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Fakten zur Aufführung 

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)
6. Dezember 2005
(Premiere: 25.9.05)

Komische Oper Berlin

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Dass dieses Ende funktioniert..!

Nein, ich habe nicht die Premiere gesehen. Und es wurde bereits mehrfach über diese vorgebliche Skandal-Inszenierung geschrieben. Wieso dann also noch einmal schreiben? - Weil sie das wert ist. Und mehr. Denn was Calixto Bieito und seinen Sängern, die in dieser Aufführung in jeder Minute auch Darsteller sind, was überdies Daniel Klajner und dem Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin hier gelungen ist, hat absoluten Referenzcharakter: Wäre das Wort nicht so inflationär ver- und missbraucht, die Inszenierung wäre genial zu nennen.

Da ist das den Kitsch & den falschen Exotismus ausstellende quasi-Geplüsche eines von Konsumgier rosa überwälzten Entertainments in Alfons Flores’ Bühnenbild, - da sind die zwischen Kolonialismus, Happy-Tourismus und Mädchenträumen-in-Weiß changierenden Kostüme Anna Eiermanns, - da sind die hochkonzentrierten, auch die feinsten falschjapanesken Streicherseufzer ausspielenden Musiker unter einem Dirigenten, der sehr wohl der für die Musik gefährlichen Massivität einer solchen Inszenierung etwas – mehr als etwas – zur Seite zu stellen hat, - und manchmal schlägt sie dann zu, Rücken an Rücken mit ihr, diese Komposition, dass einem das Hören vergeht - doch was man sieht, erschüttert noch immer: es ist rein kein Entkommen.

Und da ist ein Regisseur, der Puccinis Partitur so genau ausgehört hat, dass ihm, der vor Einfällen, Vitalismus und politischer Wut ohnedies nur so strotzt, gerade da eine Aussage mit der Musik gelingt, wo sie sich gegen das Libretto zu stellen scheint, obwohl - und dies ist ein nächstes Wunder – der Text nicht umgeschrieben wurde... von der ihn modifizierenden Tradition der Komischen Oper einmal abgesehen, die jedes Stück auf Deutsch singen lässt. Mich, der ich diesbezüglich furchtbar empfindlich bin, gerade was eine sanglich und rhythmisch fast durchweg scheiternde Transposition des Italienischen ins Deutsche anbelangt – mich hat nicht einmal das mehr gestört.

Noch bei Bieitos Entführung aus dem Serail waren, bei aller Klasse auch dort, einige Mätzchen auf die Bühne gebracht, die illustrativen, sogar dekorierenden oder gar klamottigen Charakter hatten – hier nun, in der gesamten Fülle, findet sich fast ausschließlich eine den Atem benehmende Konzentration auf Schicksale, deren Ignoranz und Geworfenheit, finanzielle Großkotzerei und eine aus der Armut quellende, zwar verständliche, aber ebenso eklige Gier, moralische Hochfahrt und sentimentale, aber doch menschlich immerhin wahren Wünsche nach einer Geborgenheit, auf die man aber immer selbst wieder drauftritt, derart unabweisbar ineinander verrührt sind, dass wirklich nur noch ein Opfer übrigbleibt, eine Unschuld – und die kommt um. Wäre sie am Leben geblieben, kein Zweifel, auch das ist Bieitos düstere Botschaft, es hätte sie genau so verderbt wie die übrigen Beteiligten dieses an der Komischen Oper Berlin in seine alten Rechte zurückgesetzten gleichsam spanischen TRAUERSPIELs.

Die eine Unschuld kommt um, sehr wohl, nicht aber die Butterfly. Mehr sag ich hier jetzt nicht. Denn dass das funktioniert, ist schon das dritte Wunder der Inszenierung und das größte der drei vielleicht. Sie gehen, garantiere ich Ihnen, geschüttelt von so viel ästhetischer Wahrheit aus der Oper hinaus, sofern... ja, sofern Sie bereit sind, sich einzulassen und nicht von allem Anfang an die ideologischen Oberschenkel zusammenkneifen. Denn diese ästhetische Wahrheit ist nicht behauptet, nicht dahingeplappert und nicht im Zeitgeist geulkt. Sondern erarbeitet und aus der Dynamik des Stückes selbst gelebt. Darum ist diese Inszenierung mit vollem Recht politisch zu nennen.

Wer jemals wieder eine Butterfly sieht, wird sich an diese erinnern. Vielleicht wird einem die Erkenntnis dann erst zuteil. Denn wie strieselig in dem sowieso kaum zu einem Drittel gefüllten Haus einiges Publikum dasaß und den Sängern noch den Applaus verweigerte, das war zum Ausspucken traurig. Alle Sänger glänzten, getragen vom Orchester, von der Leidenschaft, von den Ideen. Ah wie drohend in dieser Inszenierung das Butterfly-Motiv klingt! Man kann nur erschaudern... Und wie verräterisch sich der Melodie-Kitsch unter das Geschehen drückt... wie geradezu perfide es ist, wenn dazu der Konsul einer allenfalls Zehnjährigen ein Blindekuhtuch um die Augen bindet und das Mädchen dezent mit sich hinwegführt... - Wieso hängen die Leute, statt an so etwas sich intensiv zu regen, so am chrysanthemen Schmock? Bieito und alle Beteiligten haben doch gerade gezeigt, wie gerade er die Menschen erniedrigt...

In dieser elften Vorstellung war, so wurde angekündigt, Juliette Lee, die die Butterfly singt, heiser. Man hörte, wie sie den Frosch wegpresste, ganz zu Anfang. Dann sang sie mit engagiertestem Ausdruckswillen über ihre Heiserkeit alle Heiserkeit der Welt hinweg. Danke.


Fotos: © Monika Rittershaus