Rezensionen     Kommentare     News     Backstage     Befragung     Links     Kontakt     Impressum    Wir über uns
     

Fakten zur Aufführung 

NIEMALS EINSCHLAFEN!
(sehr frei nach Schumann)
20. September 2004 (Premiere)


Staatsoper Unter den Linden/Magazin (Berlin)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Tom Waits' romantische Heimsuchung

Das Eindr�cklichste ist der Raum. Wir betreten ihn �ber einen Seitensteig: Wie auf einer geraden Gangway erreichen wir die Halle des Staatsopernmagazines und treten in den Leib eines Schiffs - dunkels�kulare Kathedrale mit hohen, metallbez�unten Seiteng�ngen, die an das Innere einer anselm-kieferschen Architektur gemahnt und etwas technoid Gotisches hat: eine erstarrte, dunkle Gr��e in jedem Blick.

Wir m�ssen die trib�nen�hnlichen Treppenr�nge hinauf, auf denen auch Platz genommen wird. Zu unseren F��en ein abgestecktes Spielareal, vielleicht zehn mal zehn Meter, davor ein roher Absturz, dessen rechter Teil zu einem �ber die Tiefe erh�hten Musikergraben gestaltet ist. Dort sitzt das Streichquartett, dort stehen die Pulte f�r Klarinette und Bassetthorn. �ber die Spielfl�che nach dr�ben hinweg sehen wir erneut einen Absturz... und weit hinten �ber der unsichtbar drohenden Tiefe, fast die gesamte Querseite des Magazins nimmt er ein, ein auf Schienen rollbarer Container. Er wird nachher als Projektionsfl�che f�r C. E. Morgensterns "Vollmond �ber Helgoland" dienen und schlie�lich ebenfalls Spielst�tte sein.

Die Seiteng�nge entlang, noch �ber unseren K�pfen, kleine Mischpulte, Techniker, schwarze Stewards mit Headsets, eilend, letzte Einrichtungen kontrollierend und Anweisungen gebend oder entgegennehmend. Eine Anweiserin, ernst und etwas gestresst, leitet auf der Treppe die Passagiere an und besorgt auch dem letzten, der die Fahrt fast verpasste, einen Platz. Man ist nerv�s, die Premiere dieser musikalischen Singspiel-Fantasie ward von Freitag auf heute, Montag, verschoben. Und immer noch kleckern Leute nach, das metallene Holzschiff f�llt und f�llt sich.

Auf der Spielfl�che, gro�gemustert tapeziert wie die proletarischen W�nde des Kleinb�rgertums, stehen ein Bett, in dem sich ein Mann (Tobias Beyer) von Zeit zu Zeit w�lzt, daneben am Boden eine Bierflasche, rechts hinten ein K�hlschrank, aus dem sp�ter schon mal der Doppelg�nger (Stefan Kastner) kriechen wird, mittig rechts ein billiges Kofferradio. Und der Alptraum hebt an: nicht ohne das Moment einer lockenden, etwas kindlichen Homo-Erotik, von einer tats�chlich sch�nen, tats�chlich knabenhaften Undine (Andrea Chudak) ins Spiel gebracht, aber auch von dem deutlich ordin�ren, langkottelettigen Doppelg�nger und nicht zuletzt von dem fetten, durchaus grausam transvestitischen Nachtpropheten (Peter Kern), der dann auch ziemlich gut auf die Meerhexe passt.

Wir erleben ein postmodernes St�ck �ber die Romantik. Es ist eine Collage aus (von Bo Wiget bearbeiteter) Musik mit ausgedehnten Sprach-Zitaten darin, der Klang weht meist wie Wolken hinein und hinauf. Und herunter: Denn einmal spielen die beiden Bl�ser von rechts hoch auf dem Seitengang. Auf einem solchen, doch gegen�ber, tritt, im hohen Himmel eines kindlichen Unbewussten, auch die Diva (Uta Priew) auf: eine symbolische, bizarr �berzeichnete Mutter, k�nnte man sagen: Konsequenterweise wirft sie mit Stofftieren und zerrei�t sie bisweilen. Immer wieder stockt das Spiel, der schlaflose Tr�umer holt sich monologisierend Bier um Bier. Alkohol und Innenbild lassen ihn zunehmend regredieren.

Von Ferne, doch dicht und eindrucksvoll, schallt der Chor. Schlie�lich eine sich zu L�rm steigernde Coda, in der der die weite Strecke hergerollte, gleichsam grollend fliegende Container alles von der Spielfl�che wischt; selbst das Bett knallt metertief hinab, die Lotssbl�tler brechen zusammen. Be�ngstigend liegen die Leichen in der Geb�rmutter einer furchtbar organischen Architektur. Ratlos, ratlos der Tr�umer.

Eine eindrucksvolle Fantasie also, von der leider nicht angegeben wird, wer Musiken und Texte zusammenstellte. Vielleicht ist das St�ck, wie Godard seine gro�en Filme drehte, direkt aus den Proben heraus erst entstanden, jedenfalls haben Corinna von Rad, Ralf K�selau, Sabine Blickenstorfer und Andr�s Siebold ein Experiment Text-und Klangraum werden lassen, der deutlich im Sensorium nachschwingt, zumal die musikalische Bearbeitung die Originale nach Art der minimal music dehnt, bzw. repetiert, weshalb sie manchmal nach Arvo P�rt klingt, aber eben in dessen redundantem Sch�nklang nicht verweilt: So ist der Kitsch aufs kl�gste vermieden.

Problematisch allerdings ist das "proletarische Interieur"; es will zum Sujet einfach nicht passen. Wenn der Mann in seinem verschwitzten, fleckigen Hemd nach einem hysterischen Tom Waits wirkt und der Doppelg�nger wie eine Figur von Jim Jarmusch, dann verliert auch die begr�ndetste Alptraumf�hrung an Plausibilit�t. Unsere zumal deutschen Kumpels tr�umen ja mitnichten je Romantik. F�r deren Alptraum w�re musikalisch in Zonen der Pop-Musik, des Schlagers usw. hineinzugreifen. Sowas freilich verhindert das Urheberrecht - oder macht es unangemessen teuer.

M�glicherweise hat die Regisseurin ihren konzeptionellen Missgriff gesp�rt und �bers Am�sement des Publikums durch schwankhafte Ulkereien verkleistern wollen. Selbstverst�ndlich geh�rt die "Outrage" zur Romantik und also zur Konzept dieses St�cks. Wo sie tats�chlich grotesk ist, hat sie ihr Thema denn auch fest in der Hand. Verf�hrt sie indes zum inneren Schenkelklatschen, macht sie sich also handgemein mit dem Trash, ist ein feinerer H�rer, der mitdenkt, verstimmt. (anh)


Karten unter (030) 20 35 45 55


Foto: © Florian Braun