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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leos Janácek)
15. Februar 2004

Komische Oper Berlin

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Intensit�t & Enge

Jan�ceks "Jenufa" an der Komischen Oper Berlin Es war eine gute Entscheidung meines Instinkts, was mich vor dem Besuch der zweiten Auff�hrungsserie von Willy Deckers Jenufa-Inszenierung mehrmals die Mackarras-S�derstr�m Aufnahme von 1982 anh�ren lie�. So war ich - fehlendes tschechisches Sprach-Melos erwartend - mit gen�gend Vorurteil aufgeladen, um so nachdr�cklich auf den R�cken geworfen werden zu k�nnen, dass mir die Auff�hrung nicht nur inszenatorisch, sondern vor allem auch musikalisch ins Herz schnitt. Zwar bleibt (und muss auch bleiben!) die rhythmische Phrasierung der slawischen Sprache, aber nie so, dass sich mir der Eindruck einer semantischen oder gar harmonischen Verzerrung herstellte, wie das bei auf Deutsch gesungenen italienischsprachigen St�cken der Fall ist... ich bin da Purist, mir tut sowas weh... es ist unterdessen ja auch ganz unn�tig, die deutschen �bertitel sind eine wunderbare Invention...

Doch Petrenko wei� das urspr�ngliche Melos so leidenschaftlich zu erhalten, dass er nicht einmal folkloristisch wird. Er l�sst die Partitur durchsichtig, mit einem ganz bisweilen puccinischen Schmelz interpretieren... und auch, dass das Ensemble der ersten sieben Auff�hrungen ausgetauscht wurde, hat dem St�ck nicht geschadet. Wie denn auch?! In Julia Juon erf�hrt die K�sterin eine Leibhaftigkeit, eine Durchdringung von b�ser Strenge und tiefer Moralit�t, dass einem der Atem stockt. Es ist mehr als nur eine Idee Deckers und seines B�hnen- und Kost�mbildners Wolfgang Gussmann, sie an langer Kette ein Christenkreuz tragen zu lassen - Symbol f�r den rechten Glauben, der vor Kindsmord so wenig zur�ckschreckt wie irgend ein anderer Glaubens-Fundamentalismus vor der terroristischen Aktion.

Die Verstrickung von tiefer �berzeugung und Schuld, wie schnell eines ins andere hineinschlagen, es v�llig und gegen den Willen des Gl�ubigen pervertieren kann - gestern Abend, auf der B�hne der Komischen Oper, war das mit H�nden zu greifen: mit schockiertem, entsetztem Verst�ndnis vollgepackt. Entsagung macht b�se und das wogende Mitf�hlen so kalt, dass daran ein S�ugling erfriert.

Und dann Gun-Brit Barkmin! Ich habe diese erstaunliche S�ngerin nun in vier verschieden(st)en St�cken erlebt, und jedesmal steigerte sie sich als Person vollkommen in die Rolle hinein, wurde die Rolle... und verlor dennoch nie ihre tremolofreie, sehr warme und dennoch �beraus tragende Stimme. Auch nun also wieder Barkmins str�mender verst�rter Gesang, der mir das Kalk�l unbegreiflich macht, diese S�ngerin nicht bereits in der Premiere, sondern erst als B-Wahl einer zweiten Serie einzusetzen. Zugegeben, sie hat nicht Naomi Nadelmanns so blendende wie (selbst)herrliche Zickigkeit, aber doch alles Zeug, aufgrund nicht nur darstellerischer, sondern vor allem sanglicher Empathie, die zugleich hochvirtuos ist, zum n�chsten weiblichen Star des Hauses zu werden. Es lohnt sich allein schon ihretwegen, in die Komische Oper zu pilgern. Weder ihre grandiose Gouvernante in Brittens "The Turn of the Screw" noch nun diese "Jenufa" werde ich je wieder vergessen: Die Gestaltung junger, suchender oder jung�ltlich verklemmter Frauen, die (erotisch) erwachsen werden wollen und deren K�rper und Wille auch mitbringen, wessen das bed�rfte, die aber so gebeugt werden, dass sie sich endg�ltig verleugnen m�ssen, sind in dieser S�ngerin aufgehoben wie in keiner anderen, die mir bekannt ist.

Zur Seite stehen dem ph�nomenalen K�sterin-Stieftochter-Duo mit Peter Bronder ein in seiner Zwanghaftigkeit gleicherma�en leidenschaftlicher wie unsympathischer Tenor, der Jenufas Liebe zu dem angenehmen Hallodri Stewa st�ndig einleuchtend h�lt, sowie ein Solisten- und Chorensemble, das nur inszenatorisch, n�mlich bei den sozusagen Holzplattler-Nummern, ein wenig zu eckig und ausgestellt wirkt.

Die Deckersche Inszenierung besticht ohnedies in den kammerst�ckhaften, konzentrierten Passagen, die Jan�ceks "Jenufa" ja auch charakterisieren und die Gestaltung seelischer Ambivalenzen erlauben; gro�e Tableaus sind Deckers Sache offenbar nicht, vielleicht langweilen sie ihn. Sie sind ja fast immer nur Kolorit - sind eine "lightshow" sozusagen, die vom Drama nicht anders ablenken soll wie bei popul�rer Musik von mangelndem Gehalt.

Entsprechend klug gew�hlt sind die B�hnenbilder: voller Poesie der mit gefallenem, gelbbraunem Laub bedeckte Boden der Eingangsszene, beklemmend die billig tapezierten Innenr�ume, denen im zweiten Akt - vorsichtig symbolisierend - Eisbl�cke beigegeben sind und im dritten (vielleicht dann doch etwas dicke) das Steinmeer, das auf Jenufa niederprasseln w�rde, stellte sich nicht die erstaunliche K�sterin, ihre grauenvolle Schuld bekennend, davor. Durch leichtes Verschieben oder Heben der Kulissenw�nde wird der Spielraum, der hier immer ein seelischer ist, mal weiter, mal dichter, immer aber bleibt er - der moralischen Repression in d�rflichen Gemeinschaften schrecklich angemessen - eng. Und wenn am Ende Jenufa und Laca Hand in Hand in die Ferne wandern, um ein neues Leben zu beginnen, kommt einem das v�llig aussichtslos vor... nein, Jenufa ist nicht "gereift", sondern verh�rmt. Es w�re deshalb angemessen gewesen, sie und Laca in der Enge des Zimmers stehen zu lassen und nicht den Laubboden zu wiederholen.

Dieser Versuch eines Happy-ends tut nun in doppeltem Ma�e weh, und ich fragte mich, weshalb Jenufa zwar im zweiten Akt die tiefe Schnittnarbe zeigt, die Lacas Messer ihrer Wange beibrachte, im dritten aber nicht mehr... Ein verlogeneres (Nicht-)Bild f�r angebliches Gereiftsein h�tte tats�chlich kaum gefunden werden k�nnen. Freilich entspricht es komplett Jenufas sie verh�rmendem Versuch, sich �ber ihre Gef�hle zu bel�gen: sie habe Laca schon geliebt, als er ihr Gesicht entstellte. Einen schlimmeren Weg kann ein Frauenleben nicht einschlagen. Es ist - man m�chte weinen! - der der K�sterin. Die auf ihre H�nde schaut wie Lady Macbeth. Doch hat sie gar nicht Macht gewollt. Sondern Jenufas Gl�ck. (anh)




Fotos: © Monika Rittershaus