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PRO RUHR -
Eröffnung des Dortmunder Konzerthauses







Fotos: © Daniel Sumesgutner

Freitag, 13. September
Minister Michael Vesper hat Recht: "Die Metropole Ruhrgebiet braucht als kulturelles Angebot das Dortmunder Konzerthaus, aber auch die Essener Philharmonie und die Bochumer Jahrhunderthalle!" In Dortmund wird ein exzeptioneller Konzertsaal eingeweiht: Ein optisch und funktional optimal als movens in das Br�ckstra�en-Viertel der City eingepasster Bau. Architektonisch ein Juwel, akustisch per Computer auf h�chste Effekte getrimmt, offen, nicht protzig, mit niedriger Zugangsschwelle. Faszinierend und animierend!

Der erste Abend der Er�ffnungstrilogie beginnt mit Reden des Oberb�rgermeisters , des NRW-Kultur-Ministers und des wirtschaftlich verantwortlichen Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Betreibergesellschaft - davor und dazwischen Aaron Coplands "Fanfare for the Common Man", Duke Ellingtons "Caravan" mit Katia Lebeque, Mozarts verfremdetem Janitscharenchor und Enjott Schneiders Toccata Schlafes Bruder (Bernhard Buttmann an der phantastischen Konzertorgel): allesamt virtuos, aber in der Beil�ufigkeit eher als sound check wirkend, denn als autonome Interpretation. Dazu ein optisch irritierender Einsatz der Lichtm�glichkeiten des Hauses. Spots leuchten auf, die Grundhelligkeit wechselt, popige Farben ver�ndern die Atmosph�re: zuviel, zu grell, zu penetrant, zu wenig distanziert. Zu Mahlers Dritter dann seri�ses Konzertlicht im holzhellen Saal. Das Philharmonische Orchester Dortmund bew�ltigt das sinfonische Oh-Mensch-Drama unter Arthur Fagen souver�n, beeindruckt durch kraftvolles Blech, durch weiche Streicherkl�nge, durch effektovll-pr�zises Schlagzeug, klangsch�ne Fl�ten - sogar die Harfen sind im akustisch perfekten Saal artikulationsf�hig! Doch die klinisch-perfekte Akustik hat ihre T�cken: jede minimale Einsatzverz�gerung ist nadelspitz h�rbar - und : jeder Huster im Auditorium wird zum Kanonenknall! Da werden noch viele Orchester und Solisten ihre �berraschung mit dem Digitalsound erleben.

Violeta Urmana singt Zarathustras Mitternachtslied "Doch alle Lust will Ewigkeit" seidenweich, l�sst die Tragik des Textes Musik werden. Dagegen wirken der 60 k�pfige (!) Damenchor des renommierten Ernst Senff Chors aus Berlin und die 40 Jungen des Kinderchors der Chorakademie am Konzerthaus Dortmund �berbesetzt, der religi�s-verhei�ende Text wird zum oratorienhaften Chorgesang, das Faszinosum der pathetischen Botschaft zerrinnt im Beliebigen. Vielleicht zu wenig Probenzeit im akustischen Gef�hrdungsbereich? Das �rtliche Honoratioren-Publikum bricht nach dem ersten fulminant-langen Satz in End-Applaus aus; man war wohl nicht auf die exzeptionelle Dauer des epochalen Werks eingestellt. Einige machten sich vor dem opulenten Finale auf den Nachhauseweg - das Management des Konzerthauses wird da noch viel an Aufkl�rungsarbeit in Dortmund zu tun haben! (frs)

Samstag, 14. September
Der zweite Er�ffnungsabend begann mit einem kleinen Wermutstropfen - Bundespr�sident und Schirmherr Johannes Rau musste aufgrund einer schweren Grippe seine Teilnahme absagen. Doch das tat der Veranstaltung nur wenig Abbruch, denn mit Kent Nagano und seinem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, das "orchestra in residence" in der ersten Konzerthaus-Spielzeit, kam ein erstklassiges Orchester mit einem ebenso erstklassigen und gleichzeitig popul�ren Programm. Bereits Beethovens dritte "Leonoren-Ouvert�re" sowie dessen weitgehend unbekannte Kantate "Meeresstille und gl�ckliche Fahrt" sorgten f�r einen nicht allt�glichen Konzertgenuss.

Doch war dies in dramaturgischer Hinsicht wohl nur ein kleiner Aperitif zum eigentlichen H�hepunkt des gesamten Er�ffnungswochenendes - Beethovens neunter Sinfonie. Ein Mammutwerk, welches dem Dirigenten derart viele Interpretationsm�glichkeiten bietet, dass der aufmerksame Zuh�rer im Laufe des �ber eine Stunde dauernden Opus immer wieder aus neue �berrascht wird. Nagano w�hlte f�r alle S�tze ein unglaublich hohes Tempo, was vor allem das Scherzo zu einem h�chst emotionalen G�nsehaut-H�rerlebnis macht. Naganos Musiker verstanden es zudem, feinste Strukturen in der komplexen Partitur hervorzuheben - die sensible Konzerthaus-Akustik macht's m�glich! Im gro�en Finale gl�nzten dann auch noch der Rundfunkchor Berlin und mit Melanie Diener (Sopran), Dagmar Peckov� (Alt), Herbert Lippert (Tenor) und Hakan Hagegard (Bass) vier exzellente Solisten. Vielleicht war dies der H�hepunkt gleich zu Beginn der ersten Spielzeit! (cd)

Sonntag, 15. September
Der dritte Abend der effektvollen, Dortmundweit attraktiven Er�ffnungsfestivit�t begann wie die vorangegangenen: Musikalische Highlights mit Weltstars wie den Lab�que-Schwestern, dem hinrei�enden Countertenor Andreas Scholl, dem Kuss-Quartett, begleitet von equlibristikartigen "Choreographien" Bill T. Jones' , zur Musik von Schostakowitsch, Lutoslawski, Beethoven - im popularisierenden zirzensischen Widerspruch. Und relativiert als "Zwischenspiele" f�r Reden; da allerdings bewies Dortmunds Kulturdezernent die F�higkeit zu demonstrativer Bescheidenheit: "Musikstadt Dortmund: nur keine Hybris! Wir warten auf die unvorhersehbaren Wirkungen." Wohl wahr; doch die Perspektiven sind hoffnungweckend. Das wie ein Meteorit in das abgest�rzte Dortmunder Br�ckviertel Konzerthaus gibt der Stadtmitte neue Qualit�t - die B�rger gewinnen ihre Stadt zur�ck; ein einmaliger st�dteplanerischer Coup!
Und mit Anton Bruckners 7. Sinfonie l�sst das Deutsche Symphonie Orchester Berlin unter Kent Nagano die akustische Qualit�t des Hauses faszinierend h�rbar werden. Nagano dirigiert pointiert unspektakul�r, gibt den Instrumentengruppen - den ungemein harmonischen Streichern, den kraftvoll-pr�zisen Bl�sern - alle Chancen zur Artikulation der emphatischen Wagner-Verehrung Bruckners, pr�sentiert ein selten geh�rte Dynamik, l�sst fortissimi abrupt in pianissimi �bergehen, forciert unerh�rte crescendi, kostet die traumhaften Klangm�glichkeiten des Hauses delikat aus. Ob hier und heute eine weitere Bruckner-Renaissance ausbricht, bleibt unerheblich.

Wichtig ist: Dortmunds Konzerthaus wird zum Mekka f�r Klang-Fetischisten, spielt in der h�chsten Kategorie europ�ischer Konzerts�le, gleichauf mit dem Gewandhaus, dem Musikvereinssaal, dem Smetanasaal, der Oetkerhalle, dem Schauspielhaus. Stellt sich die Frage nach dem zu erwartenden Programmprofil: Wird Dortmund die Weiterentwicklung der Musik bef�rdern - oder bleibt das sensationelle Klangwunder ein blo�es Geh�use f�r aufgemotzte Wiederholungen des ohnehin Akzeptierten? Zweifel sind angebracht, ihre Widerlegung wird den Rang des Hauses bestimmen. (frs)


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