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Tom Waits' romantische Heimsuchung
Das Eindr�cklichste ist der Raum. Wir betreten ihn �ber einen Seitensteig:
Wie auf einer geraden Gangway erreichen wir die Halle des Staatsopernmagazines
und treten in den Leib eines Schiffs - dunkels�kulare Kathedrale mit hohen,
metallbez�unten Seiteng�ngen, die an das Innere einer anselm-kieferschen
Architektur gemahnt und etwas technoid Gotisches hat: eine erstarrte,
dunkle Gr��e in jedem Blick.
Wir m�ssen die trib�nen�hnlichen Treppenr�nge hinauf, auf denen auch Platz
genommen wird. Zu unseren F��en ein abgestecktes Spielareal, vielleicht
zehn mal zehn Meter, davor ein roher Absturz, dessen rechter Teil zu einem
�ber die Tiefe erh�hten Musikergraben gestaltet ist. Dort sitzt das Streichquartett,
dort stehen die Pulte f�r Klarinette und Bassetthorn. �ber die Spielfl�che
nach dr�ben hinweg sehen wir erneut einen Absturz... und weit hinten �ber
der unsichtbar drohenden Tiefe, fast die gesamte Querseite des Magazins
nimmt er ein, ein auf Schienen rollbarer Container. Er wird nachher als
Projektionsfl�che f�r C. E. Morgensterns "Vollmond �ber Helgoland" dienen
und schlie�lich ebenfalls Spielst�tte sein.
Die Seiteng�nge entlang, noch �ber unseren K�pfen, kleine Mischpulte,
Techniker, schwarze Stewards mit Headsets, eilend, letzte Einrichtungen
kontrollierend und Anweisungen gebend oder entgegennehmend. Eine Anweiserin,
ernst und etwas gestresst, leitet auf der Treppe die Passagiere an und
besorgt auch dem letzten, der die Fahrt fast verpasste, einen Platz. Man
ist nerv�s, die Premiere dieser musikalischen Singspiel-Fantasie ward
von Freitag auf heute, Montag, verschoben. Und immer noch kleckern Leute
nach, das metallene Holzschiff f�llt und f�llt sich.
Auf der Spielfl�che, gro�gemustert tapeziert wie die proletarischen W�nde
des Kleinb�rgertums, stehen ein Bett, in dem sich ein Mann (Tobias Beyer)
von Zeit zu Zeit w�lzt, daneben am Boden eine Bierflasche, rechts hinten
ein K�hlschrank, aus dem sp�ter schon mal der Doppelg�nger (Stefan Kastner)
kriechen wird, mittig rechts ein billiges Kofferradio. Und der Alptraum
hebt an: nicht ohne das Moment einer lockenden, etwas kindlichen Homo-Erotik,
von einer tats�chlich sch�nen, tats�chlich knabenhaften Undine (Andrea
Chudak) ins Spiel gebracht, aber auch von dem deutlich ordin�ren, langkottelettigen
Doppelg�nger und nicht zuletzt von dem fetten, durchaus grausam transvestitischen
Nachtpropheten (Peter Kern), der dann auch ziemlich gut auf die Meerhexe
passt.
Wir erleben ein postmodernes St�ck �ber die Romantik. Es ist eine Collage
aus (von Bo Wiget bearbeiteter) Musik mit ausgedehnten Sprach-Zitaten
darin, der Klang weht meist wie Wolken hinein und hinauf. Und herunter:
Denn einmal spielen die beiden Bl�ser von rechts hoch auf dem Seitengang.
Auf einem solchen, doch gegen�ber, tritt, im hohen Himmel eines kindlichen
Unbewussten, auch die Diva (Uta Priew) auf: eine symbolische, bizarr �berzeichnete
Mutter, k�nnte man sagen: Konsequenterweise wirft sie mit Stofftieren
und zerrei�t sie bisweilen. Immer wieder stockt das Spiel, der schlaflose
Tr�umer holt sich monologisierend Bier um Bier. Alkohol und Innenbild
lassen ihn zunehmend regredieren.
Von Ferne, doch dicht und eindrucksvoll, schallt der Chor. Schlie�lich
eine sich zu L�rm steigernde Coda, in der der die weite Strecke hergerollte,
gleichsam grollend fliegende Container alles von der Spielfl�che wischt;
selbst das Bett knallt metertief hinab, die Lotssbl�tler brechen zusammen.
Be�ngstigend liegen die Leichen in der Geb�rmutter einer furchtbar organischen
Architektur. Ratlos, ratlos der Tr�umer.
Eine eindrucksvolle Fantasie also, von der leider nicht angegeben wird,
wer Musiken und Texte zusammenstellte. Vielleicht ist das St�ck, wie Godard
seine gro�en Filme drehte, direkt aus den Proben heraus erst entstanden,
jedenfalls haben Corinna von Rad, Ralf K�selau, Sabine Blickenstorfer
und Andr�s Siebold ein Experiment Text-und Klangraum werden lassen, der
deutlich im Sensorium nachschwingt, zumal die musikalische Bearbeitung
die Originale nach Art der minimal music dehnt, bzw. repetiert, weshalb
sie manchmal nach Arvo P�rt klingt, aber eben in dessen redundantem Sch�nklang
nicht verweilt: So ist der Kitsch aufs kl�gste vermieden.
Problematisch allerdings ist das "proletarische Interieur"; es will zum
Sujet einfach nicht passen. Wenn der Mann in seinem verschwitzten, fleckigen
Hemd nach einem hysterischen Tom Waits wirkt und der Doppelg�nger wie
eine Figur von Jim Jarmusch, dann verliert auch die begr�ndetste Alptraumf�hrung
an Plausibilit�t. Unsere zumal deutschen Kumpels tr�umen ja mitnichten
je Romantik. F�r deren Alptraum w�re musikalisch in Zonen der Pop-Musik,
des Schlagers usw. hineinzugreifen. Sowas freilich verhindert das Urheberrecht
- oder macht es unangemessen teuer.
M�glicherweise hat die Regisseurin ihren konzeptionellen Missgriff gesp�rt
und �bers Am�sement des Publikums durch schwankhafte Ulkereien verkleistern
wollen. Selbstverst�ndlich geh�rt die "Outrage" zur Romantik und also
zur Konzept dieses St�cks. Wo sie tats�chlich grotesk ist, hat sie ihr
Thema denn auch fest in der Hand. Verf�hrt sie indes zum inneren Schenkelklatschen,
macht sie sich also handgemein mit dem Trash, ist ein feinerer H�rer,
der mitdenkt, verstimmt. (anh)
Karten unter (030) 20 35 45 55 |
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