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Ihro Gro�e Makaberheit
Viel ist geschehen seit der Urauff�hrung 1978. Was Gy�rgy Ligetis erste
abendf�llende Oper "Le Grand Macabre" nach Ghelderode einmal so deutlich
in den Umkreis des Absurden Theaters stellte, scheint sie unterdessen
in die Realit�t verwiesen zu haben, in eine eigentliche Realit�t, von
der real(istisch)es Theater noch immer so wenig wissen will. Der Ausbruch
v�lkermordender Barbarei auf dem Balkan, das Kindersterben nach dem Golfkrieg,
das, so Mrs. Albright, ein gerechter Preis sei, den der Orient f�r seine
Zukunft zu entrichten habe, die Selbstmordattentate der Hamas, Ground
Zero und Invasion in Afghanistan, durch die Luft fliegende, abgerissene
Kinderextremit�ten im US-amerikanischen Angriffskrieg gegen den Irak -
all dies und mehr f�ttern die allegorische Kraft der Oper geradezu erschreckend
und machen aus ihr ein St�ck unbedingter Gegenwart.
Barrie Koskys Team, das einen so grauenvollen Barock - vormals h�tte man
"schaurig" gesagt - an der Komischen Oper Berlin inszeniert hat, ist der
Sachverhalt offenbar sehr bewusst gewesen: Hier wird nicht ein St�ck gespielt,
das aus lauter �bermut und bisweilen geschmacklos (ein alter Sinn des
Wortes "barock") mit dem Schrecken spielt, sondern die Geschmacklosigkeit
ist wie die Willk�r der Weltgeschichte substantiell. Das wurde am Abend
dieses 22. Junis auf das intensivste deutlich gemacht. Und obwohl die
Mehrzahl des Publikums in festlicher Premierenkleidung erschienen war,
was schon konfektionell den gr��ten Unterschied zu den Schlamm-, Blut-
und Schei�eschlachten machte, die sich auf der B�hne mit beinahe verzweifelter
Lust durchexerzierten, erklatschte man nach Opernende mehrere Vorh�nge.
Es war, als w�re der deutlich sp�rbaren Bedr�ckung am besten vermittels
eines Jubels zu begegnen, der, wie entsetzlich der Anlass auch immer,
B�hne, Orchester, S�ngern, dem Dirigenten und der Regie tats�chlich geb�hrt.
Barrie Kosky arbeitet mit teils stilisiert-einfachen, teils kulissenartig
utopischen Mitteln, teils mit einer h�hnischen Schw�nken angemessenen,
also groben Symbolik. Im Schlachthaus ist f�r Feinsinnigkeiten ja wirklich
wenig Raum. Ganz wie die f�r jederlei Einfl�sse durchl�ssige Musik greift
also auch die Regie bei jedem Fundst�ck zu, das schmutzig genug ist, sich
ins Patchwork schmieren zu lassen. Man muss ja gar nicht lang suchen,
die Dinge dr�ngen sich einem ja auf: Von Sadomaso �ber Nitschs Mysterienhappenings
bis Schwulenorgie, von Clive Barkers "Hellraiser"-Serie, die ziemlich
direkt den f�r Ligeti szenegebenden Breughel in den modernen Horrorfilm
transponierte, bis zu japanischen Bukkake-M�dchen im Schuldress und dem
bitteren Kitsch eines Liebespaares in (israelischer?) Uniform zitiert
die Inszenierung gleicherma�en grobgriffig wie treffend sozialpsychische
Befindlichkeiten, in welcher sich die Industriegesellschaft ebenso entkernt,
wie sie Kriege von der Klinge l�sst, die das Hegemonialstreben befriedigen.
Wenn der makabre Nekrotzar gleich zu Anfang ein paar Rippen aus dem Brustkorb
einer Leiche rei�t und sich daran labt, als w�ren es Spare Ribs, wenn
er im zweiten Akt mit blutverschmiertem Mund auf dem Klo sitzt, aus dem
noch etwas sp�ter fast unaufh�rlich eine Art gr�ner Durchfall quillt,
wenn man sich gegenseitig ins Geschlecht tritt, das man kurz vorher leckte,
wenn Vergewaltigung in Liebesstreicheln umschlagen und umgekehrt - dann
ist das keineswegs mehr der zotige Klamauk f�r Unterschichtler, als der
so etwas abgetan werden k�nnte, sondern das furchtbar genaue Bild einer
gegenw�rtigen Wirklichkeit, an der keiner von uns ganz unschuldig ist
und der wir alle eingebunden sind.
Wo solcher Schrecken sich allzu drohend auft�rmt, antwortet Kunst mit
h�hnischem Gel�chter, was die zarten T�ne in ihr sch�tzt. In der Komischen
Oper sind jedenfalls auch sie da, wenn auch oft in parodistischer Absicht
wie bei Mescalinas Klage im Zweiten Bild, dann wieder fast neoklassizistisch
schwebend, momentelang nur, schon klingt sogar Origin�res wie Zitat. Einmal
war in den Trompeten etwas Tippett zu h�ren, ein andermal, in der witzigen
Passacaglia, eine Collage wie von Zimmermann, dann, innig, die f�r Ligeti
so typischen stehendfiligranen Klangfl�chen, �ber die unvermittelt ein
Jacques Offenbach feixt. Szene und Musik durchst�rmen jede denkbare (Gro�-)Schattierung
von schenkelklatschender Satire bis zu trag�dischem Schrecken. Schon dreht
sich die Musik abermals und wird, ganz ernsthaft, Pathos.
Wie Matthias Foremny das aus dem Orchester herausholt, ist mehr als blo�
bemerkenswert: Wer vor der Auff�hrung die CD-Aufnahme von 1991 geh�rt
hat, wird nicht lang �berlegen, welcher Interpretation den Vorrang geben.
Allerdings hatte die Partitur - schreibt Ligeti selbst - seinerzeit noch
nicht die Konzentration dieser jetzigen, 1996 revidierten Fassung.
Der besonders auch stimmlich intensiven Rollengestaltung durch etwa Brian
Galliford (Piet), Martin Winkler (Nekrotzar), Michaela Lucas (Mescalina),
Aki Amou (Gepopo-Chef) sowie Valentina Farcas und Elisabeth Starzinger
als Liebespaar stellen sich eine Flut �berraschender, durchweg schlagender
Einf�lle von Regie und B�hne zur Seite, und nur ganz selten vergreift
man sich im Bild: etwa wenn Tote von den drei siegreichen Monotheismen
gefleddert werden, von Kardinal und Rabbi und Imam. Nicht dass daran nicht
Wahres w�re, aber der Einfall reduziert die allegorische Kraft der Oper,
neutralisiert sie aufs ohnedies banale Beispiel. Pl�tzlich schl�gt die
P�dagogik doch noch einen (musik-)theatralischen Purzelbaum, und zum ersten
Mal stehen auf den Brettern Karikaturen, die zwischen all den blutgeilen
Ungeheuern blo� aus �der Pappe sind. So etwas h�tte an diesem gro�en Abend
niemand vermisst. (anh) |
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