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Talente finden und fördern
Wer in diesen Zeiten Nachwuchs fürs Theater, besonders für die Oper finden und fördern möchte, braucht Optimismus, Phantasie und genügend Sponsoren. Die Internationale Opernwerkstatt im Berner Oberland scheint das zu haben … noch.
Angesichts weltweiter Finanzprobleme aller Kulturbereiche fragen sich selbst die Goldverwalter in der Schweiz: Wie und wohin entwickelt sich die Kunstform Oper? Sie sehen keine klare Richtung und antworten mit einem trotzig überzeugten „dennoch“. Für die Schweiz wie weltweit gilt: Die Oper begeistert nach wie vor. Es sind vor allem ihre musikalischen und darstellerischen Qualitäten, die die Kunstform Oper gegen heftige digitale Konkurrenz attraktiv und wettbewerbsfähig machen. Eine solche Qualität muss ständig wieder, ständig neu erarbeitet werden – auch vom Nachwuchs. Beim Festival der jungen Stimmen im Schweizer Sigriswil sprechen die Veranstalter der Internationalen Opernwerkstatt bescheiden vom Treffpunkt für den hochbegabten Sängernachwuchs im Berner Oberland nahe dem Thuner See. Doch selbst „hochbegabte“ junge Opernsängerinnen und Opernsänger stehen weltweit in harter Konkurrenz und müssen ihren Weg durch eine schwierige Kulturlandschaft finden, in denen berufliches Auskommen, gar Sicherheit fast von Saison zu Saison wechselt. Noch unübersichtlicher sind die Möglichkeiten beruflicher Förderung in und nach der Ausbildung. In einem Gewirr von regionalen, nationalen und internationalen Wettbewerben, Stiftungen und Förderprogrammen müssen sie sich mit „stimmlichem Potential, musikalischem Können und darstellerischer Persönlichkeit“ durchsetzen. Nach solchen jungen Sängerpersönlichkeiten hält Verena Keller Ausschau, wenn sie die jährlichen Bewerbungen für die Internationale Opernwerkstatt durchschaut, die sie seit 1989 im Berner Oberland anbietet. Die gebürtige Schwerinerin leitet diese Opernwerkstatt seit vielen Jahren. Mit ihrer eigenen Bühnenerfahrungen als Sängerin sowie ihren weltweiten Verbindungen bietet sie den Teilnehmern der Werkstatt beste Voraussetzungen dafür, an einem Netzwerk teil zu haben, ohne das im Kultursektor und besonders auf dem Theatermarkt nichts mehr läuft.
Die Opernwerkstatt fördert „hochbegabte junge Stimmen in intensiver musikalischer, szenischer und gesanglicher Vorbereitung“. Statt sie in Solo- oder Abschlusskonzerten mit isolierten Gesangsdarbietungen zu präsentieren, erleben die Teilnehmer Ensembleatmosphäre und die Herausforderungen eines Regiekonzeptes, mit dem sie sich und ihre Präsentation auseinander setzen müssen. Wenn Ende September die diesjährige Opernwerkstatt eröffnet, kommen für gut zwei Wochen Diplomanden, Stipendiaten und Absolventen Staatlicher Hochschulen zu einem intensiven Gesangs- und Bühnentraining zusammen. Hier „erarbeiten begabte, junge Sänger Ensembles und Arien, und bauen ihre künstlerischen Fähigkeiten aus, die sie in szenischen Abschlusskonzerten zeigen“. In diesem Jahr ist der junge Österreicher Rudolf Frey für die Regie verantwortlich. Seine Aufgabe ist es, mit den Teilnehmern Regieideen zu erarbeiten, umzusetzen und für eine szenische Aufführung vorzubereiten. Er folgt dem international erfahrenen, mit seinen Inszenierungen immer wieder polarisierenden Regisseur Peter Konwitschny, dessen Urteil manche Teilnehmer überrascht haben dürfte. „90 Prozent der Operninszenierungen sind Quark“, sagt Konwitschny. Zum Team gehört Andreas Kowalewitz, Dirigent, Solorepetitor und Kapellmeister, der die musikalische Leitung übernimmt. Unterstützen wird ihn der international versierte englische Dirigent Hilary Griffiths, der bereits an vielen Theatern und in Festivals tätig war. Verena Keller ist stolz darauf, den ausgewählten Teilnehmern ein Stipendium anbieten zu können. „Es beinhaltet freie Unterkunft in Ferienwohnungen, Reisekosten Anteil und keinerlei Kosten für die Arbeitsphase, in der das Programm szenisch erarbeitet wird“, erzählt sie. Die Teilnehmerliste dieses Jahres ist international und führt 17 Teilnehmer, zum Beispiel aus Aserbaidschan, Estland, der Ukraine und den USA, insgesamt aus 14 Nationen zusammen.
Nicht nur die Stimme wird geschult
Zahlreiche Videoclips geben seit einigen Jahren einen Einblick in Arbeitsformen, Vielfalt der Musik, Intensität der Probenarbeit und das bunte Gemisch der Teilnehmer, das neugierig macht. 2002 zeichnet das Hessische Kulturministerium die Opernwerkstatt mit einem Förderpreis aus. In der Opernwerkstatt werden Stimme und Darstellung korrigiert und geschult, hier steht die „individuelle Förderung der Begabung im Vordergrund“, betont Keller. Dabei geht es nicht nur um gesangstechnische Kenntnisse und Übungen.
„Es ist sehr eindrucksvoll, ihre Interpretationen der Musikstücke von Händel bis Wagner zu hören“, freut sich Karin Shifrin, eine junge Sängerin aus dem israelischen Tel-Aviv. Neben der technischen Gesangssausbildung hat sie Wichtiges zusätzlich erfahren. „Die Meisterklasse gab mir einen gehörigen Schuss Selbstbewusstsein.“ Die schweizerische Sopranistin Sybille Diethelm ist „ überwältigt von dem hohen Niveau der Teilnehmer“, und Given Nkosi, ein Tenor aus Südafrika, schon erfahren in der Szene, weiß, dass die Opernwerkstatt ihm die Gelegenheit bietet, „Agenten vorzusingen. Solche Begegnungen suchen manche von uns sonst über Jahre”. Bei vielen Teilnehmern spielt das knappe Geld eine Rolle. „Es ist einer der wenigen Workshops, die wir uns als junge Sänger leisten können“, betont Judit Isabela Kutasi aus Zürich. Der Bassist Evgeny Sevastyanov, schon im Engagement in Koblenz, würde gerne selbst die Opernwerkstatt unterstützen. „ Es tut mir Leid, dass ich jetzt nicht genug Geld habe, um die Opernwerkstatt zu unterstützen. Hätte ich das Geld, wäre ich stolz an diesem Ereignis beteiligt zu sein.“ Auch die Opernwerkstatt ist auf die Förderungen durch Sponsoren und Stiftungen angewiesen, die nicht mehr so großzügig sprudeln wie in vergangenen Jahren.
Teilnahme mit Nebenwirkungen
Das Konzept von Verena Keller und ihrem Team zeigt Wirkung. Das belegen die Erfahrungen Kellers, wenn „Sängerinnen und Sänger dadurch ihren Weg direkt von hier ins Engagement finden“. Mit ihrem praxisnahen Konzept kommt die Opernwerkstatt künftigen Anforderungen an den Sängernachwuchs sehr nahe. Das wissen offenbar auch die eingeladenen Intendanten und Agenten, die zu den Schlussaufführungen anreisen und oft genug eine Studioeinladung oder ein erstes Engagement in der Tasche haben, das den Teilnehmern provisionsfrei angeboten wird. Verena Keller ist es gelungen, eine weitere Form von Sängerausbildung und -förderung zu entwickeln, die neben reinen Meisterkursen, Förderwettbewerben oder der Möglichkeit von kompletten eigenen Aufführungen für Nachwuchssänger eine Zwischenform anbietet, die für sich spricht. Hier wie auch bei den Fördermöglichkeiten kommt es für junge Sängerinnen und Sänger vor allem darauf an, diese Chance im Angebotsdschungel zu finden.
Horst Dichanz, 24.9.2014
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