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Exkremente und Widerstand
Gro�e russischdeutsche Stimmung am Freitag in der Deutschen Oper Berlin:
Man gibt des 1998 gestorbenen Alfred Schnittkes Oper "Das Leben mit einem
Idioten", f�r die Victor Jerofejew nach einer eigenen Erz�hlung das Libretto
schrieb. Authentizit�t wird geboten, da str�mt der gute Mensch herbei.
Dummerweise hei�t es bei Man Ray: "Die Banane ist gro�, doch ihre Schale
ist gr��er." Weshalb in der �brigens sehr sch�nen, zweisprachigen Programmzeitung
steht: "Koproduktion zwischen dem Staatlichen Theater f�r Oper und Ballett,
Nowosibirsk, und der Hahn Produktion, Gesellschaft f�r Deutsch-Russischen
Theatermanagement und Kulturaustausch GmbH, gef�rdert aus Mitteln der
Beauftragten f�r Kultur und Medien der Bundesregierung im Rahmen des Jahres
der Deutsch Russischen Kulturbegegnungen 2003/2004". Leider haftet der
Staub solcher zumal grammatisch pikanten Formulierungen direkt an der
Oper. Wer mag, kann sie burlesk, meinetwegen absurd nennen, doch �sthetisch
reanimiert sie die sp�ten 50er Jahre, wenn nicht sogar Jarry.
Doch ist es ein Unterschied, ob Gy�rgy Ligeti den Ubu in Musik setzt oder
ob ihn jemand neu schreibt. Zwar hat sozialpolitischer Relativismus in
der Kunst sowieso nichts zu suchen. Nur ist aber der Eiserne Vorhang seit
anderthalb Dekaden gefallen, und eine Entschuldigung f�r k�nstlerischen
Provinzialismus gilt nicht mehr, schon gar nicht bei Einladung an ein
f�hrendes zeitgen�ssisches Opernhaus. Allerdings ist das Problem nicht
erst eines der Inszenierung, die sich durchaus geschickt durch die Handlung
hangelt und nicht selten Ideen z�ndet, auf denen es sich das am Freitag
abend derben Sp��e sehr aufgeschlossene Publikum durchaus wohlergehen
lie�.
S�nger und Ensemble musizierten unter Eugen Wolynsky. Und es war sehr
sp�rbar: Man hat eine Mission. Die beiden "Heldens�nger" Andrej Isakow
und Juri Komow kosten ihre volkstheaterartigen Rollen dabei auch stimmlich
voll aus. Nicht minder pr�sent Ioanna Wos, deren Intonation sogar an grob
kalauernden Stellen sch�n blieb - etwa wenn nur ihr abgeschlagener Kopf
sang: eine f�r Inszenierung und Oper ziemlich typische Zirkusnummer. Nur
in den "Schreipartien" ging es scharf zu und soll das ja wohl auch. Schnittke/Jerofejews
Oper wurde nicht f�r Zwischent�ne gemacht.
Das St�ck ist und bleibt eine Burleske. Sie zur "Parabel" auf den Kommunismus,
gar "unsere condition humaine" hochzustilisieren, ist denn auch nicht
ohne Peinlichkeit. Jerofejws Neigung zu anal-orientierten Kalauern passt
zwar, freudsch gelesen, f�r autorit�re Systeme. Doch ist unterdessen eine
Parabel �ber "Volksdiktatur" �sthetisch ungef�hr so notwendig wie eine
den Psychostrukturen des bayerischen K�nigshauses nachempfundene Kompositions-Studie
�ber Baden-W�rttemberg. Die abgeschlagenen K�pfe unserer aller B�sewichts-Fetischs
auf Birkenholzstumpen zu stellen, macht die Sache dabei nicht moderner.
Sowas exkulpiert allenfalls den Pranger. Und was Jerofejefs F�kalpossen
anbelangt, sei an Pasolinis "Sal�" erinnert und den "Teufelskreis der
Schei�e" darin, um die Differenz von schenkelklatschender Gef�lligkeit
und k�nstlerischer Konsequenz ein- f�r allemal klarzustellen. Leider teilt
die Musik solche Makel.
Alfred Schnittke ist einer der meistgespielten Komponisten der Gegenwart,
woran sicher eine Neigung zum Effekt mitgewirkt hat, die aus Musikst�cken
genre�bergreifende Events zu machen verstand. "Es ist viel Gerard Hoffnung
in Alfred Schnittke" ist nicht nur ein Bonmot. Aber Schnittkes Synkretismus
hat auch zu beachtlichen Ergebnissen gef�hrt, in den Cellokonzerten etwa,
in den Concerti grossi, die sich ab dem vierten sogar mit den Sinfonien
verschnitten, in der Faust-Kantate, aus welcher "Das Leben mit einem Idioten"
verd�chtigerweise einen Schlager zitiert, den Tango n�mlich, der bei den
Nowosibirskern denn auch zur applaudierten Tanznummer wird.
Doch irgendwie will die Oper keine eigene Kraft gewinnen - die in Schnittkes
Orchestermusiken immer auch eine des sei's ironischen, sei's pathetischen
Schocks ist. Der erreichte "Schock" illustriert hier immer nur Text, ohne
ihm Transzendenz zu verleihen. Sozusagen wird, als w�ren es Torten, st�ndig
mit Exkrementen geworfen. Das Zitat reicht allenfalls zur Travestie oder
wird Karikatur. Die ist vielleicht sowieso das Problem dieser Oper. 1991,
als der schwer kranke Schnittke daran schrieb, war seine "polystilistische"
Energie schon h�rbar weich geworden. So ist die Musik trotz ihrer ironischen,
polystilistischen Raffinesse letztlich so d�nn wie das Widerstandspotential
der vorgef�hrten "Helden".
Dennoch - oder deshalb? - donnernder Applaus im Saal. Derbste V�lkerfreundschaft
halt. (anh) |
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