

Im Winter von Blumen träumen
Gerard Mortier
Foto: © Harald-Hoffmann
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Interview der Süddeutschen
Zeitung mit dem RUHRtriennale-Intendanten Gerard Mortier vom 30.09.2002.
Das Gespräch führte Andreas Wilink.
SZ: Als die Ruhr-Triennale erfunden wurde, bestand die Sorge, ein
Event- und Repr�sentationsfestival werde etabliert. Nichts weniger ist
passiert. Unspektakul�rer k�nnte der gesellschaftliche Charakter kaum
sein. Ist das Programmatik?
Mortier: Ich bin nicht hergekommen, um etwas zu wiederholen, das
ich schon mal gemacht habe - obwohl ich inhaltlich weiterhin mit vertrauten
K�nstlern arbeite. In Salzburg schuldet man dem Festival Glamour. Bei
der Triennale geht es mir um Fragestellungen: was die Kunstvermittlung
betrifft, die �sthetische Umsetzung und das Erreichen der Bev�lkerung.
Bei der Landesregierung gab es Zielsetzungen, die damit �bereinstimmen,
vielleicht auch andere, die davon abweichen. Das f�nde ich nicht schlimm.
Ich glaube nicht, dass ich die Landesregierung betrogen, ihnen ein Kuckucksei
ins Nest gelegt habe. Die Politik hat eine Idee gehabt und ich meine eigenen
Erfahrungen. Man muss sehen, ob das konform geht. Zur Zeit habe ich den
Eindruck, dass man sich sehr wohl von der Richtung, die ich der Triennale
zu geben suche, leiten l�sst.
SZ: K�nstlerisch und �konomisch?
Mortier : Ich biete mit Mozarts "Don Giovanni" von Gr�ber/Zender eine
Qualit�t, f�r die man Salzburger Preise verlangen k�nnte, aber das will
ich nicht - unser Durchschnittspreis liegt bei 25 Euro. Da stellt sich
dann eine gesellschaftliche Frage: Muss die Kunst wirtschaftlich sein,
oder ist uns das Ruhrgebiet so wichtig, dass wir h�chste Qualit�t wollen
und zwar f�r Preise, die f�r diese Region fassbar sind? Wirtschaftlich
gesehen kann die Ruhr-Triennale nie ein erfolgreiches Festival werden.
Diese Einsicht werde ich dem Aufsichtsrat vorlegen.
SZ: Wie beeinflussen Erfahrungen des ersten Durchlaufs Pl�ne
f�r 2003/2004? M�ssen Sie sich umorientieren?
Mortier: Umorientieren nicht, wohl aber Korrekturen durchf�hren.
In St�dten, die nicht �ber gro�e eigene Kultur-Institutionen verf�gen
wie Bottrop, Gladbeck, Hamm sp�rt man trotz ernsten Engagements, dass
es keine Duisburger Philharmoniker, kein Bochumer Schauspielhaus, kein
Aalto Theater gibt. Hier stellt die Triennale eine Art kultureller Grundversorgung
dar - f�r uns eine neue Erfahrung. Wir werden also k�nftig genau besprechen,
welches Repertoire wir welchem Ort geben, damit man die Leute nicht abschreckt
und dennoch die eigene Zielsetzung nicht verr�t. Das gilt auch Peter Sellars'
"Kinder des Herakles" - ein Abend, der in New York und in Paris ausverkauft
sein wird. In Bottrop lie� sich das nicht erwarten. Trotzdem hat niemand
Recht, der mir den Anspruch meines Programms vorwirft. Aber in diesen
St�dten - das klingt jetzt hart - wurde Jahre lang tabula rasa gemacht.
SZ: Unterscheiden Sie hier Theater und Musiktheater?
Mortier: Im Theater-Bereich w�rde ich keine Korrekturen machen. Da gibt
es genug Vorarbeit, etwa von Klaus Weise in Oberhausen, in Bochum und
durch die Duisburger "Akzente". Im musikalischen Bereich ist es schwieriger.
Dortmund hat zwar jetzt ein phantastisches Konzerthaus, aber man stellt
fest, dass das B�rgertum dort noch nicht entdeckt hat, dass wir 100 Jahre
weiter sind als Brahms. Auch da ist meine Rolle bei der Triennale, neue
Anspr�che zu stellen.
SZ: Hat sich die deutliche Konzentration auf kammermusikalische
Inszenierungen wom�glich als zu kleinteilig, als zu wenig raumf�llend
erwiesen?
Mortier: Ich sehe darin keinen Fehler. Es war zun�chst eine k�nstlerische
Idee, hatte aber auch zu tun mit meiner Sorge um technische Umsetzung.
Auf Logistik verstehe ich mich nun wirklich. In Salzburg habe ich acht,
neun Produktionen parallel herausgebracht. Aber an einem Ort ohne Logistik
- ein Wunder, dass wir das geschafft haben - muss ich nicht mit f�nf Riesen-Opern
anfangen, sondern mit St�cken, die zu �berblicken sind. Die Wahl war also
ganz praktisch. Aber zugleich k�nstlerisch. Im Ruhrgebiet war fr�her immer
alles auf Spektakel gegr�ndet - der erste Wunsch an mich ging dahin, Wagners
"Ring" zu machen. Ich glaube aber eher an eine Dialektik von monumentalen
R�umen und intimen St�cken. In gro�en R�umen wie der Duisburger Kraftzentrale
oder der Jahrhunderthalle funktioniert entweder episches oder reduziertes
Erz�hlen. Aber eindeutig ist auch, dass wir bei unseren Produktionen noch
einen Schritt weiter gehen k�nnen.
SZ: Doch wohl vor allem beim Dialog zwischen St�cken und Industrie-R�umen.
Diese Korrespondenz scheint bislang eher ein Monolog geblieben zu sein.
Mortier: Das muss man weiter entwickeln, absolut. Ich spreche lieber
von Dialektik, weil ich will, dass die St�cke den Raum nicht best�tigen,
sondern befragen und umgekehrt. Im Dialog liegt eher Konsens. Ich aber
suche den Kontrast. Romantisierung der R�ume f�nde ich sehr gef�hrlich.
Das Schwierigste bleibt, das Richtige f�r die R�ume zu finden. Ich betrachte
die Halle 5 auf Zollverein, wo "Deutschland, deine Lieder" lief, nicht
als Auff�hrungsraum - das fand statt wegen der Unesco-Feier. Auf Zollverein
sind Salzlager, Mischanlage und Kanal zu bespielen. F�r die Duisburger
Gebl�sehalle wiederum besteht die Gefahr, dass man sie zu schnell wie
einen ziemlich normalen Theaterraum benutzt.
SZ: Das wird auch noch Ihren Nachfolger im Jahr 2005 besch�ftigen.
Mortier: Ich �berlege, ob der n�chste Triennale-Intendant nicht ein Mann
aus der bildenden Kunst oder der architekturalen Kunst sein sollte? Es
muss nicht immer ein Konzert- oder Opernorganisator sein, der Hauptakzent
muss sich f�r mein Gef�hl stets ver�ndern. F�r den Anfang war sicherlich
jemand gut, der von der Performance kam, um die Hallen zu beleben. Von
der Jahrhunderthalle bin ich fasziniert. Zugleich bef�llt Angst mein Herz,
wie diese Halle zu beherrschen ist.
SZ: In Schuberts "Winterreise" hei�t es: "Ihr lacht wohl �ber
den Tr�umer, der Blumen im Winter sah." W�rde Sie das charakterisieren?
Mortier: Ich hoffe sehr, dass ich von Blumen tr�ume, obwohl es
Winter ist. Ohne diesen Traum kann man hier gar nichts tun - und w�rde
ich mich doch nie samstags in den Zug nach Hamm setzen und mit 80 Leuten
�ber eine Auff�hrung reden. Das ist Kleinarbeit!
SZ: Hat der Tr�umer auch schon Albtr�ume bekommen?
Mortier: Im nationalen Feuilleton gab es oberfl�chliche Reaktionen,
nicht sehr professionell. Kein Mensch hat etwa das Festival 2002 von Aix-en-Provence
in Frage gestellt. Dabei ist jede Vorstellung der Triennale besser und
wichtiger, aber dort gibt es Platanen und Lavendelgeruch. Also, wo liegen
die Kriterien? Das Schwierigste bleibt f�r uns, die breite Bev�lkerung
anzusprechen, was �berhaupt noch nicht der Fall ist. Das kann ich nur
im Kontakt mit den Kulturdezernenten tun. Die b�rgerliche Schicht kommt,
kunstinteressiert, nicht snobistisch oder reich. Die Schickeria kommt
nicht - die wird kommen. Wir werden uns jetzt auf das breite Publikum
konzentrieren, und das l�uft nicht �ber Plakatierung, sondern nur in direktem
Kontakt, etwa mit Lehrern und Sch�lern. Wir haben jetzt 23000 Karten verkauft,
ich vermute, 28000 erreichen wir - 30000 w�ren toll.
SZ: Also keine gro�en Bitternisse?
Mortier: Meine bitterste Entt�uschung ist das - mit Ausnahme der Ruhrkohle
- totale Desinteresse der Industrie, nicht der kleineren Firmen, sondern
der Gro�industrie, die die Landschaft gepr�gt hat und um deren Konversion
k�mpft, aber unwissend ist, was Kultur hier bedeuten k�nnte. Mir geht
es dabei nicht allein um Sponsoring, es geht um Teilnahme. Thyssen-Krupp
ist g�nzlich abwesend. Dass die das Klavierfestival Ruhr besuchen, sch�n,
aber Klavierfestival und Triennale haben andere Aufgaben und Ziele. Insofern
werde ich mein Sponsoring international ausrichten, das k�nnte zu einem
b�sen Erwachen f�hren. Die Herrschaften m�gen ohne Sorge ihre Privatkonzerte
genie�en, aber sollten den Metrorapid f�rs Ruhrgebiet nicht verpassen.
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