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EXISTENTIELLE BEDROHUNG
Anno 1961 war Luigi Nonos Intolleranza
als azione scenica in Venedigs Fenice eine musikalische Provokation und
eine politische Herausforderung. Die Odyssee des ausgebeuteten Gastarbeiters
durch die Gewalttaten des Kapitalismus mit hilfloser Solidarit�t der Opfer
wurde als kommunistische Agitation verstanden - und die "multimedialen"
Kommunikationsvorgaben als Zerst�rung der Opern-�sthetik.
Vierzig Jahre und viele Inszenierungen sp�ter - zuletzt in Darmstadt,
Bremen, Stuttgart - und in ver�nderten gesellschaftlich-politischen Bedingungen
sowie einer entwickelten Musiktheater-Kultur setzt sich Peter Konwitschny
mit dem grandiosen Werk auseinander - und es entsteht ein Menschheitsdrama
h�chster Intensit�t, ein verzweifelter Appell f�r Humanit�t und die F�higkeit
des begriffenen Mitleidens. Man muss es so pathetisch formulieren: ein
Fanal f�r das "Nie wieder!"
Das monumentale B�hnenbild von Hans-Joachim Schlieker verweist mit seinen
Stahltr�gern auf eine Ikone der m�chtigen �konomie und mit einem b�hnenf�llenden
Bett auf die allgegenw�rtige Privatsp�re - und ersetzt die urspr�nglichen
Filmeinspielungen durch drei b�hnenlange rote LED-Schriftb�nder mit dem
Text aus Versatzst�cken von Brecht, Majakowski.
Peter Rundel betont mit dem phantastischen Orchester der Deutschen Oper
- im Graben plaziert - nicht den seriellen Charakter der Musik, sondern
kontrastiert den engagierten Aufschrei mit der Utopie der lebenden Z�rtlichkeit.
Das f�hrt zu dem selten erfahrbaren Erlebnis einer durchaus "politischen" Musik!
Der Chor beherrscht die hochkomplexe Technik der versetzten Texte und
Tonfolgen in faszinierender Perfektion mit emotionaler Intensit�t. Und
das Ensemble lebt die spr�de Partitur, entwickelt die immanenten Emotionen
und demonstriert eine souver�ne Stimmkultur: Yvonne Wiedstruck ist die
"Frau" mit radikalem Bezug zur Idee, Melanie Walz die "Gef�hrtin" mit
vision�rem Glauben an die Menschlichkeit und Chris Merritt ist der Gastarbeiter,
zerrissen zwischen �konomischem Druck und Sehnsucht nach individuellem
Gl�ck - mit einer Intonation, die unter die Haut geht.
Die Auff�hrung beginnt mit erheblicher Versp�tung, da an der Kasse unerwarteter
Andrang herrscht. Das Management der Deutschen Oper reagiert hilflos und
muss wohl noch lernen, Besucherzuspruch zu organisieren! Im Publikum viele
"Newcomer", angelockt durch Mundpropaganda, eher an der politischen Botschaft
interessiert, teilweise ohne Respekt f�r die �sthetischen Qualit�ten der
epochemachenden Aktualisierung eines Jahrhundertwerks. (frs)
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