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Oper & Tattoos
Ren� Polleschs "24 Stunden sind kein Tag" im Rahmen des Neustadt-Projektes
an der Volksb�hne Berlin Nein! Quatsch! Ich wei� selbst, da� das keine
Oper ist. Aber es ist eine, jedenfalls dann, wenn Oper die musikalische
Darstellung von Leidenschaften ist oder Leidenschaften selbst wird.
Ja, dann ist das hier eine Oper. Eine, bei der halt der Gesang fehlt.
Aber er fehlt ja gar nicht, denn es brauchte einen Atmer mehr, und das
hinausgeschrieene "Schei�e" der drei Protagonistinnen w�rde Gesang werden;
er darf das aber nicht werden, denn dann w�r man ja restlos im Arsch...
und im Arsch sein oder Beckett spielen, ich meine, wer will das schon?
Da w�r man doch wieder beim Gesamtwerk von Fa�binder und Carpenter, bei
dem man nat�rlich auch so ist, immer wieder, wir kommen aus dem Rattenrad
nicht raus, in den verfallenden St�dten Molochs, auch denen, denen der
Verfall noch gar nicht anzusehen ist, auch in Berlin nicht...
Ren� Polleschs St�ck ist eine Oper ohne Gesang �ber die Vergeblichkeit
in St�dten und dar�ber, wie mies es ist, sich an dieser Vergeblichkeit
und diesen St�dten auch noch zu berauschen, eben auch: musikalisch zu
berauschen. Also ist dieses St�ck in antikem Sinn klassisch, sein Thema
ist die Katharsis. Genau deren Dynamik hat Adorno, sie f�r die Gegenwart
der Kulturindustrie uminterpretierend, "Verblendungszusammenhang" genannt.
Ich habe das selten derma�en einleuchtend und zugleich frustrierend in
Szene gesetzt erlebt wie gestern abend hier.
Seit Wagner das Orchester in den B�hnengraben verlegte, imgrunde unsichtbar
machen wollte (was man am schlagendsten in Bayreuth erleben kann), also
seit Geburt der Filmmusik, ist der Weg einer sich nicht musealisierenden
Oper in den Spielfilm imgrunde vorgezeichnet; und aus dem Spielfilm kehrt
sie manchmal - nun regressiv pervertiert - auf die B�hne, und zwar in
Fremdterrain zur�ck: im Saal der Volksb�hne in etwas, das sich, wenn nicht
"Oper", so schon gar nicht mehr "Schauspiel" nennen kann. Es fehlt n�mlich
"die Geschichte", die story, der Plot. Ja aus der Vorlage Ren� Pollaschs
- John Carpenters SF-Spielfilm "Die Klapperschlange" - ist alles herausgesogen
und weggespuckt worden, was einmal Geschichte war... und es bleiben verzweifelte,
verlorene Leidenschaften, die sich nur noch herausbr�llen lassen oder
sich in theoriegeladene, zugleich endlos plappernde S�tze fl�chten, S�tze
neben den Gef�hlen, die dennoch bisweilen gut konstruiert komisch sind,
deren Syntax indes an die Pamphlete Jan-Carl Raspes oder Holger Meins'
erinnert. Was das vorwiegend sehr junge Publikum wahrscheinlich nicht
ahnt, um das herum gespielt wird.
Es gibt kaum mehr einen Unterschied zwischen B�hne und Sitzsaal, der sowieso
improvisiert und von Stadtensemble umbaut ist, hier Friseur, da oben ein
Waschsalon, dort vorn der sich drehende Wohncontainer, alles sehr stilisiert,
sehr filmisch sowieso und schon deshalb ein wenig sehr auf die USA abgestimmt,
schlie�lich lautet der zweite Titel dieser Schreioper mit Musik "Escape
from NewYork". Diese das St�ck hochgradig aufladende Musik - aus versteckten
Lautsprechern rasend - spricht ebenfalls meist amerikanisch oder wird
rabiater, kreischender, technohafter Rap. Es ist bisweilen so laut, dass
der Zuschauer vor mir sich die Ohren zuh�lt.
Hierzwischen nun, mal rennend, mal sich abseilend, mal sich an Mietskasernen
aufgeilend, meist jedoch mitten im Publikum sitzend und mit gro�er Energie,
ja w�tender Hingabe ihre architektursoziologisch-politischen Phrasen dreschend,
agieren Christine Gro�, Nina Kronj�ger und Catrin Striebeck unter deutlich
sp�rbarer (und so auch inszenierter) Beteiligung einer Souffleuse mit
gro�en opernhaften Gesten, die nur zweimal klein werden, intim, innig.
Da liegen die Frauen beieinander und k�nnen sich ihre Liebe nur noch gestehen,
indem sie sich anfl�stern, wie schei�e sie einander finden, wie zum Kotzen,
und dazu l�uft ein s��licher Popsong und f�llt den Saal und die Herzen.
Zum Schluss geht's gar uns�glich pubert�r ans Sterben; herzr�hrend ist
das abermals und also erneute Perversion, Umschlag des Elends in Lust:
sich "abtanzen" als eleusinische Affirmation. So auch, wenn die drei Damen
dem Publikum ihre Tattoos zeigen, sie an einer Schaufensterscheibe, von
innen, reiben. Seht her, unsere Wunden. Deutlicher kann Pop kaum desavouiert
werden, er wird aber weitergefeiert. Viele der jungen Leute im Publikum
summen mit... Und sie haben insofern Recht, als das ganze St�ck ohne Musik
nicht funktionierte. So funktioniert es nicht nur, sondern die Leidenschaften
finden ihren Ausdruck wie in der "anderen" Oper oder wie, ecco!, im Spielfilm
nur.
Heftiger, lange anhaltender Beifall. Und hinterher anhaltend Verst�rung.
Sicher nicht nur bei mir. (anh) |
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