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Hegemonialinteresse und Folter:
Es wird
vorz�glich gespeist
"Ekelhaft!" "Ausgemachter Mist" schrie es bereits nach dem Zweiten Bild
aus dem wie zur Gala hergemachten Publikum. Es wurde auch gekontert: "Ruhe
da hinten!" Vorn stand l�chelnd Nadja Michaels Eboli, eine Art Ninja-Chefin
f�r den spanischen Geheimdienst, der keinen Moment daran zwiefeln lie�,
wer wirklich gemeint ist. Gerade hatte die brutale Frau einem Mohammedaner
Wein eingefl��t... Und als am Ende des Zweiten Aktes f�nf nackte, schlimm
zugerichtete Gefangene an den F��en in die H�he gezogen werden, derweil
es sich der Hof kulinarisch gut ergehen l�sst, da war denn die Emotion
im Publikum gar nicht mehr zu halten: "Skandal!" "Armer Verdi!" "Pfui!"
donnerte es, und manche anderen und ich donnerten unsere "Bravi!" dagegen.
Seit Neuenfels' Frankfurter Aida von 1981 habe ich eine solche Aufregung
nicht mehr in einer Oper erlebt. Aber es schien ja auch wirklich alles
da zu sein, was wirtschaftlich Namen hat in der Stadt, selten sah ich
wieder so viel Schwarzen Anzug, sogar Fliege war vertreten... dabei war
es die dritte Vorstellung, nicht etwa Premiere.
Philip Himmelmann hat Verdis schlankere, italienische Fassung des Dramas
um Vormachtstellung in Flandern (also hier: Nahost), um erotische Intrige
und, wenn man will, den �dipus trotz einiger drastischer Bilder h�chst
subtil inszeniert und zeigt permanent, wie unerbittlich eng sich die Schlingen
aus privaten und �ffentlichen Obsessionen ziehen k�nnen, wie verfilzt
erotische Interessen mit machtstrategischen sind und wie wenig Verlass
auf den ersten Anschein ist: Verrat erkl�rt sich unvermittelt als hochmoralisches
Kalk�l, der Treue liegt blo� der Verzicht zugrunde, das unausweichliche
Protokoll - hier vertreten durch Kwangchoul Youns geradezu starren, gleichsam
"maoistischen" Gro�inquisitor - bindet auch den, der zu zweifeln anf�ngt,
und macht ihn genau darum so schwach, dass er den eigenen Sohn opfert
- die vom Inquisitor rhetorisch betriebene Hochblasphemie, genau das habe
schlie�lich auch der Vater im Himmel, n�mlich f�r die Menschheit, getan,
macht das sogar zwingend.
Himmelmann l�sst nicht ab, die Verengungen zu gestalten, in die nahezu
jeder in dieser Oper ger�t, Loyalit�t und Aufruhr, politischer Widerstand
und sexuelles Begehren sind derart ineinanderger�hrt, dass eine allegorische
Dynamik erreicht wird, die an Tragik grenzt. Das findet seinen H�hepunkt
vor der Pause. Nach der Pause geht es, scheinbar sehr beruhigt, fast kammerspielhaft
weiter. Da schreit dann im Publikum keiner mehr, man ist wieder mit sich
in Ruhe gelassen. Aber das St�ck gibt weitere Parallelisierungen auch
nicht recht her.
Johannes Leiackers B�hnenbild kombiniert wenige Elemente wie den immer
gegenw�rtigen Speisetisch mit ein paar St�hlen und einem Szenenwechsel,
der sich durch passepartout-artig bewegliche schwarze Leinw�nde vollzieht,
die zumal an Blenden gemahnen. Das ergibt bisweilen aufregende r�umliche
T�uschungen, spielt mit "cut up" und "Kamerafahrten" und kann R�ume sehr
intim oder �ffentlich machen.
Unter Fabio Luisi brodelt das Orchester, singt elegisch oder marschiert
banalbombastisch daher (wozu die mi�handelten Kriegsgefangenen wirklich
gut "passen"); manchmal �berdeckt es ein wenig den Carlo Dalibor Jenis',
was aber an ihm, wohl auch an der Stimmlage liegt.
Der zugleich unmenschlich-eisenharte wie gebrochene Philipp Ren� Papes
ist eine Meisterbesetzung, Nadja Michael singt ihre Eboli mit einem Sex,
den man eigentlich im Cabaret erwartet, das macht ihre schlie�liche Zerknirschung
allerdings etwas unglaubhaft, f�r solch eine Reue hat Himmelmann sie zu
sehr (und zu Recht) mit Macchiavelli gewaschen. Und als gro�e Trag�din
der gro�e Klang Norma Fantinis (Elisabetta).
Dem polarisierten L�rm nach dem Zweiten Akt folgte nach dem Vierten Gejubel,
- aber da waren die Buher vielleicht schon gegangen. Mein Nachbar jedenfalls
sa� nach der Pause nicht mehr da. Und ich trug das enorme Gef�hl von Gerechtigkeit
heim: In den Wozzeck gehen sie nicht, die Leute, der ist ihnen zu unbequem,
sie wollen schlie�lich ihr sentimentales Ich entsch�digen, weil sie es
im t�glichen Machtkampf so ducken - doch da ruft "Ich bin allhier!" pl�tzlich
ein Wozzeck im Verdi. Kein wahres Leben im falschen. (anh)
Karten unter (030) 20 35 45 55 |
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