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Bühne frei - für die Technik
Manch ein Opernhaus lässt sich zum Saisonauftakt etwas Besonderes einfallen. Das ist auch gut und richtig so, schließlich wollen die Zuschauerinnen und Zuschauer auf den Geschmack gebracht werden. Was sich allerdings die Wiener Staatsoper ausgedacht hat, wird seinesgleichen suchen müssen. Eine Hommage an die Arbeiter hinter den Vorhängen begeisterte das Publikum.
Es ist ein heißer Tag in Wien. Kein Wölkchen ist am Himmel zu sehen. Lediglich eine leichte Brise täuscht über die Hitze hinweg. Selbst in den Abendstunden treiben die Temperaturen noch den Schweiß auf die Stirn. Für das Opernpublikum kein Grund, sich in Biergärten oder zum Heurigen zu flüchten. In Scharen versammelt es sich vor der Oper, um Einlass zum Tag der offenen Tür zu finden. Der ist seit Tagen auf Plakaten angekündigt, mit dem Hinweis, man rechne mit großem Andrang und bitte deshalb darum, sich Zählkarten zu besorgen. Die sind bei freiem Eintritt rasch vergeben, trotzdem haben Unentwegte eine Chance. Jedes Mal, wenn ein Gast die Oper verlässt und seine Karte zurück gibt, bekommt sie ein Wartender, der dann doch noch hinein darf. Während das Publikum das Haus stürmt, zeigt sich das Personal in der Oper professionell vorbereitet. Infostände mit Programmzetteln und kompetenten, überaus geduldigen und freundlichen Mitarbeitern verscheuchen die Scheu manches Besuchers, sich hinter die Kulissen zu wagen. Im ganzen Haus angebrachte Hinweisschilder weisen die Wege zu Orgelsaal, Proben- und Balletträumen, zur Bühne, zu Logen und Rängen oder in den Orchestergraben. Aufmerksames, auskunftswilliges Aufsichtspersonal begrüßt die Gäste freundlich, wo auch immer sie auftauchen, schickt so manchen Verirrten dorthin, wohin er eigentlich wollte. Im Parkett klären Mitarbeiter in den unterschiedlichsten Sprachen mit kurzen Einführungen über Vorurteile zu Eintrittspreisen auf und haben auch sonst so manches Anekdötchen parat. Dass der Lüster über ihnen drei Tonnen wiegt, interessiert die Besucher denn auch weniger als der Umstand, dass in den Logen eigens Lampen angebracht sind – damit die Gäste dort wenigstens die Partitur mitlesen können; sehen können sie ja längst nicht alles. Ob auf der Bühne, in der Maske oder den Garderoben der Solisten, überall warten kleine Attraktionen auf die Besucher, die wie Ameisen über ein Stück Kuchen wuseln. Bei all dem bunten Treiben ist die Hitze unerträglich. Die Gesichter glänzen vom Schweiß, die Augen von der Begeisterung. Und alles strebt dem wahren Höhepunkt entgegen.
Die Dramaturgie ist perfekt
Pünktlich startet das Spektakel auf der Bühne. Obgleich es die zweite Veranstaltung an diesem Tag ist, entsteht nicht eine Sekunde lang das Gefühl, einer Wiederholung beizuwohnen. Uninteressant, dass der Tag der offenen Tür bereits zum fünften Mal stattfindet. Mit orchestralen Klängen vom Band – weil an diesem Tag die Arbeiter hinter der Bühne im Vordergrund stehen, also auch kein Orchester eine wirkliche Rolle spielt – wird die Bühne freigegeben für die Fähigkeiten von Bühnenmitarbeitern, die virtuos mit Schnürboden, Hydrauliken von Hebebühnen und dem Licht spielen. Nicht menschliche Tragödie steht im Vordergrund, sondern Technik spielt die Oper, die nicht weniger eindrucksvoll ist. Da mischt sich eine Dia-Schau ein, die die Geschichte des Opernhauses dramatisiert. Das historische Gebäude, im Zweiten Weltkrieg zerbombt, von den Wienern wieder aufgebaut, in aller Pracht. Die Tempi wechseln, Überblendungen verdeutlichen der Zeiten Lauf. Auftritt des Intendanten vor dem letzten Bild der Oper, wie es die Besucher kennen. Nicht der laute, schillernde Auftritt ist seine Sache. Stattdessen dankt er den Gästen für ihren Besuch und freut sich darauf, sie wieder einmal begrüßen zu dürfen. Abgang von Direktor Holender und Katharsis. Wer sonst nicht vor den Zuschauern auftaucht und doch so wichtig für das Gelingen einer Produktion ist, zeigt jetzt auf der Bühne seine Freude an der Arbeit. Ein Film „beweist“, dass selbst das Reinigungspersonal und die Portiers Spaß an ihrer Arbeit in der Oper haben. Im Rhythmusspiel, das an Aufführungen à la Stomp erinnert, klingt das Regelmaß genau so an wie die Kreativität, die jeder Produktion auch hinter der Bühne innewohnt. Die Fassade eines Hauses wird an den Bühnenrand heran geschoben, öffnet sich und bietet allen Berufsgruppen Platz, die sich mit sichtbarer Freude dort versammeln. Selten ist eine halbe Stunde kurzweiliger, verbindender und spannender, seltener noch eine Metapher unaufdringlicher gewesen. Und während sich die Gäste in der lauen Nachtluft verlieren, um noch eine Bar, ein Café aufzusuchen oder einfach nur über die Kärntner Straße zu flanieren, nehmen sie das Gefühl mit, dass dieser Abend nur ihnen gewidmet war. Schöner, überzeugender, herzlicher kann man ein solches Fest abseits der Wiener Staatsoper wohl nur schwer gestalten.
Michael S. Zerban, 1. 9. 2009
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