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Marcus Bosch and Friends
Ein Sommer ohne Klassik? Nicht in Graubünden. Hier gibt es ein umfangreiches Angebot an den unterschiedlichsten Orten. Zum vierten Mal präsentieren sich die Waldhaus-Konzerte Flims, das Festival an der Rheinschlucht, der Öffentlichkeit. Marcus Bosch, Nürnberger Generalmusikdirektor, hat ein Konzept entwickelt, das für alle Seiten einen Gewinn bringt. Nur der ganz große Wurf steht noch aus.
Am Anfang steht ein Abschied. Christian Weidmann, Geschäftsführer der Waldhaus-Konzerte Flims und Mitbegründer des Festivals, gibt seine Abschiedsvorstellung. Der studierte Geiger und Musiklehrer hat nicht nur eine Familie gegründet, sondern auch die Betreuung des Aargauer Symphonie Orchesters übernommen, das sich neuerdings Argovia Philharmonic nennt. Da bleibt keine Zeit mehr, sich um die aufwändige Organisation des einwöchigen Festivals so zu kümmern, wie er es für notwendig hält. Zu Anfang des Abschieds allerdings steht eine Liebeserklärung. „Es ist die Kombination von Natur, Bergen, einem Hotelpark, einem wunderbaren Saal mit viel Potenzial. Was dazu führt, dass Künstler hier spielen und sagen: Das ist einer meiner Lieblingssäle, und ich liebe Flims. Das gibt so eine Stimmung. Es ist tatsächlich familiär – irgendwo. Die Künstler genießen es. Die sagen: Ich komme um zwei zur Probe. Sie kommen dann um viertel nach zwei, weil sie noch auf der Veranda waren oder so. Es ist kein Druck. Man kriegt alles übereinander. Man fühlt sich wohl hier.“
Das Wohlgefühl wird einem leicht gemacht im Waldhaus-Resort. 1877 als Kur- und Badeanstalt gegründet, hat sich das Resort längst zu einem mondänen Ferienort in den Alpen der Südostschweiz im Vier- bis Fünf-Sterne-Bereich entwickelt. Im Mittelpunkt stehen bis heute die Jugendstil-Gebäude des Grand Hotels und der Villa Silvana wie auch des Pavillons. Wer sich im Dreieck der Gebäude bewegt, hat den Ort der Kumulation von unendlicher Sehnsucht und der absoluten inneren Ruhe der Bergwelt gefunden. Willkommen auf dem Zauberberg, in der mystisch-sensiblen Welt des Thomas Mann, auch wenn in Flims das im Zauberberg mitschwingende Symbol des Niedergangs, die Tuberkulose, längst Vergangenheit ist. Mit seinem umfangreichen Spa-Bereich will das Resort das genaue Gegenteil anbieten. Und das gleich unterschiedlichsten Zielgruppen. Das hat seit drei Jahren Urs Grimm mit seiner Frau Yasmin zu verantworten. Und der Hoteldirektor ist zuversichtlich. So wie er den Renovierungsstau auflösen will, möchte er auch neue Impulse setzen. Und ist damit begeisterter Anhänger der Waldhaus-Konzerte, die ihren Namen bekommen haben, weil das Waldhaus-Resort neben vier anderen Hotels Hauptaustragungsort des Festivals ist. „Wir haben den Anspruch mit dem Festival – neben der hochkarätigen Musik – dass wir einen Mehrwert für die Destination bieten können. Auch für die Gäste in Flims, Laax, Falera, für die Einheimischen und für unsere Hotelgäste. Das ist unser Anspruch. Jetzt langsam kommen auch wirklich Gäste nur wegen des Festivals zu uns in die Ferien. Die verbinden das mit der wunderbaren Natur dann, mit der Rheinschlucht, mit dem Aufenthalt hier, und am Abend genießen sie hochkarätige Musik“, erklärt der vergleichsweise junge Direktor, der als Koch begonnen und sich dann durch die Hotellerie inklusive einschlägiger Studien hochgedient hat, ehe er seinen Master abschloss und von Bern, wo er als Vizedirektor arbeitete, nach Flims ging.
Den Ansprüchen gerecht werden
Hier, eine halbe Autostunde von Chur und etwa 80 Kilometer von Zürich entfernt, finden sich die gutbetuchten Gäste ein, um traditionell der Sommerfrische zu frönen. Hielten sich die Herrschaften früher durchaus zwei bis drei Monate vor der prächtigen Kulisse des Flimserstein auf, haben sich die Aufenthalte inzwischen beträchtlich verkürzt. Immer noch aber folgt hier Generation auf Generation. Und nicht ohne Stolz erzählt Direktor Grimm davon, dass man hier manches Kind hat aufwachsen sehen, das noch als Erwachsener willkommen ist. Und mittlerweile auch die eigenen Kinder mitbringt.
Auch Marcus Bosch liegt die Jugend ganz besonders am Herzen. Ihr einen Zugang zur klassischen Musik zu verschaffen, ist ihm Anliegen. Im Hauptberuf Generalmusikdirektor in Nürnberg, hat er unter anderem zehn Jahre lang die Graubündener Kammerphilharmonie geleitet und seither seine zweite Heimat in der Schweiz gefunden. Als ihm die künstlerische Leitung der Waldhaus-Konzerte angetragen wurde, hat er sofort zugegriffen. Zu verlockend die Rahmenbedingungen: Einzuladende Solisten erhalten statt der Gage einen mehrtägigen Aufenthalt, Orchestermitglieder bekommen ihre Zimmer so preiswert, dass sich An- und Abreise zwischen den Auftritten nicht rentieren und obendrauf gibt es nahezu ideale Musizierbedingungen: Ob Kammermusik im Saal des Pavillons, große Auftritte in der Curling-Mehrzweck-Halle oder Konzerte an der Rheinschlucht – alles ist möglich. Bosch hat dazu ein System geschaffen, das aus allen Teilnehmern Gewinner macht. Er lädt befreundete Musiker der Spitzenklasse ein, die so einen entspannten Sommer im mondänen Umfeld genießen und andere Künstler in freundschaftlicher Atmosphäre treffen können, während die Hotels sich steigender Nachfrage erfreuen und Hotelgäste wie auch Einheimische Künstler der Spitzenkategorie ganz hautnah sehen und hören, die sie ansonsten oft nicht einmal in der Entfernung einer Bühne erleben dürfen.
Bekannte Solisten hautnah erleben
So war in den vergangenen Jahren der Pianist Lars Vogt ebenso zu Gast wie der Geiger Christian Tetzlaff. Heuer sind unter den illustren Gästen Namen zu finden wie Isabelle Faust, Joseph Moog, Mathias Tosi, Leila Pfister oder Michaela Maria Mayer. Solisten, die man sonst nur auf den großen Festivals findet. „Wer nach Salzburg fahren will oder nach Bregenz, was man ja überhaupt nicht miteinander vergleichen kann, der tut das eh. Wer aber Künstler wirklich hautnah erleben will und, glaube ich, auf eine völlig andere Art und Weise entspannt, ohne den Druck des Betriebes, der ja in den großen Festivals natürlich in jeder Sekunde spürbar ist, der findet hier an diesem wirklich magischen Ort zwischen Rheinschlucht und Flimserstein, diesem Felssturz, der jetzt Weltnaturerbe geworden ist, eine Atmosphäre vor wie an wenigen Orten oder nur an Orten, wie man sie eben in den Bergen finden kann. Für mich persönlich ist eben auch die Magie des Ortes entscheidend gewesen, und der Mythos des Rheins, was die Gemeinden hier selber noch gar nicht so sehr entdeckt haben, wie ich denke, dass es Potenzial birgt für die Zukunft“, sagt Intendant Bosch, der durchaus auch von dem träumt, was bislang noch nicht passiert ist: Dass das Musiktheater in Flims Einzug hält. Bislang hat es eine konzertante Aufführung der Elektra in der Curling-Mehrzweck-Halle gegeben – eine Option auf die Vision des Intendanten, nicht mehr. Der träumt davon, nie gesehene Inszenierungen beispielsweise in der Rheinschlucht zu erleben. Und wer ihm zuhört, ist davon überzeugt, daran auch eines Tages teilnehmen zu dürfen.
Währenddessen sieht Urs Grimm es ein wenig pragmatischer. „Dass wir 2.000 E-Bikes nächstes Jahr nach Flims bringen, auch mit den E-Bike-Strecken, mit den Ladestationen, dass man diese Natur erleben kann“, erfüllt den Hoteldirektor mit mehr Vorfreude als die Vorstellung einer Inszenierung des Ring des Nibelungen in der Rheinschlucht. In diesem Spannungsfeld zwischen Vision und Experimentierfreude, zwischen kleinklein und exzellenter Kammermusik kann sich das Festival in Flims zu weitaus Größerem entwickeln, als es heute schon ist. Die Gäste der Hotels sind jedenfalls ebenso begeistert wie die Einheimischen – und werden sicherlich so manchen Entwicklungsversuch mit Vergnügen mittragen. Auch dann, wenn die Eröffnungsfeier einmal nicht auf das heißeste Wochenende des Jahres fallen wird.
Michael S. Zerban, 30.7.2013
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