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Wie viel die Kultur die Stadt kostet
Kürzungswütige Politiker, die mit Macht gegen die so genannte Hochkultur agieren, kommen in Deutschland vermutlich inzwischen häufiger vor als Menschen, die älteren Herrschaften aus der Straßenbahn helfen. Das dürfte im kleinsten Stadtkreis von Baden-Württemberg, in Baden-Baden, weniger der Fall sein. Eine Studie klärt, warum die Kürzungswut auch in anderen Städten und Ländern schnellstmöglich ein Ende finden sollte – vor allem aus wirtschaftlicher Sicht.
Elīna Garanča, Bruno Ganz, das Mike Fletcher Trio oder Simone Kermes: Namen, die man im Rest der Republik seltener hört. In Baden-Baden hat man keine Angst vor großen Namen – obwohl damit in der Regel auch hohe Gagen verbunden sind – sondern freut sich über illustre Gäste. Die treten auch gern im Festspielhaus auf. An einem Veranstaltungsort, der zwar von der Stadt kostenfrei zur Verfügung gestellt, aber ansonsten nicht finanziell unterstützt wird. Und damit ein zumindest seltenes Erfolgsmodell darstellt. Nach Angaben der Geschäftsführung werden mehr als die Hälfte der Einnahmen über den Verkauf von Eintrittskarten erzielt, über ein Drittel der Kosten wird durch private Spenden und Sponsoren abgedeckt; den Rest erlöst das Haus aus der Gastronomie und dem Verkauf von Medienrechten.
„Aus reiner Neugier“, sagt Michael Drautz, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft, habe die Festspielhaus-Leitung eine Studie bei der Universität St. Gallen in Auftrag gegeben, um einmal zu schauen, wie viel Geld der Festspielbetrieb der Stadt Baden-Baden einbringt. Das Ergebnis hat Oberbürgermeisterin Margret Mergen, CDU, beeindruckt. „Die Studie unterstreicht eindrucksvoll, dass sich die mit dem Bau des Festspielhauses verbundenen Hoffnungen mehr als erfüllt haben“, freut sich die Politikerin an einem Erfolg, an dem sie – aus finanzieller Sicht – nur wenig Anteil hat. Die Wissenschaftler aus der Schweiz haben errechnet, dass die regionale Wertschöpfung im vergangenen Jahr 49 Millionen Euro betrug. Demgegenüber steht ein Investitionseinsatz der Stadt und des Landes Baden-Württemberg von 4,3 Millionen Euro.
Eindrucksvolle Zahlen
Für die Ermittlung der regionalwirtschaftlichen Effekte waren für die Wissenschaftler nur Ausgaben, die Besucher von außerhalb der Stadt Baden-Baden dort tätigen, relevant. In der Summe wurden durch alle auswärtigen Besucher im vergangenen Jahr rund 60 Millionen Euro in der Stadt Baden-Baden ausgegeben. Davon entfielen etwa 17 Millionen Euro auf Eintritte und Verpflegung im Festspielhaus, 26 Millionen Euro auf zusätzliche Umsätze von Hotellerie, Gastronomie und knapp zehn Millionen Euro auf den Einzelhandel in der Stadt Baden-Baden. Weitere drei Millionen Euro gaben Künstler in Baden-Baden aus.
Eine erste Studie hatte die Universität St. Gallen bereits 2008 durchgeführt. Schon damals waren die Ergebnisse ähnlich aufsehenerregend und hatten zahlreiche Diskussionen entfacht. Dass dabei die Validität der Studie, vor allem von politischer Seite, in Frage gestellt wurde, versteht sich nahezu von selbst. Bis heute gibt es Politiker, die die Ergebnisse der Studie schlicht ignorieren. Etwas vorschnell, denn im Mai dieses Jahres stellte die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig eine Studie zur Umwegrentabilität vor – also der finanzielle Effekt, den Investitionen indirekt in einer Region auslösen. Ohne näher auf die Zahlen der verschiedenen, dort vorgestellten Szenarios einzugehen, ergab die Studie selbst im ungünstigsten Fall noch Mehreinnahmen von drei Cent pro eingesetztem Euro, im günstigsten Fall bis zu einem Euro. Und das bei einer Investitionssumme von mehr als 62 Millionen Euro. Weitere Erkenntnis dieser Studie: Je weiter ein Haus über die Stadt hinaus wirkt, umso größer ist der Effekt.
Lokal war gestern
Damit dürften sich auch die Kulturschaffenden endgültig von dem Gedanken verabschieden, dass sie für die Bürgerinnen und Bürger ihrer Stadt arbeiten. Schon heute liegt der durchschnittliche Anteil von Kartenverkäufen an Menschen außerhalb der Stadtgrenzen bei rund 25 Prozent, ohne dass die Häuser sich aktiv darum kümmern. Oder, um es plastischer auszudrücken: Wer heute noch lokal denkt, hat die Wirklichkeit verpennt.
In Baden-Baden ist man weiter. Die Zahl der Übernachtungen stieg in den vergangenen Jahren auf knapp 100.000 jährlich. Es gab mehrere „große Hotelgründungen“ in der Stadt. Bürgermeisterin Mergen spricht aus, was so viele Opernhäuser längst zu hören verdient hätten. „Das Festspielhaus ist nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich Weltklasse.“ Obwohl es doch aus kultureller Sicht genau anders herum heißen müsste. Aber das kommt vielleicht auch noch.
Michael S. Zerban, 25.11.2014
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