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Jubiläumssaison
In den letzten Jahren ist das Internationale Tanzfest Berlin, das vor 25 Jahren ins Leben gerufen und bereits ein Jahr später in Tanz im August umbenannt wurde, in die Kritik geraten. Zu beliebig, zu wenig innovativ sei das Festival des Zeitgenössischen Tanzes geworden. Rechtzeitig zur Jubiläumsfeier hat Bettina Masuch, die Künstlerische Leiterin, für einen Programmwechsel gesorgt.
Auf dem Gendarmenmarkt, dem vielleicht schönsten Platz Berlins, sind parallel drei Riesenleinwände errichtet. Auf ihnen werden nacheinander Bewegungsmomente von fast fünfzig, nicht nur klassisch geschulten Tänzern und Choreografen, darunter William Forsythe und Judith Jamison, Hip-Hopper Dionisio und Hula-Hoop-Performerin Sandra Lamouche gezeigt: überdimensional projiziert und in Zeitlupe abgespielt. So präsentiert, entfalten die Körper einen außergewöhnlichen Reiz, und gebannt schaut man dem Spiel der Muskeln, der Konzentration im Ausdruck, der gebremsten Virtuosität und der Körperbeherrschung zu. Die Idee der Kombination von Entschleunigung und Großaufnahme stammt von dem amerikanischen Fotografen David Michalek. Mit seiner faszinierenden Videoinstallation Slow Dancing macht Tanz im August, das in den letzten zwei Wochen des Monats stattfindet, an exponierter Stelle auf sich aufmerksam und beschert damit den Berlinern und ihren Gästen ein besonderes Geschenk zur Jubiläumssaison.
Denn eine der wichtigsten Schauen des zeitgenössischen Tanzes wird 25 Jahre alt. 1988, als die Stadt noch geteilt war, initiierte Nele Hertling, die aufgeschlossene Förderin der Bühnenavantgarde und lange Zeit Intendantin des Hebbeltheaters, im damaligen Westberlin das Internationale Tanzfest Berlin - den heutigen Tanz im August - das erstmals ein Fenster für internationale Tanzkunst öffnete. Der Gründerin gilt der besondere Dank von Bettina Masuch, der sehr kurzfristig berufenen Interimsleiterin, in ihrer sympathischen Eröffnungsansprache. Das Programm ist, obwohl sie dafür keine lange Vorbereitung hatte, abwechslungsreich und durchdacht. Es bietet eine Mischung aus Historie und Neuem, inklusive zweier Uraufführungen, Gastspiele internationaler Künstler aus Südamerika, Asien und Afrika und mit Girls einen Ausflug in den Jugendtanz. Die letzten drei Tage gehören dann der Berliner Szene, die unter dem Motto „Ausufern“ in den Weddinger Uferstudios ihr kreatives Potenzial zeigt. Ein attraktives Begleitprogramm aus Künstlergesprächen, Ausstellungen und dem Workshop Physical Introduction: Mittanzen erwünscht, bei dem Interessierte Einblick in die Arbeit vereinzelter Gastchoreografen bekommen, ergänzt die Hauptveranstaltungen. „Besonders wichtig war mir der gelungene Brückenschlag von den Klassikern des zeitgenössischen Tanzes zu den globalen Erben dieser flüchtigsten aller Bühnenkünste“, erläutert Masuch den Erfolg des diesjährigen Programms.
Zentrale Aufführungsstätte ist das HAU Hebbel am Ufer, das frühere Hebbeltheater, an das das Festival seit diesem Jahr organisatorisch angebunden ist. Die weiteren Spielorte sind über die Stadt verteilt.
Brückenschlag zwischen Klassik und Moderne
Am Anfang des Vorstellungsreigens steht das Wiedersehen mit zwei Tanzlegenden: mit Steve Paxton, der mit seinem eigens für den jungen Jurij Konjar neu einstudierten Solo Bound anreist, und der Trisha Brown Dance Company. Deren Gastspiel findet im Hamburger Bahnhof statt, einem Museum für zeitgenössische Kunst. Doch museal wirken die gezeigten Early Works nie. Die acht Stücke aus den 1970-er Jahren, von denen nur zwei mit Musik unterlegt sind, wirken wie frisch kreiert. Die neun Tänzer in bequemen weißen Anzügen strahlen eine Harmonie und spielerische Freude an Browns lässig-einfachen Choreografien aus, die sich sofort auf die Zuschauer überträgt. Schönstes Beispiel: der Spanish Dance, bei dem sich die fünf Frauen des Ensembles nacheinander in wiegenden, flamencoinspirierten Schritten bis zur Wand bewegen und zu einer Einheit verbinden. Oder wenn ein Duo, wie bei Sticks, mit einer unglaublichen Balancefähigkeit Stäbe im Gleichgewicht hält. Und wenn doch einmal einer fällt, tut das der Stimmung keinen Abbruch. Ein entspannender, glücklich machender Abend. Das ganze Gegenteil erlebt man bei altered natives’ Say Yes to Another Excess-TWERK des argentinisch-französischen Choreografenduos Cecilia Bengolea und Francois Chaignaud. Mit dem erstmals 2012 in Lyon gezeigten Stück begibt man sich in eine andere, extreme Tanzwelt. Ohrenbetäubende Musik, von zwei Londoner DJs erzeugt, empfängt die Besucher, und dann stürzen sich die Tänzer Elisa Yvelin, Alex Mugler, Ana Pi und die beiden Choreografen in einen sexuell aufgeladenen Tanzrausch, der sich stilistisch bei den neuesten Kreationen der Clubszene bedient. Er steigert sich so lange, bis eine der Frauen erschöpft, vielleicht sogar leblos, auf dem Boden liegt. Ob mit dem exzessiven Bewegungsvokabular die Frage des Stückes, wie kollektive Ekstase entsteht, beantwortet wird, sei dahingestellt. Die unglaubliche Energie der Truppe und die schrillen Kostüme hinterlassen jedenfalls einen starken Eindruck.
Dass Tanz auch als Ausdrucksmittel benutzt werden kann, um ein politisches Anliegen zu formulieren, wollen zwei afrikanische Produktionen zeigen. In einer der beiden, Drums and Digging, setzt sich der international inzwischen hochgehandelte Kongolese Faustin Linyekula mit seiner Vergangenheit und der Zerrissenheit des Landes auseinander. Man erlebt sechs Protagonisten in einer Abfolge von Aktionen, die bisweilen an Stammesrituale erinnern, und intensivem Körpereinsatz, von Monologen und Gesängen begleitet. Doch es fällt nicht leicht, den im Programmzettel beschriebenen Inhalt mit dem Bühnengeschehen in Verbindung zu bringen. So bleibt zwar Raum für Interpretation, aber auch ein leises Bedauern, dass es Linyekula nicht zwingender gelungen ist, sein künstlerisches Vorhaben in verständlicheren Bildern darzustellen.
Tanz im August, dem in den vergangenen Jahren zunehmend Beliebigkeit in der Auswahl und fehlende Innovation durch Strukturprobleme vorgeworfen worden war, präsentiert sich heuer mit viel Elan und einer inspirierenden Aufbruchstimmung in neuem organisatorischen Gewand. Der Publikumszuspruch ist enorm, nahezu alle der fast 50 Vorführungen sind ausverkauft. Ab kommender Saison wird die Finnin Virve Sutinen für zunächst zwei Jahre das Festival leiten.
Karin Coper, 3.9.2013
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