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Langweilige Promis


 
 

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Ohne geht's nicht

Wenn ein Zaubertrick durchschaut ist, funktioniert er nicht mehr. Wenn die Masche zu oft praktiziert wird, langweilt sie. Das hält die unabhängigen Musical-Veranstalter nicht davon ab, immer wieder auf dieselbe Masche zu setzen. Was sich kommerziell lohnt, schadet dem Ensemble. Aber auch bei der neuen Tournee von Richard O’Brien’s Rocky Horror Show setzen die Veranstalter wieder auf prominente Zugpferde.

Der unvergessene Dirk Bach als Heinz Wäscher in Kein Pardon, Volksmusikantin Stefanie Hertel als goldgelockter Weihnachtsengel in Vom Geist der Weihnacht oder eine hochschwangere Maite Kelly in Die schwarzen Brüder: Das Schema ist stets das Gleiche. Ein mehr oder minder prominenter Zeitgenosse wird für eine Musical-Produktion als „Zugpferd“ eingesetzt, um die Kassen klingeln zu lassen. Den „Promis“, die dann meist doch eher aus der zweiten Reihe stammen, ist es Recht, und die Lokalpresse freut’s, wenn ein wenig Geglitzer in den staubtrockenen Heimatnachrichten aufleuchtet.

So wird es auch jetzt wieder passieren, wenn Richard O’Brien’s Rocky Horror Show Ende Oktober wieder auf Tournee in Deutschland, Österreich und der Schweiz geht. Bereits in der Spielzeit 2011/12 war das Kultmusical in der Inszenierung von Sam Buntrock auf deutschen Bühnen zu erleben, und inzwischen ist der Druck gestiegen. Längst haben die Stadttheater die Rocky Horror Show für sich entdeckt und führen sie gern und schon mal mit großem Erfolg auf den öffentlich finanzierten Bühnen auf wie zuletzt am Theater Krefeld Mönchengladbach. Da scheint der „Zusatz-Promi“ die sichere Bank zu sein. In diesem Fall sind es gleich zwei: Pralinenkenner Sky du Mont und Enfant terrible Martin Semmelrogge besetzen bei einigen Aufführungen die Rolle des Erzählers. Wie nicht anders zu erwarten, ist du Mont jetzt schon voller Vorfreude. „Richard O’Brien’s Rocky Horror Show ist für mich die geilste Show, die ich je gemacht habe“, sagt der Schauspieler, der inzwischen häufiger in Talk- und Quizshows als in anspruchsvollen Fernseh- oder Filmproduktionen zu erleben ist. „Das ist ein richtiges Happening. Jede Vorstellung ist anders, und am Schluss stehen wirklich alle auf den Sitzen und jubeln. Auch die Älteren auf den teureren Plätzen und die, die das Stück noch nie vorher gesehen haben. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wirklich die geilste Show, die ich je gemacht habe.“ Der Mann mit der Ausstrahlung eines Grandseigneurs weiß immerhin, wovon er redet. Er hat den Erzähler bereits in den früheren Aufführungen verkörpert und wird dieses Jahr den Einstand in Köln geben. Vermutlich, nachdem er kurz zuvor noch Markus Lanz in seiner Talk-Show mit einigen Bonmots ergötzt hat.

Prominente im Vordergrund

2008 stand bei der Uraufführung von Buntrocks Inszenierung im Berliner Admiralspalast ein anderer Schauspieler als Erzähler auf der Bühne. Martin Semmelrogge wird voraussichtlich im Januar kommenden Jahres in Düsseldorf wieder zu seiner Rolle in dem Erfolgsmusical zurückkehren – und scheint es schon jetzt kaum mehr abwarten zu können. „Es hat mir das letzte Mal wahnsinnig viel Spaß gemacht, deshalb freue ich mich irrsinnig, wieder dabei zu sein. Besonders, weil ich die Crew von damals wiedersehen werde. Und dann freue ich mich wahnsinnig auf Straps & Co.; endlich mal wieder ein bisschen luftiger gehen!“ Bei so viel Enthusiasmus kann einem schon mal schwindlig werden. Und man sieht jetzt schon vor dem geistigen Auge die unsägliche Volle-Kanne-Ausgabe im ZDF, wenn die vor sich hin stammelnde Moderatorin Nadine Krüger einen vor sich hin nuschelnden Semmelrogge mal wieder überhaupt nicht versteht. Das passt dann schon ganz gut zum bevorstehenden Spektakel. Und den Zuschauern scheint es zu gefallen.

Das Musical hat mehr verdient

Also alles bestens? Nicht so ganz. Egal, wie klug der „Promi“ in die Produktion eingebaut wird – Hertel machte eine sehr gute Figur in der Weihnachtserzählung von Dickens, und Kelly hielt sich bei ihren drei Aufführungen in Bückeburg eher im Hintergrund – der Inszenierung nutzt die mediale Aufmerksamkeit des Prominenten eher selten. In der Werbung kennt man das. Dort nennt man es Kannibalisierungseffekt, wenn der Glanz des Testimonials – so wird der Prominente im Werbefilm genannt – das eigentliche Produkt überstrahlt. Eine durchaus gefürchtete Erscheinung, erinnert der Zuschauer sich doch eher beispielsweise an den mehr oder weniger berühmten Schauspieler, aber nicht an das Produkt. Ganz ähnlich könnte es sich vor allem langfristig mit den Musicals verhalten. Dass Dirk Bach im Düsseldorfer Capitol die Menschen begeistert hat, ist vielen Menschen im Gedächtnis geblieben – aber wie hieß gleich noch das Musical, in dem er zu erleben war?

Kein Pardon für das Ensemble. Die wirklichen Stars der Produktion bleiben oft genug im Dunkeln. Ja, selbst die Produktion tritt in der medialen Aufmerksamkeit nicht aus dem Schatten der Vorzeigefigur. So schafft man weder Nachhaltigkeit noch wird man den regelmäßig hervorragenden Produktionen, geschweige denn den Stars auf der Bühne gerecht. Hier wäre den Vermarktern einfach mehr Mut zu wünschen, zum Produkt zu stehen. Das ist schwieriger, zugegeben, aber Gewinner wären nicht nur die Zuschauer.

Michael S. Zerban, 5.9.2014

 


Statt spannender Stories über ein
Kultmusical wird Sky du Mont als
Werbeträge in den Vordergrund
geschoben.


Martin Semmelrogge war schon in der
Uraufführung des Musicals als Erzähler
an Bord. Und ist jetzt schon
"wahnsinnig" vor lauter Vorfreude.


Promi-Berichterstattung lässt
vergessen, wer die eigentlichen Stars
des Musicals sind.


Das Ensemble ist der Star. Wer das
bei der Vermarktung außer Acht lässt,
kann böse Überraschungen erleben.