

Euer Berlin ist sehr langweilig
Jürgen Lodemann:
"Lortzing", Steidl-Verlag 2000
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Vor gut zwei Jahren
veröffentlichte der Buchautor Jürgen Lodemann seine Biographie
über den Komponisten Albert Lortzing ("Lortzing", erschienen
im Steidl-Verlag).
Jetzt zieht Lodemann eine Bilanz des Lortzing-Jahres 2001 mit ungewöhnlichen
Perspektiven und Informationen. Lesen Sie hier einen kurzen Auszug dieses
Aufsatzes. Der vollständige Text kann als Word-Datei
abgerufen werden.
"Meine Radiozeit hatte ich unter den Nazis. Einmal, ich war sieben,
kam nach dem Wichtig-Wichtig Gebr�ll, gleich nach den Nachrichten, ein
S�nger, ebenfalls wichtig, f�r den "gr��ten" hielt der sich, f�r "klug
und weise", in 4 Minuten 37 mal Ich, und: "Ich wei� zu bombardieren".
Kind war ich im Ruhrgebiet, und der da 1943 "zu bombardieren" wu�te, der
interessierte mich. Mir wurde erkl�rt, der sei in Wahrheit ein Idiot.
In einer Lortzing Oper. Nichts hab ich verstanden, 7j�hrig. Aber den Namen
hab ich mir gemerkt. Ohne was zu begreifen, ahnte ich die L�sung. Diese
Dr�hn M�nner um mich herum in Wahrheit Idioten?
Lortzing wurde in seinem Doppeljubil�umsjahr 2001 - 150ster Todestag,
200ster Geburtstag - aus dem Kr�hwinkel nicht befreit. Von den Spitzenpl�tzen
der Auff�hrungs Statistik h�ufiger inszeniert als Verdi, als Wagner st�rzte
er ausgerechnet in den "politisierten" Jahren um 1968 auf die hintersten
R�nge. Dabei geh�rt er zur Ursuppe unserer demokratischen Denk- und Lebensversuche.
Aus dem friederizianischen Berlin kam er, aus armem, aber aufgekl�rten
Milieu, aus einem, an dessen Ende, 100 Jahre sp�ter, jene unsch�tzbare
Leistung m�glich wurde, mit der ein deutsches Parlament einen Satz verabschieden
konnte, der nach Wilhelminismus und Nazizeit ungeheuer scheint: "Die W�rde
des Menschen ist unantastbar." Nicht die W�rde des deutschen Menschen,
nicht die des christlichen oder j�dischen oder moslemischen oder europ�ischen,
sondern die des Menschen. Das fiel halt nicht vom Himmel, mu�te erk�mpft
werden, und die daran ihr Leben setzten, denen sollte, denke ich, sowas
wie Aufmerksamkeit gelten. Vom Paulskirchenparlament 1848 f�hrt ein Weg
�ber die Weimarer Verfassung direkt zu den Leistungen des Grundgesetzes
von 1949, freilich �ber welch blutiges Jahrhundert.
[...]
M�rz 1848: Endlich das Ende der 36 Zwangs und Zensursysteme, Kanzler Metternich
vertrieben, der Kaiser ebenso, Freiheits Besoffenheit greift um sich,
Arbeiter pl�ndern, brandschatzen, die Studenten in Wien rufen das Theater
an der Wien, in dem Lortzing Kapellmeister ist, zum Nationaltheater aus,
Lortzing �bt ihnen neue Ch�re ein, "Sieg der Freiheit oder Tod", und wenn
nun auch in diesem tollen Jahr Lortzing den Opernvorhang aufgehen lassen
will, �ffnet sich ein authentischer Blick, ein akustisches Fenster in
diesen irren Fr�hling, in die �ngste, Tr�ume und Hoffnungen von 1848,
dann sollte, so wollte er, auch seine neue Oper eine Perspektive von tief
unten zeigen schon immer waren es die so genannten Einfachen (die damals
noch Opern besuchten), aus deren Blickwinkel er seine Musikspiele entwickelte.
1848 nicht aus der Sicht von Werftarbeitern, Schmiedegesellen, armen Landleuten
oder entlassenen Schulmeister, diesmal, in seiner Freiheitsoper "Regina"
benannt mit dem Namen seiner Frau - zum ersten und einzigen Mal in einer
deutschen Oper aus dem Blickwinkel der, laut B�hnenanweisung, Fabrikarbeiter.
Vor den Toren einer Fabrik mit rauchenden Schloten, in gro�er Aufregung".
Und die streiken: "Wir wollen nicht. Was h�tten wir davon... bei solchem
kargen Lohn!" Die werfen alles hin, da "r�hrt keiner eine Hand, keiner!"
Das ist exakt die Situation im M�rz 48 in Berlin oder Wien, "die Arbeiter
pl�ndern in den Vorst�dten", berichtet Lortzing, die z�nden ihre Fabriken
an. Und seine Opern Fabrikler verk�nden: "Beschlossen ist: zu Ende sei
/ die Knechtschaft und die Tyrannei! Wir werden Recht uns jetzt verschaffen
/ wenn nicht mit Worten, dann mit Waffen! ... Denn mit Waffen / l��t sich
schaffen / alles, alles in der Welt / Ruhm und Ehre, Freiheit, Geld!"
Ihr Programm ist erkennbar chaotisch, und diesen Berauschten des Fr�hlings
1848 tritt nun Reginas Freund entgegen, Richard, und verk�ndet in einem
inst�ndigen Appell an die Vernunft Lortzings Programm "O Herr, schmei�
Hirn vom Himmel!" Die Errungenschaften des Aufruhrs 1848 sieht der Autor
in gro�er Gefahr, gef�hrdet durch Hirnlosigkeit. Seine "Regina" plant
er bewu�t als ein Lehrst�ck in Sachen Freiheit, die auch schon f�r ihn
ihre Grenze hat in der Freiheit des anderen, "Regina" ist ein Anti Terror
St�ck, pl�diert f�r "Besonnenheit", selbst Engels warnte damals vor dem
"Lumpenproletariat" und auch Heine formulierte seine Furcht "vor den Greueln
einer Proletarierherrschaft", vor der "Wildheit entz�gelter Volksmassen",
"dem widerw�rtigsten aller Tyrannen".
In den einzigen zensurfreien Monaten seines Lebens entsteht Lortzings
"Regina", nun ohne Umwege �ber Komik und Parodie, eine dezidiert politische
Oper, die ein Licht wirft auf seine fr�heren. "Ich kann ihnen nicht helfen",
schreibt er 1848 und meint die Gro�kritiker, die Meisters�nger, die ihn
nach wie vor als Clown sehen, "mein neustes opus m�ssen sie schlucken".
Bis heute wurde es nicht geschluckt. Im Musikdrama "Regina" haben Ch�re,
also das Volk, die geheime Hauptrolle. Die Arbeiter bilden entgegengesetzte
Lager, zum einen eine radikale Terrorbande mit Freiheitsparolen, zum anderen
Gem��igte, eine sozialdemokratische Voraustruppe, 20 Jahre vor Erfindung
der Sozialdemokratie. Immerhin streikend 30 Jahre vor Erfindung der Gewerkschaften.
[...]
W�hrend Lortzing in Wien die letzten Takte seiner Freiheitsoper komponiert,
wird nebenan sein Freund exekutiert, der Paulskirchenpr�sident Robert
Blum, mit dem er schon 1836 eine Freiheitsoper konzipiert hatte. Hingerichtet
vom Milit�r, "mit Pulver und Blei". Mit Blum erschie�t die Soldateska
den ersten deutschen Republik Versuch. In der "Regina" Ouvert�re, zuletzt
entstanden, fehlen die Schlu�takte. Ich bin sicher, der Autor wollte sie
beenden mit der Hymne von der Freiheit als "V�lkerzier", mit dem Gesang
der "Arbeiter aller Klassen".
Von nun an ist Lortzing abgestempelt. "Regina" wird von den Theatern abgelehnt,
kommt in die Schublade, "wartet auf bessere Zeiten" (teilt er mit). Um
seine gro�e Familie zu retten, mu� er zur�ck auf die B�hne, in seine fi�hen
Paraderollen, ein Alternder, ein Kranker, "Faxen machen" nennt er das,
wieder tanzt und singt er den Dorfdeppen Peter. Das Publikum str�mt, ist
neugierig, den ber�hmten Autor von "Zar und Zimmermann", "Wildsch�tz"
und "Undine" Faxen machen zu sehen. Seine letzte Rolle ist der Valentin
im "Verschwender". "Der eine hei�t den andern dumm, am Ende wei� keiner
nix ... da leg ich meinen Hobel hin und sag der Welt ade".
Zuletzt lockt ihn ein Unternehmer nach Berlin, mit dem Versprechen, er
k�nne in der Schumannstra�e (heute "Deutsches Theater") seine Spieloper
pflegen. Folgt ein uns�gliches letztes Jahr. �ble Possenschmiere. Outburning.
Ersch�tternde letzte Briefe, endlich ungek�rzt zu lesen. Im Publikum wieder,
wie vor 1848, Zensor und Polizei. An seinem Todesabend rings, an vier
Berliner H�usern, Opern von ihm. "Die beiden Sch�tzen", "Zar", "Undine",
"Der Pole und sein Kind". Er hatte nichts davon. Tantiemen wurden erst
nach seinem Tod erfunden. Letztes �berliefertes Schriftliches: "Fratzen
schneiden". Letztes M�ndliches: "Euer Berlin ist sehr langweilig". - "Euer"
Berlin? In seiner Geburts und Sterbestadt gab es im Januar 2001, als er
150 Jahre tot war, an 30 Abenden Verdi Opem. Gut so, auch Verdi hatte
Jubil�um. Aber keinmal Lortzing? der 1848er? In seiner Stadt? die unter
ihren Pal�sten eine "Komische Oper" hat? Festgeklebt im Winkel Biedermeier,
Immer noch bleibt er zu entdecken. Als 1848er, als Ensemble Virtuose,
als Parodist, als Theater und Text K�nner mit ungew�hnlichen Perspektiven,
als realistischer Freiheitsmusikant."
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