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Spielchen mit Sciarrino
Zum vierten Mal lädt die Staatsoper im Schiller-Theater unter dem Namen Infektion! zu einem Festival für zeitgenössisches Musiktheater ein. Gleich drei Premieren stehen in den letzten beiden Juniwochen auf dem Programm, dazu gibt es Kurt Weills Anfang dieses Monats heraus gekommene Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – wobei in diesem Fall der Begriff zeitgenössisch sehr weit gefasst ist – und Lucia Ronchettis Kammeroper Lezioni di Tenebra nach Cavallis Giasone. Als Wiederaufnahme ist Helmut Oehrings letztes Jahr uraufgeführter AscheMond, eine düstere Neuinterpretation von Purcells Fairy Queen zu erleben.
Im Zentrum der diesjährigen Ausgabe steht Salvatore Sciarrino. Der 1947 geborene italienische Komponist ist einer der interessantesten Tonschöpfer seiner Generation. Mit der 1998 in Schwetzingen uraufgeführten und seitdem viel gespielten Gesualdo-Oper Luci mie tradici wurde er in Deutschland bekannt. Seine Werke sind Werke der Stille und der reduzierten Mittel, die vom Zuhörer ein hohes Maß an Aufmerksamkeit verlangen. Exemplarisch dafür steht das als Azione Invisibile betitelte Monodrama Lohengrin, das 1983 an der Mailänder Piccola Scala uraufgeführt wurde und in dieser Produktion auch im Berliner Theater des Westen gastierte. Nun ist das Opus in der kleiner dimensionierten Werkstatt zu sehen. Mit Wagners gleichnamiger Oper hat es nur den Titel gemein – wobei dieser bei der Premiere wirklich zu Missverständnissen führt, weil einige Besucher im Glauben gekommen sind, den Klassiker zu hören. Stattdessen tritt der Abendspielleiter auf die Bühne und bittet das Publikum um äußerste Ruhe: Weil die Musik so zart ist. Tatsächlich ergeben die feinen Töne und Geräusche, die der umsichtige musikalische Leiter Michele Rovetta den Mitgliedern der Staatskapelle und der Orchesterakademie entlockt, einen extrem fragilen Klangteppich, der den Monolog einer Frau grundiert. Es ist Elsa, die sich nach Lohengrin verzehrt. Ob es sich bei dem sie verschmähenden Mann – der stumm agierende Konstantin Bühler – um eine Traumfigur, um Wahn oder Realität handelt, lässt Regisseur Ingo Kerkhof in seiner assoziationsreichen Interpretation offen. Auch ob das Zimmer mit dazugehörigem Bad, das Stephan von Wedel entworfen hat, sich in einer Klinik oder einem Privathaus befindet, zumal magische Lichteffekte zusätzlich für Uneindeutigkeit sorgen. Die Schauspielerin Ursina Lardi verkörpert Elsa mit nicht nachlassender Intensität und einer phänomenalen vokalen Ausdrucksbreite, die neben reinem Sprechen auch eine Vielzahl von stimmlichen Lauten, wie Hecheln, Zischen oder Röcheln miteinbezieht. So gelingt ihr die beklemmende Studie einer verstörten, psychisch labilen Frau.
Feine Figuren in ausgefallenen Spielstätten
Als noch packender erweist sich Sciarrinos wiederum in Schwetzingen uraufgeführte Oper Macbeth aus dem Jahr 2002. Zum einen weil die Shakespeare-Vertonung musikalisch und gesanglich ergiebiger ist, zum zweiten weil sie spektakulär auf der Baustelle des ehemaligen Orchesterprobensaals der Staatsoper unter den Linden stattfindet. Die Bühnenbildnerin Magdalena Gut hat den Raum so ausgestattet, dass nicht erkennbar ist, was Ruine und was Kulisse ist. Die Inszenierung von Hausherr Jürgen Flimm erzählt die bekannte Geschichte angenehm traditionell, dabei aber ausgefeilt in der Zeichnung der Figuren. Sechs Stimmen umkreisen die Protagonisten, sind mal Höflinge, mal kommentierender Chor. Carola Höhn als Lady zeigt sich allen sängerischen Schwierigkeiten ihrer Partie ohne Einschränkung gewachsen und gestaltet obendrein ein eindringliches Porträt der Machtbesessenen. Ihre zwingend gespielte Wahnsinnsszene gehört zu den Höhepunkten der Vorstellung. Otto Katzameier, schon bei der Uraufführung dabei, charakterisiert die Gebrochenheit des Macbeth mit einem markanten, zu vielen Nuancen fähigen Bariton. In mehreren Rollen beweisen Katharina Kammerloher, Stephen Chambers und Timothy Sharp Wandlungsfähigkeit und vokale Kompetenz. David Coleman am Pult des Opera Lab, einem Spezialensemble für zeitgenössische Musik, koordiniert aus einer Saalecke heraus die knapp 20 Instrumentalisten, von denen einige in einem Nebenraum postiert sind, und lotet die Subtilität von Sciarrinos Partitur, in die Zitate aus Mozarts Don Giovanni und Verdis Maskenball eingewoben sind, kongenial aus.
Versuche der Artikulation
Zu dem Sciarrino-Schwerpunkt, der noch durch das Symposium Gender, Stimme und Performanz im Musiktheater Salvatore Sciarrinos vertieft wird, bildet die im großen Haus gezeigte Oper Neither von Morton Feldman einen Kontrast. Die Beckett-Vertonung aus dem Jahr 1976 ist eine Anti-Oper. Das Libretto aus 87 Wörtern ergibt weder eine Handlung noch irgendeinen erkennbaren Sinn. Die Regisseurin Katie Mitchell verpasst dem Stück nun einen Inhalt und stellt ihm zur Verdeutlichung das kurze Beckett-Stück Footfalls voran, in dem eine Frau, ausgeschlossen von der Außenwelt, mit ihrer Mutter in immer gleichen Phrasen kommuniziert. In der nahtlos daran anschließenden Oper wird diese Isolation potenziert, in dem sich zu der Schauspielerin Julia Wieninger sieben gleich dunkel gewandete Frauen und die Sängerin Laura Aikin gesellen. Sie alle durchschreiten in Signe Fabricius’ streng rhythmisierter Choreografie den suggestiven, klaustrophobischen Bühnenraum von Vicki Mortimer. Nur gelegentlich wagen sie den Ausbruch durch sich hin und wieder öffnende Seitentüren, doch ohne Erfolg. Mitchell verzichtet für ihre Inszenierung diesmal völlig auf die von ihr bekannten Videoprojektionen und setzt stattdessen allein auf die Kraft der Bilder, was im Gesamteindruck aufgrund der monotonen Abläufe wechselnd fasziniert und ermüdet. Was den Abend dennoch zum Ereignis macht, ist die musikalische Umsetzung. Aikin meistert ihre anspruchsvolle Aufgabe, 50 Minuten lang höchste Töne, Repetitionen und schwierige Intervalle auszuführen, mit reinster Intonation, feinsten Pianoschattierungen und müheloser Höhe. Der Dirigent François Xavier Roth liefert ihr dazu mit der balsamisch schön spielenden Staatskapelle ein Orchesterfundament von großer Sogkraft. Wie es überhaupt ein Besonderheit ist, Feldmans Partitur in voller Originalbesetzung zu erleben.
Das Festival wird vom Publikum gut angenommen. Die Aufführungen von Macbeth und Lohengrin sind ausverkauft, es gibt sogar eine Zusatzvorstellung von Lohengrin. So wird es die Berliner Opernfans freuen, dass Sciarrino im Auftrag der Staatsoper ein neues Bühnenwerk schreibt.
Karin Coper, 30.6.2014
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