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Kunst brennt in der Wüste von Nevada
Wo fängt Musiktheater an, wo endet es? Die Grenzen sind fließend, inhaltlich wie formal. Im subventionierten Musiktheater, nicht nur in Deutschland, scheint aber der Protest, die intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, inzwischen keine Rolle mehr zu spielen. In Amerika hat Opernnetz ihn entdeckt: den Protest. So unbestimmt er auch da sein mag.
Wenn sich rund 68.000 Menschen eine Woche lang in der Wüste von Nevada treffen, muss da wohl etwas Besonderes los sein. Und das ist seit 1986 so, als der liebesenttäuschte Larry Harvey aus Portland, dem ein anderer seine Flamme ausgespannt hatte, sich an diesem Widersacher furchtbar rächen wollte: Er zimmerte ihn als große Holzfigur zusammen und verbrannte ihn vor nur 20 Zuschauern am Baker Beach, einem Strand nahe San Francisco, so dass nur ein kleiner Haufen Asche übrig blieb. Auge um Auge, Asche um Asche!
Ob nun Harvey seine Rache noch nicht gestillt oder einfach Spaß an dem Riesenfeuerwerk hatte, ist nicht überliefert. Jedenfalls wollten im nächsten Jahr viele Freunde und Zuschauer das Schauspiel erneut sehen, wer weiss, wie viele ebenfalls Gehörnte unter ihnen waren. – Gewünscht, gesagt, getan: An gleicher Stelle ging der Verruchte ein Jahr später noch größer in noch höheren Flammen auf – vor noch mehr Zuschauern. Ein Event war geboren.
Seit 27 Jahren nun wird dieser hölzerne Galan unter wachsender Beteiligung verbrannt, die Besucherzahlen nehmen ständig zu. Neben den Hobbypyromanen kommen Künstler jeglicher Couleur und Ausdrucksformen hinzu, Performer der schrägsten Art und Konstrukteure riesiger Skulpturen aus Metall, Tuch, Plastik und Holz. Bewegungskünstler auf abenteuerlichen Gefährten durchziehen das riesige Lager, das seit 1990 wegen des benötigten Platzes und der Feuer- und Ascheentwicklung nach Black Rock Desert in die Salzwüste von Nevada verlegt wurde. Hier, rund 150 Kilometer nordöstlich von Reno, halten die Behörden ein strenges Auge auf das art festival und begrenzen die Teilnehmerzahl in diesem Jahr auf 68.000 – die Karten waren innerhalb weniger Stunden über das Internet ausverkauft, an ein internationales Publikum aus aller Herren Länder. Inzwischen gibt es eine burning-man-Gemeinde, die einfach des Treffens wegen zusammen kommt: keine gemeinsame Ideologie, unterschiedlichste soziale Herkünfte und Alter und die Flucht vor dem Kommerz: Während des Festivals gibt es nichts zu kaufen und nichts zu gewinnen – und das in Amerika! Wer etwas braucht, fragt den Nachbarn, wer etwas hat, lädt die Nachbarn oder vorbeiziehende Besucher ein – einfach so, just for fun. Es gibt Bands, aber wenige, das Ganze hat schon einen Anklang von Techno, aber nicht nur, DJ´s machen ihre „kleine“ Musik auf den mitgebrachten Anlagen, alles geht eher „gesittet“ zu – am überraschendsten: mäßiger Alkoholkonsum, kaum Drogen! Das Ganze hat schon einen Hauch von Woodstock, vielleicht gegen Konsum und Kommerz gerichtet. Hier im Camp findet man Geschäftsleute mittleren und höheren Alters, die einfach Leute auf ihre Kosten einladen und versorgen.
Faszination weltweit
Julia und Markus aus Berlin, die zurzeit in Detroit leben, haben seit einem Jahr darauf hin gearbeitet, endlich zum Festival zu kommen. Vor drei Wochen ging es endlich los. Nach über 3.000 Kilometern auf den Highways von Michigan nach Nevada bauen sie ihren Van am Rande der riesigen, wohl geordneten Festivalstadt auf und sind schon mitten im Getümmel. Es gibt ein riesiges, kaum überschaubares Programm, wohin sie auch blicken, überall ist etwas los: Sie entdecken merkwürdige Großfiguren, verrückte Gruppen, Radfahrerkolonnen und den einsamen, verkannten Künstler in seinem bunten, fahrbaren Pilz, hier entsteht eine durch und durch pinkfarbige kleine Zeltstadt, dort entdecken sie ein Segelschiff in der Wüste... Wer sich hier langweilt, dem ist nicht mehr zu helfen. Weshalb sie hierhergekommen sind: „Wir lieben Techno-Festivals. Der burning man ist wohl das Größte, ein Muss!“ Was hat sie am meisten überrascht? „Das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören – und das Fehlen von jeglichem Kommerz.“ Und was nehmen sie mit? Vor allem den festen Entschluss, 2014 wieder dabei zu sein!
Ein großes Motiv für viele Besucher sind die schrillen, schrägen artists und arts: Hier fährt einer in einem mannshohen bunten Muffin den ganzen Tag durchs Lager und lässt sich zu einem Drink, einem Snack einladen, dort pinselt sich eine Gruppe beim bodypainting eine neue Hautfarbe auf, da drüben spuckt eine metallene Riesenkrake ihr Feuergift in die schon heisse Nevadaluft. Die Kleidung ist der Hitze der Wüste von Nevada und dem Event angepasst: schräg, einfallsreich bis nicht vorhanden. Nacktheit ist ein weiteres Element eines undefinierten Protestes, sie wird von einigen Besuchern selbstverständlich praktiziert, nicht zur Schau getragen. Ein beliebtes Kleidungsstück bei Männern und Frauen sind Tutus, die in bunten Farben über anderer Kleidung getragen werden. Die Schutzbrille gegen den Wüstenstaub ist kein Accessoire, sondern dringend benötigter Augenschutz. Das Festival entsteht in der Wüste als eine temporäre Stadt aus Zelten, Wohnmobilen und Phantasiegehäusen, die anschließend wieder abgebaut oder verbrannt werden. Ehrenamtliche Mitarbeiter kümmern sich weltweit um die Organisation, sorgen dafür, dass am Ort des Festivals keine Spuren hinterlassen werden. Jeder muss alle Mitbringsel inklusive des Schmutzwassers mitnehmen: Keine Spuren in der Wüste – und es funktioniert! Inzwischen hat sich auch eine deutsche Session gegründet.
Kunst als allumfassender Begriff
Die „Kunstbeiträge“ sind eher Installationen, performances und events als fertige Stücke. Der Kunstprozess, der Fortgang des Entstehens ist ganz wichtig; an ihm nehmen viele Freunde und Besucher teil. Ein Autor, ein Erfinder, ein Künstler? Warum eigentlich, es ist „unsere“ Kunst. Und in vielen Fällen endet die Existenz dieser Kunstprozess-Werke nach einer Woche gemeinsam mit dem alles überragenden burning man im Feuer oder wird auf andere Weise beendet – eigentlich nicht zerstört.
Das Festival „The burning man“ in den USA ist nicht nur eine große aktuelle Kunstausstellung, sondern auch ein Ort ungewöhnlicher Selbstdarstellung einzelner und eine große Multi-Generations-Party.
Es ist schwer zu sagen, ob und für welche gemeinsame Botschaft „The burning man“ steht, dessen Popularität längst die USA überschritten und seine internationale Gemeinde gefunden hat. Eines aber ist nicht zu übersehen: die Zahl der US-Amerikaner, die genug haben vom pietistisch-miefig-verbietend-kontrollierenden Amerika wächst langsam weiter – und nicht nur in der jungen Generation. Das während der Diskussion über die Snowden-Protokolle und der immer neuen Enthüllungen der Praktiken der NSA zu beobachten, kann ein wenig trösten und Mut machen, solange es noch Platz gibt für Festivals wie „The burning man“ und seine ständig wachsenden Besucherzahlen.
Horst Dichanz, Ann Arbor, Michigan, USA, 23.9.2013
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