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Schillernde Persönlichkeit
Mit Beginn der Spielzeit 2015/16 wird Karl Sibelius neuer Intendant am Theater Trier. Der Theatermacher findet alles andere als ein wohlbestelltes Feld vor. Marode Bausubstanz, mangelhafte Finanzierung und veraltete Technik ließen in jüngerer Vergangenheit häufiger den Ruf nach Schließung des Theaters laut werden. Und der neue Mann an der Spitze sorgt auch erst mal für Irritationen.
Mir wird nachgesagt, dass ich eine schillernde Persönlichkeit mit viel Marketingpräsenz bin. Und natürlich nutze ich das! Wenn die Zeitungen mit mir reden und mich fotografieren wollen, dann lasse ich das natürlich zu. Aber der Sinn ist ja nicht, dass der Sibelius im Fokus steht, sondern die Arbeit, die ich mache, und das, was in meinem Theater passiert.“ Oder passieren wird, wenn Karl Sibelius, bisher Intendant am Theater an der Rott, in der Spielzeit 2015/16 die Intendanz im Theater Trier antreten wird. Nach der Ära Weber und den immer noch nachhallenden Irrungen und Wirrungen über Schließungen des wenig ertragreichen Theaters Trier, Petitionsaufrufen und Unterschriftenübergaben wird das Zepter nun weiter gegeben. Aufbruchsstimmung nicht nur beim neuen Intendanten. „Natürlich ist es ein aufregendes Gefühl, eine schöne, neue Stadt, viele Aufgaben.“ Allerdings keine neuen für den jetzigen Intendanten vom Theater an der Rott „Obwohl natürlich jede Stadt etwas anderes verlangt, man muss genau wissen, wo man ist, für welche Stadt man Theater macht, für welche Region, für welche Menschen.“ Und man muss wissen, was man bereits vor Ort hat, und was man nicht mehr vor Ort haben möchte.
Vor Ort ist, laut Sibelius, der Wille, das Theater zu erhalten, das Mehrspartenhaus, das Ensembletheater. Allerdings auch der Wille zur Veränderung, auf allen Ebenen. Das fängt beim Gebäude an und geht bis zur Rechtsform. Dabei muss es den Weg über die Künstler nehmen. „Man kann nicht so tun, als würde es keine Probleme geben. Aber meine Aufgabe ist nicht, radikal einzusparen oder ähnliches. Sondern meine Aufgabe ist es, hier tolle Kunst zu machen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden.“
Neue Rahmenbedingungen
Ein Teil des Rahmens wird eine neue Rechtsform sein. „Eine notwendige, damit das Theater wirtschaftlicher arbeiten kann, aber auch freier“, fordert der designierte Intendant. Frei sein wird das Theater in Zukunft von den bürokratischen Wegen der Stadt, denn es wird kein Amt mehr sein. Die Diskussion schwebt zurzeit zwischen einer Anstalt öffentlichen Rechts und einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Diese beiden Rechtsformen sind sehr ähnlich; nur hat die GmbH in den Ohren vieler einen negativen Beigeschmack. „Die meisten glauben, dass eine GmbH eine Wirtschaftsform ist, die eben wirtschaftlich arbeitet. Das Theater kann aber niemals Gewinn erzeugen. Schon gar nicht ein Theater in der Größenordnung von Trier, das auch einmal etwas wagen oder uraufführen soll. Ein Theater ist ein meritorisches, ein schützenswertes, unterstützenswertes Gut. Eine GmbH wirkt da auf die meisten fast kontraproduktiv.“ Aber es gibt auch Formen der GmbH, in denen das Theater wesentlich freier wäre, seine Gelder gezielter einzusetzen. Gelder verwenden, wo man sie braucht. Nicht jedenfalls für unnötige Amtswege, in denen alles doppelt und dreifach genehmigt werden muss. Auch wenn das Theater kein Amt mehr ist, sondern eine GmbH, kann die Stadt sich nicht einfach heraushalten. Außer die GmbH ginge bankrott. Deswegen ist Sibelius für eine Anstalt öffentlichen Rechts. Da bleibt die Stadt Hauptteilhaber, kann sich also bei einem Misserfolg nicht einfach aus der Affäre ziehen. Dafür reden nicht mehr so viele Parteien mit, die nicht wissen, wie ein Theater funktioniert und dass Misserfolge eben auch dazu gehören. Sibelius sieht gerade in dieser Änderung der Rechtsform eine Chance, das Theater Trier in Gedanken wieder loszulösen von den Diskussionen um sein Finanzmanagement zurück zu Diskussionen über sein Qualitätsmanagement.
Wer schweigt, ist tot
„Ich möchte, dass das Theater Trier überregional bekannt wird, nicht weil es auf der Roten Liste steht, sondern weil wir tolles Theater machen. Dann wird sich auch sehr viel im finanziellen Bereich bereinigen.“ Etwas, über das viele sprechen, schließt man zudem nicht gerne. „Man schließt Sachen, die man totschweigen möchte. Das wird bei mir nicht passieren, dafür liebe ich das Theater zu sehr.“
Ein anderer Teil des Rahmens ist das Haus selbst. „Wir sind zu gewissen Überlegungen gezwungen. Das Haus muss saniert werden.“ Ob es eine grundlegende Sanierung oder gleich ein Abriss und Neubau wird, steht derzeit noch zur Debatte. Klar ist eines: „Wir werden wandern müssen.“ Ein Nomadenleben führen, von einem zum anderen Spielort weiter rücken. Ein „verrücktes“ Dasein in den nächsten Jahren führen: „‘Verrückt euch‘ wird der Leitsatz der ersten Spielzeit. Wir müssen uns örtlich und wollen uns gedanklich ‚verrücken‘“. Dabei mutiger werden, neue Sichtweisen wagen, in Bewegung kommen, keinen Stillstand haben.“ Da muss das Theater in die Stadt ziehen und bekommt so vielleicht die Gelegenheit, neue Zuschauerschichten für sich zu gewinnen.
Obwohl man vor einem Punkt nicht die Augen verschließen darf: Nach einem Intendantenwechsel kommt es erfahrungsgemäß zunächst zu einem Zuschauereinbruch. „Die Leute sind skeptisch und in einer Abwartehaltung, zudem können viele gekränkt sein, weil ihr Lieblingsschauspieler nicht mehr am Theater sein wird.“
In seiner ersten Spielzeit werden dem zufolge etliche Leute gekränkt sein. Fragt man nach dem Verhältnis von bleibenden zu gehenden Künstlern am Theater Trier, stellt Sibelius klar: „Es gehen sehr, sehr viele, und es bleiben einige wenige.“ Kein Verhältnis, sondern ein radikaler Wechsel. „Den wir brauchen, und den ich brauche. Ich brauche einen künstlerischen Neubeginn, sonst habe ich keine Chance, für mich und für das, was ich am Theater umsetzen möchte.“ Ob dann nicht hintenrum das passiert, was vor zwei Jahren in den Schließungsdebatten immer wieder angedacht wurde? Nämlich, dass es kein festes Haus mehr gibt, dass das Theater eine schnell bezogene Bespielstätte wird. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, denn es wird nach wie vor ein festes Ensemble geben. Nur dass den Künstlern klar sein muss, dass sie nur Zwei-Jahresverträge bekommen. Dass man sich fairerweise bereits nach einem Jahr zusammensetzt, um über den weiteren Weg zu reden. Theater ist ein Ort der Veränderung. Das muss man wissen, wenn man diesen Beruf wählt.“ Die Frage nach der Sozialität seines Vorgehens kann Sibelius zurückgeben: Was ist denn sozial? Er selbst hat zwei Kinder und im Theater an der Rott immer nur für wenige Jahre Verträge unterschrieben, war zwischendurch immer wieder woanders. Das Theater ist für ihn ein zutiefst sozialer Ort, aber eine Mutter weiter zu beschäftigen, „nur“ weil sie Mutter ist, untergräbt für ihn die Würde des Künstlers.
Sozial ist nicht, an Altem festzuhalten
„Das Soziale des Theaters hängt eben auch damit zusammen, Menschen Arbeitsmöglichkeiten zu geben und Chancen, sich zu verändern. Wir wollen ein Türöffner sein und keine Residenz.“ Das ist mit einem Risiko verbunden und mit Unsicherheit, die Koffer müssen ständig gepackt sein. Da kann man sich eben keine Eigentumswohnung kaufen. Kinder großziehen? „Natürlich schaut man es sich an, wenn eine Alleinerziehende mit Kindern, die sonst keine Perspektiven hätte, durch die Nicht-Verlängerung vor dem sozialen Abstieg steht, aber so jemanden haben wir hier einfach nicht. Die Schauspieler hier sind gut, sie werden alle einen neuen Job finden. Ich verlängere ja nicht aus einer künstlerischen Sicht nicht, sondern aus der tiefsten Überzeugung heraus, dass dieses Theater einen Neustart braucht.“
Mehr noch: „Mein Ziel ist, dass dieses Theater ein Vorzeigemodell für die Zukunft sein wird. Bei dem ich versuche, wegzukommen von den Fixkosten und viel mit variablen Kosten arbeiten werde. Variabel in der Kunst, dass bedeutet auch, dass wir alle in einem Boot sitzen und alle Kunst machen wollen.“ Dass der Tontechniker eben nicht nur das Mikrofon hinstellt, sondern sein Handwerk selbst als Teil der Kunst versteht. „Wir müssen das Haus aufreißen. Jetzt ist gerade eine Aufbruchstimmung, und da muss ich rein, sonst ist sie direkt wieder verpufft.“ In dem gemeinsamen Schaffen ist Sibelius die Reinigungskraft so wichtig wie die Darstellerin, weil jeder seinen Teil dazu beiträgt, dass am Abend der Vorhang hochgeht. „Man muss den Menschen einfach Streicheleinheiten geben und ihnen zeigen, wie sehr man sie wertschätzt, was vielleicht grotesk klingt in einer Zeit, in der ganz viele Nicht-Verlängerungen ausgesprochen werden. Aber es ist ja auch nicht so, dass ich nur den Menschen hier Veränderungen abverlange.“
Sibelius selbst sieht sich gerade nach einer neuen Wohnstatt um, für seine Familie und sich. Geht da durch alle Höhen und Tiefen. Auch wenn er als Entscheider natürlich eine andere Stellung hat. „Wenn ich jetzt sagen würde, ich habe es auch nicht leicht, wäre das grotesk. Natürlich denke ich viel an die Menschen, die nun gehen müssen.“ Und er denkt an die Fehler, die man machen kann. „Auch in diesem Beruf muss man Fehler machen dürfen.“ In fünf Jahren kann man viel bewegen in jeder Hinsicht, das kann einem schon Angst machen. Aber in einem ist Sibelius sich sicher: „Die fünf Jahre werden vergehen wie im Flug.“ Danach muss wieder entschieden werden, wie es weitergeht. Und wenn er in Trier ein neues Domizil findet – wer weiß, vielleicht bleibt er dann auch noch etwas länger als fünf Jahre.
Stefanie Braun, 4.7.2014
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