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Fakten zur Aufführung 

ORTSTERMIN II
(Michael Beil)
23. Juni 2003

Staatsoper Unter den Linden (Berlin)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Regie

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Die ersten Avatare - Musik mit dem eigenen Schatten

Berlin Nein, eine Oper war das nicht und sollte es auch nicht sein, aber was den gestrigen, knapp einst�ndigen Abend bei aller Skepsis gegen�ber der Kraft minimalistischer Musikstrukturen aufregend machte, waren die szenischen M�glichkeiten, die sich durch Spiele mit der eigenen Projektion auch f�r die konventionelle Oper ergeben k�nnten - und zwar eben nicht nur f�r die kleine, als Experimentierfeld ausgewiesene Studiob�hne.

Freilich wurden auch die Gefahren deutlich: "Effekt" und "Illustration". Das Publikum nimmt auf der Drehb�hne, dem hinteren Teil, der Staatsoper Platz und blickt durch den opaken Vorhang in den sehr leicht beleuchteten Saal; schon dies wie ein Zitat von irgend einer fotografischen Abonnentenwerbung, nur eben, wie das neudeutsch hei�t, "in echt".

Das Licht im Saal erlischt, der Vorhang wird Projektionsfl�che, links steht ein realer Fl�gel, rechts wird ein Fl�gel als Videoprojektion auf den Vorhang geworfen, ein realer Pianist tritt hinzu und im Film sein Duopartner, beide verbeugen sich vorm Publikum, nehmen an ihren Instrumenten Platz und spielen "nach sieben", ein St�ck f�r sozusagen vier H�nde, von denen zwei eben filmisch-imagin�r sind: Ihr Part mischt sich von einem Zuspielband in �ber auf dem enormen B�hnenraum verteilten Lautsprechern mit dem live-Spiel des "wirklichen" Pianisten.

Das St�ck stammt von Michael Beil, der zusammen mit dem Ensemble Mosaik den Abend insgesamt konizipierte. Interessant an "nach sieben" ist vor allem der theatralische Effekt, dass man als Zuschauer schon nach kurzer Zeit beide Pianisten f�r gleichberechtigt nimmt: Sie leben in derselben k�nstlerischen Sph�re. Die Konsequenzen f�r Operninszenierungen hieraus sind wundervoll; vermittels Projektionen und Zuspielb�nder lie�en sich ganze fantastische Szenarien etwa der musikalischen Barock-Literatur im Wortsinn imagin�r realisieren. F�r die Klassische Moderne hat die Staatsoper den Weg ja ohnedies l�ngst beschritten, etwa in der ausgesprochen von filmischen Mitteln gepr�gten Lulu-Inszenierung durch Mussbach und Gielen, die derzeit auch wieder zu sehen und zu h�ren ist.

Eine n�chste Variation des Spiels mit sich selbst stellte, ebenfalls von Michael Beil, "und acht" vor, musikalisch das am ehesten �berzeugende St�ck, weil es jenseits von Masche und Illustration blieb, bzw. letztere als gestalterisches Moment einer Reflexion des musikalischen Geschehens selbst in Szene setzte: Viermal der Akkordeonspieler im Filmquadrat und der Musiker selbst (real) im Spotlicht als kleines, tiefes Rund aus der B�hne herausgeschnitten. Hier gewann im Lauf der Vorf�hrung der Film immer mehr reale Kontur, indes der Musiker-Mensch fast entr�ckte, ferne, eigentlich e r Projektion, wenn nicht bereits Avatar.

Nun hatte mein Begleiter gestern sicher Recht, wenn er monierte, jeder Clip von MTV sei einfallsreicher als jedes dieser musikillustrativen Videos, vor allem das des letzten St�cks, eines f�r Schlagzeug solo. Aber das ist blo� eine Frage der (Geld-)Mittel. Und man muss auch Michael Beils bisweilen ein wenig zu simplen, will sagen: zu repetitiven St�cke nicht m�gen, um doch zu begreifen, welche szenischen M�glichkeiten durch solche Auff�hrungen aufgeschlossen werden, bzw. wie an besonders in den sp�ten Siebzigern ausprobierten seinerzeit neuen Theater�sthetiken angekn�pft werden kann, etwa an die Arbeiten des damaligen Frankfurtmainer Theater am Turms zu denken, als Peter Hahn und Stefan Sch�dler zeitgen�ssisches Musiktheater in den Mittelpunkt ihres Interesses r�ckten.

Einen Moment lang hatte ich sogar das schlagende Gef�hl, mit der Konzeption der Guckkastenb�hne sei es nun ein- f�r allemal vorbei. Es ist einfach ein ziemlich berauschendes Gift f�r die herk�mmliche Seh- und Empfindungsgewohnheit, mitten im fantastisch-utopischen Raum einer solchen Opernb�hne zu sitzen. Und dass die Staatsoper das Experiment mit der im Magazin aufgef�hrten "Blume von Hawaii" - mehr als den Affen Zucker gegeben - zeitlich parallelisiert, l�sst einen sowieso hoffen... und zwar auch dann, wenn es fast nur jugendliches Publikum war, das gestern abend auf der B�hne sa�, studentisches Publikum vor allem... aber wem sonst als geh�rt eine �sthetische Zukunft? (anh)



Foto: © Michael Beil