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Existenzkampf


 
 

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Stürmischer Auftakt

Was derzeit in Sachsen-Anhalt passiert, hat Bedeutung über die Landesgrenzen hinaus. Ein Landesminister will sich über die Grundwerte unserer Gesellschaft ohne jede Rücksicht auf Verluste hinwegsetzen und fühlt sich dabei so mächtig, dass er sich nicht einmal um Argumente bemüht. Wenn politische Willkür sich über den Willen und die Überzeugungen der Menschen hinwegsetzt, ist nicht nur die Kultur eines Landstrichs in Gefahr, sondern die Demokratie. Die neue Spielzeit wird spannend.

Politiker bleiben Veranstaltungen gern mal fern, um die Volksseele nicht hochkochen zu lassen. Das kennt man vor allem auf kommunaler Ebene und konnte das zuletzt noch sehr schön in Köln beobachten, als der damalige Kulturdezernent sich plötzlich nicht mehr ins Opernhaus traute. Jetzt ist es gleich eine ganze Landesregierung, die sich zum Konzert anlässlich der Spielzeiteröffnung im Anhaltischen Theater Dessau-Roßlau nicht blicken lässt. Kultusminister Stephan Dorgerloh, SPD, hatte das für sich bereits in seinem Interview mit Corinna Nitz von der Mitteldeutschen Zeitung – vorsorglich ohne Begründung – angekündigt.

Dabei hätten die Politiker einen interessanten Abend erleben können. Tausende Besucher haben sich vor der Außenbühne des Theaters versammelt, um ein abwechslungsreiches Programm zu genießen. Anhaltische Philharmonie, Musiktheater, Ballett und Schauspiel sind angetreten, um die Premieren der kommenden Saison vorzustellen. Aber auch die Wirklichkeit spielt mit. „Mit uns ist Kunst, mit Euch kein Staat zu machen“, zitiert der Chor aus Beggar’s Opera von Bertolt Brecht. Generalintendant André Bücker führt durch den Abend und nutzt seine Moderationen, um deutliche Worte zu finden. „Es muss Schluss sein mit dem Kahlschlag bei Kultur, Bildung und Wissenschaft, der die Zukunft dieses Landes bedroht. Es muss Schluss sein mit einer geistlosen und geschichtsvergessenen Politik, die es Menschen unmöglich macht, hier zu bleiben oder hierher zu kommen. Einer Politik, die so demographischen Wandel produziert und befördert, den zu bekämpfen sie vorgibt! Es muss Schluss sein mit dem zynischen und inhaltsleeren Wortgeklingel von ‚Strukturanpassungen‘, das nur vernebeln soll, dass es hier um den Abbau von Arbeitsplätzen geht.“

Die Wut, nicht nur des Generalintendanten, ist groß. Rechtzeitig vor der Sommerpause hatte der Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh, SPD, Kürzungen für die Theater und Orchester angekündigt, und zwar in einer Größenordnung, die beispielsweise die Theater in Dessau, Halle und Eisleben zur Schließung zwingen könnten. Das ist inzwischen gutachterlich bestätigt. Dorgerloh ficht das nicht an. „Es bleiben jährlich zirka 15,2 Millionen Euro, um anspruchsvolles Theater machen zu können. Wir warten jetzt dringend auf Überlegungen aus Dessau, wie dort künftig mit diesem Geld Theater gestaltet werden soll“, stellt der Politiker en passant jegliche Logik auf den Kopf. Um dann mit der nun schon hinlänglich bekannten Argumentation fortzufahren: Wenn wir euch das Geld nicht wegnehmen sollen, müssen wir eben die sozialen Strukturen kürzen. „Und man muss eben auch deutlich sagen, dass Dessau-Roßlau ein Gesamtkulturkonzept für seinen kulturellen Reichtum braucht. Da steht zum Beispiel die Frage, wie geht es weiter mit der Anhaltischen Gemäldegalerie, mit der Soziokultur, der kulturellen Bildung, dem Naturkundemuseum oder dem Konzept zur Bauhausstadt“, behauptet der Theologe. Zwischen zwei Arien hält Bücker dagegen. „Investieren Sie in Kultur, Bildung und Wissenschaft. Dies sind die Ressourcen des Landes und der Rohstoff für eine positive Entwicklung in der Zukunft. Wenn die Politik nicht eine Kehrtwende macht, ist Sachsen-Anhalt vielleicht irgendwann schuldenfrei, aber dann auch bildungsfern, kulturlos und menschenleer. Das darf nicht sein.“

Zahlreiche Protestaktionen und auch die Intervention des Kulturstaatsministers Bernd Neumann, der die Kürzungen in öffentlicher Rede rügte, ändern an der Haltung der Landesregierung nichts. Sonst hätte Ministerpräsident Reiner Haseloff, CDU, inzwischen Zeit genug gehabt, seinen Fachminister zurückzupfeifen. Stattdessen bleiben lieber beide zu Hause, wenn eine Begegnung mit dem Volk droht.

Solche Überheblichkeit ist gefährlich. Weil sie die Trägheit der Masse unterstellt. Sicher. Die Masse ist träge. Deshalb wählt sie Vertreter, die so handeln, dass es allen mehr oder minder gleichermaßen gut geht. Das haben viele Volksvertreter vergessen, wähnen sich in einer anderen Sphäre. Und sie kümmern sich nicht mehr um das Wohlergehen ihrer Auftraggeber, sondern tanzen um das Goldene Kalb. Dass das in Sachsen-Anhalt inzwischen mit einer Leichtfüßigkeit geschieht, die für die Menschen im Lande kaum noch erträglich ist, wird ihnen offensichtlich kaum bewusst. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass, wenn eine träge Masse erst mal in Bewegung kommt, sie um so schwerer aufzuhalten ist.

Die richtige Entscheidung

In Sachsen-Anhalt haben die Menschen am 22. September dieses Jahres Gelegenheit, ein Zeichen zu setzen. Dann können sie entscheiden, ob sie zulassen wollen, dass die Politiker ihr Tänzchen fortsetzen, oder sie entscheiden sich dafür, eine Kultur leben zu lassen, auf die andere Völker bis heute mit Bewunderung blicken. Nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland können alle außer denen, die nicht wählen, darüber entscheiden, sich wieder auf die wirklichen Werte unserer Gesellschaft zu besinnen.

Bei Renommierprojekten sieht Dorgerloh seine Kürzungspläne weniger rigide. „Wir können uns nicht vorstellen, dass das Bauhaus-Jubiläum 2019 überall gefeiert wird und wir in Dessau-Roßlau keinen angemessenen Ausstellungsraum für unsere herausragende Sammlung haben. Dessau muss in der ersten (Bauhaus-) Liga mitspielen können“, sagt der Kultusminister, der sich möglicherweise schon medienwirksam bei der Eröffnung des „angemessenen Ausstellungsraums“ sieht.

Sachsen-Anhalt ist Stellvertreter. Stellvertreter für viele andere Länder. Und deshalb lohnt sich das Aufbegehren von André Bücker, die Auflehnung der Bürger und der Künstler. Brecht sagt: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren. In Sachsen-Anhalt ist noch nichts verloren.

Michael S. Zerban, 9.9.2013

 


Generalintendant André Bücker findet
deutliche Worte in seiner Moderation.


Geht es nach dem Kulturpolitiker
Stephan Dorgerloh, wird es Auftritte
eines Balletts zukünftig nicht mehr
geben.


Die Schauspieler vom Theater Eisleben
müssen sich wohl darauf einstellen,
dass ihr Haus im kommenden Jahr
geschlossen wird.


Wiard Witholt und Rita Kapfhammer
verweisen schon mal musikalisch auf
die neue Spielzeit - wie auch immer
sie verlaufen wird.


Die Stadt Dessau steht zu ihrem
Theater. Das zeigt auch der begeisterte
Schlussapplaus der Besucher.

Fotos: Claudia Heysel