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Fakten zur Aufführung 

DAS LEBEN MIT EINEM IDIOTEN
(Alfred Schnittke)
20. Februar 2004 (Gastspiel)


Deutsche Oper Berlin

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Exkremente und Widerstand

Gro�e russischdeutsche Stimmung am Freitag in der Deutschen Oper Berlin: Man gibt des 1998 gestorbenen Alfred Schnittkes Oper "Das Leben mit einem Idioten", f�r die Victor Jerofejew nach einer eigenen Erz�hlung das Libretto schrieb. Authentizit�t wird geboten, da str�mt der gute Mensch herbei.

Dummerweise hei�t es bei Man Ray: "Die Banane ist gro�, doch ihre Schale ist gr��er." Weshalb in der �brigens sehr sch�nen, zweisprachigen Programmzeitung steht: "Koproduktion zwischen dem Staatlichen Theater f�r Oper und Ballett, Nowosibirsk, und der Hahn Produktion, Gesellschaft f�r Deutsch-Russischen Theatermanagement und Kulturaustausch GmbH, gef�rdert aus Mitteln der Beauftragten f�r Kultur und Medien der Bundesregierung im Rahmen des Jahres der Deutsch Russischen Kulturbegegnungen 2003/2004". Leider haftet der Staub solcher zumal grammatisch pikanten Formulierungen direkt an der Oper. Wer mag, kann sie burlesk, meinetwegen absurd nennen, doch �sthetisch reanimiert sie die sp�ten 50er Jahre, wenn nicht sogar Jarry.

Doch ist es ein Unterschied, ob Gy�rgy Ligeti den Ubu in Musik setzt oder ob ihn jemand neu schreibt. Zwar hat sozialpolitischer Relativismus in der Kunst sowieso nichts zu suchen. Nur ist aber der Eiserne Vorhang seit anderthalb Dekaden gefallen, und eine Entschuldigung f�r k�nstlerischen Provinzialismus gilt nicht mehr, schon gar nicht bei Einladung an ein f�hrendes zeitgen�ssisches Opernhaus. Allerdings ist das Problem nicht erst eines der Inszenierung, die sich durchaus geschickt durch die Handlung hangelt und nicht selten Ideen z�ndet, auf denen es sich das am Freitag abend derben Sp��e sehr aufgeschlossene Publikum durchaus wohlergehen lie�.

S�nger und Ensemble musizierten unter Eugen Wolynsky. Und es war sehr sp�rbar: Man hat eine Mission. Die beiden "Heldens�nger" Andrej Isakow und Juri Komow kosten ihre volkstheaterartigen Rollen dabei auch stimmlich voll aus. Nicht minder pr�sent Ioanna Wos, deren Intonation sogar an grob kalauernden Stellen sch�n blieb - etwa wenn nur ihr abgeschlagener Kopf sang: eine f�r Inszenierung und Oper ziemlich typische Zirkusnummer. Nur in den "Schreipartien" ging es scharf zu und soll das ja wohl auch. Schnittke/Jerofejews Oper wurde nicht f�r Zwischent�ne gemacht.

Das St�ck ist und bleibt eine Burleske. Sie zur "Parabel" auf den Kommunismus, gar "unsere condition humaine" hochzustilisieren, ist denn auch nicht ohne Peinlichkeit. Jerofejws Neigung zu anal-orientierten Kalauern passt zwar, freudsch gelesen, f�r autorit�re Systeme. Doch ist unterdessen eine Parabel �ber "Volksdiktatur" �sthetisch ungef�hr so notwendig wie eine den Psychostrukturen des bayerischen K�nigshauses nachempfundene Kompositions-Studie �ber Baden-W�rttemberg. Die abgeschlagenen K�pfe unserer aller B�sewichts-Fetischs auf Birkenholzstumpen zu stellen, macht die Sache dabei nicht moderner. Sowas exkulpiert allenfalls den Pranger. Und was Jerofejefs F�kalpossen anbelangt, sei an Pasolinis "Sal�" erinnert und den "Teufelskreis der Schei�e" darin, um die Differenz von schenkelklatschender Gef�lligkeit und k�nstlerischer Konsequenz ein- f�r allemal klarzustellen. Leider teilt die Musik solche Makel.

Alfred Schnittke ist einer der meistgespielten Komponisten der Gegenwart, woran sicher eine Neigung zum Effekt mitgewirkt hat, die aus Musikst�cken genre�bergreifende Events zu machen verstand. "Es ist viel Gerard Hoffnung in Alfred Schnittke" ist nicht nur ein Bonmot. Aber Schnittkes Synkretismus hat auch zu beachtlichen Ergebnissen gef�hrt, in den Cellokonzerten etwa, in den Concerti grossi, die sich ab dem vierten sogar mit den Sinfonien verschnitten, in der Faust-Kantate, aus welcher "Das Leben mit einem Idioten" verd�chtigerweise einen Schlager zitiert, den Tango n�mlich, der bei den Nowosibirskern denn auch zur applaudierten Tanznummer wird.

Doch irgendwie will die Oper keine eigene Kraft gewinnen - die in Schnittkes Orchestermusiken immer auch eine des sei's ironischen, sei's pathetischen Schocks ist. Der erreichte "Schock" illustriert hier immer nur Text, ohne ihm Transzendenz zu verleihen. Sozusagen wird, als w�ren es Torten, st�ndig mit Exkrementen geworfen. Das Zitat reicht allenfalls zur Travestie oder wird Karikatur. Die ist vielleicht sowieso das Problem dieser Oper. 1991, als der schwer kranke Schnittke daran schrieb, war seine "polystilistische" Energie schon h�rbar weich geworden. So ist die Musik trotz ihrer ironischen, polystilistischen Raffinesse letztlich so d�nn wie das Widerstandspotential der vorgef�hrten "Helden".

Dennoch - oder deshalb? - donnernder Applaus im Saal. Derbste V�lkerfreundschaft halt. (anh)