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Fakten zur Aufführung 

DON CARLO
(Giuseppe Verdi)
20. Juni 2004

Staatsoper Unter den Linden (Berlin)

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Hegemonialinteresse und Folter: Es wird
vorz�glich gespeist


"Ekelhaft!" "Ausgemachter Mist" schrie es bereits nach dem Zweiten Bild aus dem wie zur Gala hergemachten Publikum. Es wurde auch gekontert: "Ruhe da hinten!" Vorn stand l�chelnd Nadja Michaels Eboli, eine Art Ninja-Chefin f�r den spanischen Geheimdienst, der keinen Moment daran zwiefeln lie�, wer wirklich gemeint ist. Gerade hatte die brutale Frau einem Mohammedaner Wein eingefl��t... Und als am Ende des Zweiten Aktes f�nf nackte, schlimm zugerichtete Gefangene an den F��en in die H�he gezogen werden, derweil es sich der Hof kulinarisch gut ergehen l�sst, da war denn die Emotion im Publikum gar nicht mehr zu halten: "Skandal!" "Armer Verdi!" "Pfui!" donnerte es, und manche anderen und ich donnerten unsere "Bravi!" dagegen.

Seit Neuenfels' Frankfurter Aida von 1981 habe ich eine solche Aufregung nicht mehr in einer Oper erlebt. Aber es schien ja auch wirklich alles da zu sein, was wirtschaftlich Namen hat in der Stadt, selten sah ich wieder so viel Schwarzen Anzug, sogar Fliege war vertreten... dabei war es die dritte Vorstellung, nicht etwa Premiere.

Philip Himmelmann hat Verdis schlankere, italienische Fassung des Dramas um Vormachtstellung in Flandern (also hier: Nahost), um erotische Intrige und, wenn man will, den �dipus trotz einiger drastischer Bilder h�chst subtil inszeniert und zeigt permanent, wie unerbittlich eng sich die Schlingen aus privaten und �ffentlichen Obsessionen ziehen k�nnen, wie verfilzt erotische Interessen mit machtstrategischen sind und wie wenig Verlass auf den ersten Anschein ist: Verrat erkl�rt sich unvermittelt als hochmoralisches Kalk�l, der Treue liegt blo� der Verzicht zugrunde, das unausweichliche Protokoll - hier vertreten durch Kwangchoul Youns geradezu starren, gleichsam "maoistischen" Gro�inquisitor - bindet auch den, der zu zweifeln anf�ngt, und macht ihn genau darum so schwach, dass er den eigenen Sohn opfert - die vom Inquisitor rhetorisch betriebene Hochblasphemie, genau das habe schlie�lich auch der Vater im Himmel, n�mlich f�r die Menschheit, getan, macht das sogar zwingend.

Himmelmann l�sst nicht ab, die Verengungen zu gestalten, in die nahezu jeder in dieser Oper ger�t, Loyalit�t und Aufruhr, politischer Widerstand und sexuelles Begehren sind derart ineinanderger�hrt, dass eine allegorische Dynamik erreicht wird, die an Tragik grenzt. Das findet seinen H�hepunkt vor der Pause. Nach der Pause geht es, scheinbar sehr beruhigt, fast kammerspielhaft weiter. Da schreit dann im Publikum keiner mehr, man ist wieder mit sich in Ruhe gelassen. Aber das St�ck gibt weitere Parallelisierungen auch nicht recht her.

Johannes Leiackers B�hnenbild kombiniert wenige Elemente wie den immer gegenw�rtigen Speisetisch mit ein paar St�hlen und einem Szenenwechsel, der sich durch passepartout-artig bewegliche schwarze Leinw�nde vollzieht, die zumal an Blenden gemahnen. Das ergibt bisweilen aufregende r�umliche T�uschungen, spielt mit "cut up" und "Kamerafahrten" und kann R�ume sehr intim oder �ffentlich machen.

Unter Fabio Luisi brodelt das Orchester, singt elegisch oder marschiert banalbombastisch daher (wozu die mi�handelten Kriegsgefangenen wirklich gut "passen"); manchmal �berdeckt es ein wenig den Carlo Dalibor Jenis', was aber an ihm, wohl auch an der Stimmlage liegt.

Der zugleich unmenschlich-eisenharte wie gebrochene Philipp Ren� Papes ist eine Meisterbesetzung, Nadja Michael singt ihre Eboli mit einem Sex, den man eigentlich im Cabaret erwartet, das macht ihre schlie�liche Zerknirschung allerdings etwas unglaubhaft, f�r solch eine Reue hat Himmelmann sie zu sehr (und zu Recht) mit Macchiavelli gewaschen. Und als gro�e Trag�din der gro�e Klang Norma Fantinis (Elisabetta).

Dem polarisierten L�rm nach dem Zweiten Akt folgte nach dem Vierten Gejubel, - aber da waren die Buher vielleicht schon gegangen. Mein Nachbar jedenfalls sa� nach der Pause nicht mehr da. Und ich trug das enorme Gef�hl von Gerechtigkeit heim: In den Wozzeck gehen sie nicht, die Leute, der ist ihnen zu unbequem, sie wollen schlie�lich ihr sentimentales Ich entsch�digen, weil sie es im t�glichen Machtkampf so ducken - doch da ruft "Ich bin allhier!" pl�tzlich ein Wozzeck im Verdi. Kein wahres Leben im falschen. (anh)


Karten unter (030) 20 35 45 55






Fotos: © Monika Rittershaus