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KOMMENTAR

VOM ÄSTHETIZISMUS ZUM STERNENKITSCH -

Richard Straussens "Die Frau ohne Schatten" an der Deutschen Oper Berlin

von Alban Nikolai Herbst
30.12.2003



Foto: © kranichfoto



 
 

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Wahrscheinlich war Philippe Arlauds Absicht die folgende: - getreu der im Programmheft abgedruckten Interpretation Hans Mayers auch b�hnenbildlich und inszenatorisch den Weg einer schatten-(seelen-?)losen Elbin, wie sie der fin de si�cle ja liebte, in die selbstverst�ndlich verzichtende Menschlichkeit nachzuzeichnen. Und so folgt auf einen vor postmoderner Signalfarbe und statuarisch-bedeutungsvoller Gestikulation nahezu unertr�glich symbolistischen Ersten Aufzug ein lebhafter, dynamischer Zweiter, der sich allein durch die Geschehen (und, denke ich, die beste Musik dieser Oper) aus der �sthetizistisch-kalten Selbstweihe herausk�mpft und an den sich ein Dritter, "menschlicher", anschlie�t, der auf ersten Blick all die Farb- und Gestik-Stanzen mit Freiheit verl�sst und in seinen besten Momenten dann wirklich M�rchenoper wird.

Doch da, wo sie "Erl�sung" erz�hlt, greift sie auf eine Mischung aus Raumschiff Enterprise und Karajan-Reklame zur�ck: Die beiden Paare vor dem Sternenhimmel, dazu eine Musik, wie sie melodisch schmockhafter gar nicht sein k�nnte. (Christliche) Esoterik statt Fleischeslust. Schauder. Und standing ovations des Publikums.

Unterm Strich gesehen, ist dem Regisseur also nichts Eigenes eingefallen - und Christian Thielemann, eindeutiger Star des Abends, offenbar seinerseits nicht der Mann, dem St�ck inszenatorisch auf die Beine zu helfen. Man ist vielmehr st�ndig an Adornos (Wagners Leitmotivik bekrittelnde) Formulierung gemahnt, man f�hle sich st�ndig am �rmel gezupft. Gestern Abend wurde einem dauernd dran rumgezerrt. Arlaud verdoppelt den Strauss nicht nur, nein, er verdreifacht ihn. Weist Hans Meyer auf des Komponisten Besorgnis hin, der Schatten m�sse zwischen Aufzug II und III "irgendwo herrenlos herumirren", dann l�sst ihn der Regisseur als Lichtprojektion �ber den B�hnenprospekt schwirren, und geht es um die ungeborenen Kinder, kann man mit Dias von Embryonen nicht nur rechnen, nein, sie werden serviert... - ein mir erlaubtes Bild, da die Kinder bei Hofmannsthal/Strauss ja aus den Bratfischlein singen.

Vielleicht war dieser Regisseur keine gute Wahl, weil er ganz offenbar Farbdenker ist und da tats�chlich Kraftvolles leistet; aber Strauss ist eben a u c h und zu Recht f�r Farben ber�hmt, f�r Orchesterfarben, und die brauchen keine Illustration. Postmoderne, lackgl�nzende Farbigkeit bleibt mir bei dieser Inszenierung auch in der Erinnerung; aber einmal gab es ein wirklich-tiefes, mythisches Gr�n: wenn im Aufzug III Sylvie Valayre grandios-innig ihre Leidarie singt, hin- und hergerissen von Sehnsucht und Mitleid. Alleine daf�r, nur, um dies mitzuerleben, lohnt sich der Abend dann doch.

"Die Frau ohne Schatten" ist insgesamt ein seltsames St�ck. Die Komposition surft von Hoher Musik unvermittelt ins melodisch Banalste, wagt sich von allen Strauss-Opern wohl am weitesten ins Freitonale vor, nutzt aber dauernd den Schunkel-Kitsch als Kr�cke, als best�nde Gefahr, das Gekumpel mit dem Publikum zu verlieren. Dazu Revuehaftes und G�nsech�re, deren Ursprung schon bei Wagner restlos verklemmt war, halb p�dophil, halb �bers��t: Blumenm�dchen�sthetik n�mlich. Das hat etwas altm�nnerhaft Geiles, Verschwitztes, "zuckelig Erigiertes", schrieb ich einmal (wenn auch in andrem Zusammenhang).

Aber die Raffinesse des Orchestersatzes "adelt" so etwas immer wieder, gibt ihm etwas Rauschhaftes, und wirklich wird einem das Gef�hl insistenter Klebrigkeit oft mit enormen musikalischen Momenten entgolten, die sich das von der Haut streifen, als tauchte aus dem Schlamm die Anima w i r k l i c h - und umfinge einen, indes man selbst ja noch drinsteckt.

Christian Thielemann w�re auch genau der Dirigent, der einem da hin�ber- und dort hinaushelfen k�nnte, tendierte er nicht dazu, die innigen Momente der Oper zu zelebrieren (jedesmal, wenn die Musik z�rtlich wird, steht er auf, indes er sonst sitzt). Das gibt den sch�nsten Augenblicken etwas Repr�sentatives, Gestelltes, ich m�chte sagen: gesellschaftlich Paradehaftes. Als st�nde dem Orchester eben nicht dieser genialische Dirigent, sondern ein Heerf�hrer vor, der das Publikum Volksgef�hl exerzieren l�sst. So machen einem, zumal im "Deutschen Fach", die br�llenden Bravi, die bereits zwischen den Aufz�gen tosen, ziemlich schale, aus allerlei Bedenklichkeiten zusammenger�hrte Gef�hle. Dabei geht man doch wirklich nicht in die Oper, um sich ein Lehrst�ck der gesellschaftspolitischen Realit�t anzuschauen, frei nach und Variation auf Le Bon und Ortega y Gasset. Dies aber nahm ich, neben Arlauds Signalfarben und - einmal - der Elbin mythischem Gr�n, von diesem Abend mit.

Dazu passt dann widerhakig gut, dass im Zweiten Aufzug aus dem Souffleurkasten eine sozusagen dritte Hand den S�ngern dirigierend das Metrum gab, indes Herr Thielemann am Pult das Orchester dirigierte. Ihm konnte diese Hand nicht geh�ren, so lange Arme hat er nicht. Doch auf einen Nebendirigenten findet sich kein Hinweis im Besetzungszettel, was nicht nur eine Frage mangelnden Stils ist, sondern wiederum politische Fragen aufwirft, und alle haben sie mit Repr�sentation zu tun. Da kann man bangend gespannt sein, wie das Gespann Arlaud/Thielemann die n�chste Erl�sungsoper behandeln wird, die es sich vorgenommen hat: f�r Ende Januar n�mlich Korngolds "Tote Stadt".

Die S�nger haben - das ist unter Thielemann zu erwarten, und unter anderem daf�r huldigt man ihm ja - fast alle Weltniveau; Thomas Mosers Kaiser schw�chelt vielleicht ein wenig in den H�hen, daf�r k�sste er die Elbin dann r i c h t i g, jedenfalls wirkte es so, und wer Sylvie Valayre sah, versteht den Mann ganz gut. Auch ich h�tte nicht widerstanden, obgleich dieses leichte Sperren, wenngleich ihre Hand ihn weiblich-kokett von sich wegzuschieben und den �bergriff zu r�gen schien. Er nahm ihn sogleich in eine warme, freundschaftliche Umarmung zur�ck.

Gabriele Schnauts F�rberfrau f�llt den Saal mit Stimmstahl, zickig, verloren, suchend, eine "Frau aus dem Osten" mit Feuer im Bauch und unerbittlich hohen Wangenknochen; zwar, man versteht nicht ganz, was sie gegen ihren Mann eigentlich hat... d o c h, man versteht's: patriarchale V�ter taugen so schlecht zum erotischen Akt, zumal wenn sie weich sind und einem das Herz mit Mitleid r�hren.

Dass Wolfgang Sch�nes unendlich innig gesungener F�rber das allezeit tut, auch wenn er sein Weib auf dem Markt gekauft hat, sie also Ware f�r ihn ist, sagt wiederum etwas zur doppelmoraligen Faktur dieser Oper. Andererseits macht einem das den gestelzten Lack des Ersten Aufzuges ertr�glich, ja man ist dankbar dort, wann immer der F�rber den Mund auftut... doch dass er auf diesem Weibe w�hlen soll, dran mag man besser nicht denken. Aber auch f�r s i e soll ja gelten: "Was ihr an Pr�fungen/standhaft durchleidet/uns ist's zu strahlenden/Kronen geschmeidet."

Es gibt was Paralleles bei Karl May, aber davon schweig ich hier besser.

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