Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links          Partner von DuMont Reiseverlag  
     

NEWS 

Ignorierter Kulturwandel


 
 

zurück       Leserbrief

Demokratische Aufgaben

Quer durch Deutschland lodern in den Theatern Brandherde. Unter dem Deckmantel der Notwendigkeit von Einsparungen gefährden die politischen Entscheidungsträger gleich reihenweise die Existenzen der Häuser. Opernnetz hat sich erkundigt, wohin der Weg geht und welche möglichen Alternativen denkbar sind.

Wer weiß, wie lange sich Intendant Christian von Treskow noch vor der Wand seines Wuppertaler Theaters ablichten lassen kann. Die Bagger rattern schon im Hintergrund. Wuppertal: Theatersanierung durch Abriss – die neueste, zynischste Form der Haushaltssanierung in der Kulturszene.

In Dessau tritt der als friedfertig geltende katholische Oberbürgermeister Klemens Koschig in protestierender Luthermanier mit einer Axt in der Hand auf, um „sein“ Theater gegen die irrsinnigen Sparpläne der Landesregierung zu verteidigen. Christian Egert, Mitteldeutsche Zeitung, wundert sich bei einem Vergleich von Sachsen-Anhalt und Thüringen über den hier seit 2009 steigenden Kulturetat und hält das überall gängige Hauptargument „alternativlos“ für politisch verordnete Augenwischerei. Er weist auf des Pudels Kern hin: „Anders als in Thüringen ist (in Sachsen-Anhalt, H.D.) der Vize-Regierungschef nicht der Kultus-, sondern der Finanzminister…“. Da gibt es ja wohl doch Alternativen bei den Prioritäten. Frau Lieberknecht, CDU, Landeschefin von Thüringen: „Unser kultureller Reichtum – er ist unser wertvollstes Potenzial.“

Rostocks Geschäftsführer Stefan Rosinski kritisiert denn auch die „Selbstmandatierung“ der Politiker, wenn sie für sich in Anspruch nehmen, für das „steuernzahlende Publikum“ zu reden. Intendant Peter Leonard kennt die internationale Szene und verschiedene Finanzierungsmodelle, er sieht die öffentliche Finanzierung der deutschen Theater besonders in kleinen Städten in Gefahr. Er vermisst in der Politik generell „den Respekt gegenüber den unabdingbaren Beiträgen der öffentlich finanzierten Theater zur Pflege der Bildung.“

Genau darum geht es: Um den Anteil der öffentlichen Finanzierung von Theatern und Orchestern, ja, des ganzen Kulturbetriebes, der bei etwa 82 bis 85 Prozent liegt. In Halle, Duisburg, Gera, Köln und vielen anderen Städten werden Einsparungen verlangt, sind Kürzungen angesagt oder schon durchgeführt, stehen Theater auf der Kippe. Aber nicht nur die Theaterleute sind in Aufruhr. Inzwischen machen immer mehr Besucher, Bürger sich für „ihr“ Theater stark und gehen auf die Straße. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern mit einer durchgängig öffentlichen Finanzierung von Theatern, Orchestern, Museen und anderen Kulturinstituten. Die Häuser hier werden oft von ausländischen Kollegen beneidet: Golden Germany. Wird das bald Vergangenheit sein? Länder und Kommunen tragen gemeinsam etwa die Hälfte der Theaterfinanzierung, der Bund fördert einige Projekte. Die öffentliche Finanzierung für Theater und Orchester beträgt derzeit fast zwei Milliarden Euro, das sind etwa zwei Promille der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden. Eigeneinnahmen der Theater durch Eintrittskarten und Sponsoren sind sehr unterschiedlich, kommen aber selten über zehn bis zwölf Prozent hinaus.

Unsere Nachbarn

Das Theaterland Österreich ist, besonders was das Musiktheater betrifft, mit festen Häusern hervorragend versorgt. Die Häuser des Bundestheaters sowie Landes- und Stadttheater werden erheblich subventioniert. Wie in Deutschland hat auch in der Alpenrepublik eine Debatte um institutionelle Reformen und Finanzierungen der gesamten Kulturpolitik eingesetzt. Hier möchte man Theorie und Praxis, Konzeptionen und Publikumswünsche näher zusammen bringen, Strukturpolitik und Programmarbeit besser verzahnen. Kritiker befürchten eine Tendenz zu Unterhaltung und Premierenglitter, „es bleibt beliebig und brav.“ Wenn diejenigen, die die Strukturen schaffen und das Geld bewilligen, gleichzeitig die Struktur mitliefern, bleibt die Kreativität schnell auf der Strecke. „Kulturpolitik erzeugt nunmehr auch das Kulturangebot, finanziert und kontrolliert Räume und Inhalte. Das ist sowohl demokratiepolitisch als auch kulturpolitisch absolut bedenklich.“ Das erinnert an Diskussionen, wie sie aus Deutschland bekannt sind. Auch hier gibt es Tendenzen, Kulturinstitutionen in städtische Ämter einzugliedern, sie kameralistischer Haushaltsführung und damit enger kulturpolitischer Kontrolle zu unterwerfen, wie Wiltrud K. Hackl das für Österreich fürchtet.

In Frankreich ist das deutsche Subventionierungssystem für Theater und Bühnen unbekannt. Dort gibt es nur sehr wenige staatliche und kommunale Bühnen, dafür mehr freie, die sich selbst finanzieren müssen. Stattdessen werden hier die Künstler direkt sozial abgefedert. Mit dem Nachweis einer bestimmten Zahl von Auftritten erhalten sie ein Salär vom Staat.

Die Niederlande leisten sich eine stark begrenzte öffentliche Finanzierung ihrer Theater und Orchester, bevorzugt werden zentral tätige Häuser und Organisationen wie etwa die Nationale Reis Opera oder die Opera Zuid, die mit öffentlichen Mitteln finanzierte Theaterproduktionen in die verschiedenen Provinzen der Niederlande bringen.

Die in England seit Shakespeares Zeiten privat organisierte Theaterszene ist überschaubar und nicht verwöhnt. Seit Jahren gibt es hier eine öffentliche Debatte über die schlechten Bedingungen für Theater und Orchester. Nun muckt die Szene auf und reklamiert mehr Selbstbewusstsein für gute künstlerische Arbeit. Nach der Stronger Together conference 2011 entwickelte sich in dem einflussreichen Theatreblog von Lyn Gardner eine Diskussion über den Wert künstlerischer Arbeit. Selbstbewusste Stimmen fordern „Don't sell yourself short”. Ein Blogger mahnt seine Kollegen: „Most importantly, it's about not selling your best ideas for less than they're worth.” Er kritisiert zaghafte Künstler: „Artists are grateful for any money they can get, but too often the project is squeezed to fit the funding available – not the other way around.” Doch bessere Arbeitsbedingungen für einzelne Künstler schaffen noch kein Breitenangebot.

Alles besser in Amerika?

Die durchgängig private Finanzierung von Theatern wie anderen Kultureinrichtungen in den USA hat mehr als zwei Seiten. Im März 2013 sagte das Symphonieorchester San Francisco ein Konzert in der Carnegie Hall ab und überraschte mit mehrwöchigem Streik. Danach rollte eine Streikwelle der Orchestermusiker durch viele Städte von Atlanta über Chicago, New York bis Philadelphia, obwohl diese Musiker auf hohem Niveau klagen. Musiker von Spitzenklasse-Orchestern schaffen es durchaus auf gut 140.000 Dollar pro Jahr. Das entspricht etwa 105.000 Euro.

Der Rostocker Intendant Leonard, selbst gebürtiger Amerikaner, sieht große Gefahren für Theater und Orchester, die in den USA 25 bis 40 Prozent ihrer Einnahmen über den Ticketverkauf generieren, wenn sie von wirtschaftliche Zyklen abhängig sind. Auch hier ist eine Breitenwirkung durch Ticketpreise begrenzt, wenn diese in ersten Häusern schnell auf über 100 Dollar hochschnellen. Trotzdem „gibt es heute weit mehr Theater, Orchester, Schauspiel- und Tanzcompagnien als vor 50 Jahren“, außerdem mehr Besucher und Neubauprojekte. Ausdrücklich lehnt der Intendant „eine Mischlösung zwischen dem deutschen und dem amerikanischen System ab. Die zwei Systeme sind extrem gegenteilig.“ Zwar sieht er erhebliche Probleme durch das deutsche Steuerrecht, das Spenden durch „Privatpersonen und Unternehmen viel problematischer“ macht als in den USA. Aber er ist sich sicher: „Eine wesentliche Reduzierung der öffentlichen Theaterfinanzierung durch private Sponsorengelder ist in Deutschland nicht möglich“, dies würde langfristig die Demokratie gefährden.

Der Amerikaner Chris Ashworth hält die Idee des Ticketverkaufs für überholt und zitiert einen Blogger: „If selling tickets is your business model, you’ve got a problem”. Ihm schwebt ein genossenschaftsähnliches Modell vor, in dem der Verkauf eines Produktes, also einer Aufführung, durch die Teilnahme an einem Prozess in Gestalt eines Vereins ersetzt wird, denn in der Kunst „ultimately the priority is the creation of community“. So verlockend die Idee ist, nur Vereinsmitglieder kulturell zu „bedienen” und sie für „ihr“ Theater zahlen zu lassen, so notwendig ist die Frage, wie dann der allgemeine Bildungsauftrag der Kultur verwirklicht werden soll. Die von Ashworth gestellte Frage „How far away is the current theatrical model from representing a successful for-profit business?” unterwirft den Kulturbetrieb uneingeschränkt den Marktgesetzen und -mechanismen. Aber wollen wir das? Ist das unsere Kultur ?

Gesellschaftlicher Wert Kultur

Die Intendanten Leonard in Rostock und André Bücker in Dessau treffen eher die Stimmung im Lande. Bücker: „Viele Menschen sind zornig, tatsächlich. Und es gibt ein großes, großes Unverständnis darüber, wie die Politik agiert, wie sie mit der Kultur umgeht… Hat sicherlich auch mit einer gewissen Kulturlosigkeit der Entscheidungsträger zu tun“.

Ein Dessauer Besucher macht auf ein neues Faktum aufmerksam, das sich in vielen Protestaktionen zeigt: Theater, Orchester und andere Kultureinrichtungen dienen heute nicht mehr dem Zeitvertreib und Amüsement gelangweilter Landesfürsten. Diese Kultureinrichtungen, sofern öffentlich gefördert, sind heute erarbeitete und bezahlte Gemeininstitutionen für alle. Theater sind Bürgertheater geworden. Viele Häuser haben das längst verstanden und praktizieren ein demokratisches Kulturverständnis. Sie orientieren ihre Spielpläne neu, sie pflegen umfangreiche und erstaunliche theaterpädagogische Programme, sie verlassen ihre gepolsterten Häuser, gehen in die Vororte und Stadtteile, um auch die „bildungsfernen Schichten“ dort anzusprechen – und sie erreichen sie, langsam, aber immer mehr. Das schlägt sich in Zahlen nieder: Im Theater- und Orchesterbereich stiegen in der Spielzeit 2010/2011 die Besucherzahlen um fast eine halbe Million bei insgesamt 35 Millionen. Als wichtigsten Grund hierfür nennt der Deutsche Bühnenverein eine erhebliche Ausweitung des Angebotes. „Neben den klassischen Sparten Theater, Oper, Tanz, Konzert wird das Theater immer mehr als Raum für den öffentlichen Diskurs gesehen... Und es werden wieder mehr und neue Spielstätten genutzt“.

Damit ist eine „Demokratisierung“ von Theater und Kultur eingeleitet, die viele so genannte Kulturpolitiker nicht wahrgenommen haben. Mit Recht beklagt Rosinski, dass „nichts von dieser … veränderten Arbeitswirklichkeit“ in das Gutachten eingeflossen ist, das sich die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern für ihren Kulturbereich ausgerechnet von einer Managementfirma hat schustern lassen. Hätte sich dieses Beratungsunternehmen nur ein wenig in der Szene kundig gemacht, hätte sie bemerkt, dass sich nicht nur einige „Fakten“ verändert, sondern auch die gesellschaftlich-kulturellen Funktionen der in Deutschland öffentlich geförderten Theater und Orchester gewandelt haben. Das markiert der Deutsche Bühnenverein demonstrativ und plakativ mit dem Antrag bei der deutschen UNESCO-Kommission (DUK), die in mehreren Jahrhunderten entstandene Theater- und Orchesterlandschaft für die Liste des immateriellen Kulturerbes vorzuschlagen.

Action!

Für einen solchen Antrag gibt es – leider – einen aktuellen Anlass: Im Rahmen der europäisch-amerikanischen Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen bemüht sich die amerikanische Seite um ein umfassendes Abkommen ohne Ausnahme, das alle Entwicklungen dem freien Markt überlassen soll. US-Vizepräsident Jo Biden kann es nicht schnell genug gehen, möglichst einfach und umfassend! Doch noch weigert sich Europa, den Warencharakter von Kunst und Kultur zu akzeptieren. Schnell platziert Frankreich seine kategorische Forderung, die Bereiche Kultur und audiovisuelle Dienste von einem solchen Abkommen auszunehmen. Da muss die DUK darauf hinweisen, „dass das Abkommen nicht zu einem Verbot öffentlicher Förderung von Kultur, Wissenschaft, Bildung und Medien in Deutschland führen darf“. Schließlich soll die künstlerische Vielfalt des immateriellen Kulturerbes geschützt werden.

Es gibt viel zu tun: vom Rostocker Rat über das Kultusministerium in Sachsen-Anhalt bis zur Deutschen Unesco Kommission! Ein Rostocker Bildhauer hat wohl recht: „Das Theater findet außerhalb des Theaters statt.“ Deshalb muss die Besetzungsliste überprüft werden.

Horst Dichanz

 


Die Zeichen des Protestes mehren
sich. Noch kämpfen die Bürger mit
Witz und Originalität statt mit Gewalt.


Den Raubbau der Kultur stoppen:
Immer mehr Menschen gehen auf die
Straße - spätestens wenn ihre eigenen
Theater betroffen sind.


Klemens Koschig, Oberbürgermeister
von Dessau, kämpft auf der Straße mit
für den Erhalt seines Theaters.


Pflöcke einschlagen, um das Theater
gegen die kommenden Stürme zu
befestigen. Die Wut der Bürger steigt.


Theater sind Anstalten der
Demokratie. Vielleicht sind sie
deshalb so gefährlich für die
politische Kaste.