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Mit Mut zur Kritik


 
 

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Begegnung mit einer Legende

Die Mitglieder des Opernstudios der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg beginnen bereits, sich in alle Winde zu zerstreuen. Gerade haben sie noch gemeinsam eine Meisterklasse bei Helen Donath absolviert, aber schon zum Abschluss haben nicht mehr alle Teilnehmer Zeit anzutreten. Sie haben was verpasst.

Wer die gebürtige Texanerin nicht kennt, wird von ihrer Vitalität und Zuwendung überrascht. Immerhin feiert Helen Donath, geborene Erwin, in diesen Tagen, wie sie selbst sagt, ihren 74. Geburtstag. Das lässt sie zwar daran denken, ihre Bühnenlaufbahn zu beenden, hindert sie aber nicht, „den Staffelstab an die junge Generation weiterzureichen“. Und so durften die Teilnehmer des Opernstudios der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg noch einmal an einem Meisterkurs bei einer lebenden Legende teilnehmen. Die Kammersängerin mit dem Ehrendoktor hat alle großen Bühnen dieser Welt kennengelernt. Die einen knien bis heute vor ihrer Stimme nieder, die anderen nehmen die unendlich warmherzige, lebensfrohe Frau beglückt in den Arm.

So auch ihre Schützlinge, die in ihr eine Lehrerin erleben dürfen, wie es nicht mehr viele gibt. Auf der einen Seite ihre herzliche, mütterliche Art, auf der anderen Seite steht ein messerscharfer Sachverstand, der keine Ungenauigkeit, keine Schwäche durchgehen lässt. Sie hört wie ein Luchs, singt noch immer aus dem Stand wie ein Paradiesvogel und ist lebendig wie eine Katze auf der Jagd.

Da gibt es nach einer Woche nicht einfach ein Abschlusskonzert und fertig. Da bringt sich am Ende dieser Woche intensiver Übungen die Lehrerin noch einmal ein. Helles Tageslicht fällt noch durch das verglaste Dach des ehemaligen Klosterhofs im heutigen Maxhaus in Düsseldorf, als die Mitglieder des Opernstudios zu einem Konzert antreten, an dessen Ende sie mehr geschwitzt haben werden als im Hochsommer an der Côte d’Azur.

Dabei fängt alles so harmlos an. Dramaturg Bernhard Loges, der allmählich auch immer sicherer wird, moderiert. Dagmar Thelen und Francis Patrick Chestnut haben bereits am Flügel Platz genommen. Die bezaubernde Luiza Fatyol betritt die Bühne und beginnt mit Mozart. Gefühlvoll trägt sie ihre Arie vor. So kann das Konzert ja weitergehen. Freundlicher Applaus für eine gelungene Leistung. Und dann – greift Helen Donath zum Mikrofon. Ausgesprochen liebevoll gegenüber der Person, aber hart in der Sache überrascht sie das Publikum mit Hinweisen auf Passagen, die die Hörer eigentlich hingenommen hätten. Glaubt man bei Fatyol noch an eine Spiegelfechterei, die das Geschehen im Meisterkurs andeuten soll, wird spätestens bei der nachfolgenden Jessica Stavros klar, dass Donath unbarmherzig den Finger in die Wunde legt.

Fatyol und Stavros haben genau wie Evgenii Nagovitcyn und Paul Stefan Onaga in den vergangenen Jahren eine atemberaubende Entwicklung hingelegt. Auch Aïsha Tümmler hat sich prächtig weiter entwickelt. Nun müssen sie sich noch einmal einer öffentlichen Kritik stellen, die auf den Punkt auf ihre Schwächen hinweist. Psychologisch ist das eine Tortur, der sich vielleicht gerade mal schmerzbefreite Kandidaten bei so genannten Reality-TV-Shows stellen. Damit beweisen die Opernstudio-Teilnehmer ihr echtes Format. Was sonst nur unter „geschützten Bedingungen“ stattfindet, wird jetzt auf offener Bühne ausgetragen. Kompliment an die Sängerinnen und Sänger, weil sie das aushalten, Kompliment an Donath, dass sie so liebevoll mit den „Delinquenten“ umgeht. Sie erklärt dem Publikum die grundsätzlichen Fehler, was schon oft an Lebensweisheiten grenzt. Mancher Zuschauer im Publikum hat da durchaus auch Aha-Erlebnisse. Wenn beispielsweise die Sopranistin gequält in dramatische Höhe emporsteigt, was das Publikum zunächst begeistert, aber nach den Hinweisen von Donath ernüchtert, die ganz rasch die entsprechende Stelle noch einmal wunderbar intoniert.

Ein besonderes Erlebnis liefert Nagovitcyn, der immer noch als Tenor firmiert, aber eigentlich wie ein großartiger Bariton klingt. Während man ihm zuhört, gehen die Gedanken dahin, warum ein solches Talent nicht am bevorstehenden Belvedere-Gesangswettbewerb in Düsseldorf teilnimmt. Alles eine Frage der fehlenden Information. Nagovitcyn hat sich tatsächlich für die Finalrunden des Belvedere qualifiziert und wird in der kommenden Woche beweisen, dass er in die Führungsspitze des Nachwuchses gehört. Bis dahin weist Donath ihn noch in die Schranken. Das aber mit viel Spaß auf beiden Seiten.

Donath, das muss man wissen, ist eine Meisterin der Technik. So kann sie auch mit Leichtigkeit noch im fortgeschrittenen Alter jungen Leuten, die an die Zukunft des Gesangs glauben, vorsingen, worauf es ankommt. Sie ist keine Entertainerin. Und deshalb gelingt es ihr nicht, das Publikum zum Mitsingen bei Funiculì, funiculà zu bewegen. Ist auch gar nicht nötig. Denn das Publikum ist begeistert. Von Sängerinnen und Sängern, die die Zukunft der Oper garantieren, und einer Helen Donath, die mit ihrer Begeisterungsfähigkeit dafür sorgt, dass es diese Zukunft auch gibt. Warum vor ihr niederknien, wenn man sie umarmen kann?

Michael S. Zerban, 29.6.2014

 


Aufnahmereif - „zu 98 Prozent“:
Jessica Stavros und Luiza Fatyol haben
viel Spaß im Duett Sull'aria ... che soave
zeffiretto
aus Le Nozze di Figaro.


Nach der Kritik: Paul Stefan Onaga
und Helen Donath verlassen
gemeinsam die Bühne. Auf den Tenor
wartet eine große Zukunft.


Vor versammelter Mannschaft wird
Evgenii Nagovitcyn in die Mangel
genommen. Er beweist Humor und
Größe
.


Onaga und Nagovitcyn präsentieren
zum vierhändigen Klavierspiel ein
Duett, das auch Helen Donath
begeistert.


Nach anderthalb Stunden schickt eine
glänzend aufgelegte Primadonna ihre
Schützlinge beglückt auf die Bühnen
dieser Welt.

Fotos: Opernnetz