von umwerfender Sch�nheit und spannungsvoller Dichte
zu gestalten verstand, ohne den Atem zu verlieren.
Obwohl die zweieinhalb Stunden das Publikum anstrengten, brach sich der
Applaus schnell Bahn; viele Bravos, besonders f�r die Kinder, Dirigent und
Komponist. (tv)
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