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Fakten zur Aufführung 

ALBERT HERRING
(Benjamin Britten)
17. April 2005
(Premiere: 6.3.05)

Komische Oper Berlin

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Auch wenn die vor allem orchestrale Präsenz nicht ganz die Sattheit erreicht, die Brittens Aufnahme von 1964 auszeichnet, so ist doch die von der Komischen Oper Berlin neu herausgebrachte Inszenierung des auf dem Kontinent höchst selten gegebenen “Albert Herring” von 1949 eine herrlich verspielte Angelegenheit; die Klänge der aus historischen Gründen kleinen Instrumentalbesetzung lassen sich in einem Studio sicherlich auch markanter herausarbeiten als in einem allerlei Unwägbarkeiten ausgesetzten Opernhaus.

Tatsächlich haben Jin Wang und das Orchester der Komischen Oper hörbare Freude daran, all die kleinen witzig-gemeinen Anspielungen Brittens deutlich werden zu lassen. Und zwar nicht nur die Seitenhiebe auf den (klein-)bürgerlichen Kuhstallgeruch der "Meistersinger" – mehrmals klingt deutlich sogar Pfitzners Palestrina durch -, sondern auch ein Melos, das bereits den über zehn Jahre späteren "Midsummer Night’s Dream" vorwegzunehmen scheint. Und zwar dies, obwohl der typisch englische Sanges-Klang fehlt, was sich aber in der Felsenstein-Tradition dieses Hauses nicht verhindern lässt; immerhin macht es sich angenehm bemerkbar, dass die klangliche Übersetzung bei auf Deutsch gesungenen englisch- (und französisch-) sprachigen Opern sehr viel besser funktioniert als etwa bei italienischen. Dennoch geht aus rein sprachlichen, nicht etwa sängerischen Gründen manch eines der innigen lyrischen Momente verloren, die Brittens sehr spezielle Tonalität so oft derart herzrührend machen.

Witz und Rhythmik allerdings funtkionieren hie wie dort. So lässt denn der Regisseur Willy Decker die Maifeierlichkeiten des Stückes konsequent den Charakter eines Sommernachtstraums annehmen - mit deutlichen komischen Entgrenzungen aller Teilnehmer, was wiederum vor allem dann zu großer Belustigung im Publikum führt, wenn die höchst moralische Haushälterin Lady Billows’ die Füße nicht mehr recht zu bewegen weiß und unsicher wie mit voller Hose über die Bühne stapft, wobei sie schnell noch mal einen Schluck aus der Flasche nimmt.

Die Bühne selbst ist denkbar einfach gehalten; es gibt einen Musikpavillon (sinnigerweise ist das Orchester in einen mitspielenden und einen rein-orchestrierenden Part geteilt; der mitspielende Teil trägt, im Pavillon, heilsarmee-ähnliche Kostüme) und eine Art Lager dahinter. Hin und wieder übernehmen die Sänger selbst mal einen Part auf dem im Musikpavillon stehenden Klavier, das dann die Funktion eines Generalbasses hat – spielerisch selbstverständlich, auch ironisch, wenngleich wie so vieles bei Britten über Purcell vermittelt und durchaus ernst grundiert. Denn letztlich geht es ja nicht um Tingeltangel, sondern um humanistische Emanzipation, und zwar sowohl Britten als auch Willy Decker.

Es ist höchst einleuchtend und im übrigen wohltuend, wie der Regisseur in seine Interpretation bestimmte Erscheinungs-formen jugendlichen Protestes einbaut – wobei er andererseits auf die 50er, allenfalls 60er Jahre historisiert, also diese Oper insgesamt als historisches Stück aufführt. Da wäre möglicherweise eine andere Lösung zu suchen gewesen. So ist es insgesamt ein wenig zu bequem. Denn die kaum mehr als fünfzig Jahre, die uns von der Zeit der Komposition trennen, bekommen nun etwas von einhundert, einhunderfünfzig Jahren, was wiederum die Aktualität der verhandelten Grundfragen noch ferner hinwegrückt, als wäre die Handlung zu shakespearschen Zeiten angesiedelt. Denn dass der Jung-Rebell Sid, der für den verklemmten Albert Herring letztlich zum Vorbild wird, so sehr an einen aufsässigen Presley erinnert, bedient ja selbst schon eine klischierte Jugend-Ikone vorgeblicher Rebellion.

Freilich behandelt diese Überlegung eine grundsätzliche, eine Einstellungs-Haltung; insofern und sowieso fairerweise ist sie gegen Deckers Inszenierung nur sehr eingeschränkt, nämlich im Sinne eines Diskussionsbeitrags vorzubringen. Den ich an dieser Stelle in die Auseinandersetzungen darüber werfe, was Oper heutzutage sei. Ohne dass er der schönen Inszenierung Unrecht tue, die sein Anlass ist. (anh)


Foto: © Monika Rittershaus