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Fakten zur Aufführung 

DIE PURITANER
(Vincenzo Bellini)
19. November 2003 (Premiere)

Deutsche Oper Berlin

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Elegisch? Auch. Vor allem aber Kraft!

John Dew hat in Berlin Bellini inszeniert, in gewohnt professioneller, kaum je die �bersicht �ber seine S�nger verlierender Perfektion, doch ohne die von ihm zu erwartenden Einf�lle, die seine 1996 wiederaufgenommene Gounod-Arbeit von 1988 so aufregend gemacht hatten.

Diesmal ist nichts sonderlich mitrei�end... im Hintergrund eines sozusagen "schweren Saales" Riesen-Torsi, deren abgeschlagene, nach Bronzen anmutende K�pfe links bis zur Rampe liegen: Man hat den Eindruck, es werde eine Wieland-Wagner-Inszenierung oder ein massives K�nigsdrama gegeben. Plakativ, mit viel Aufwand, - eine grande Op�ra halt, die das metallproduzierende B�rgertum schreibt. Einverstanden. Kann man machen. Muss man aber nicht. Etwas - seltsam traumartige - Leichtigkeit gewinnt die B�hne erst im Dritten Akt durch sehr viele herabgelassene Lampen, die bei Ber�hrung in Knieh�he �ber Laub schwingen.

Diese Inzenierung lie�e sich also getrost unter spielbarem Repertoire abbuchen, w�re da nicht... ja, w�re da nicht diese Musik. Und zwar eben nicht (nur) Bellinis ganz zu Recht als wundersch�n ger�hmte Melodik, deren Tonsatz aber doch letztlich ein wenig schw�chelt. Sondern das Orchester scheint unter Fr�d�ric Chaslins Leitung angetreten zu sein, ein f�r allemal mit Vorurteilen, ja selbst mit Urteilen aufzur�umen: Derart intensiv, auftrumpfend, bisweilen wie vor Verzweiflung schreiend legt es sich ins Zeug. Da bleibt einem die Spucke weg, so dr�ut das aus dem Orchestergraben hoch, so gewittrig sind die Zornausbr�che, so schneidend wird Bellinis Schmelz, der bisweilen etwas von den schiefen Quetschkommodenkl�ngen hat, die niemand mehr aus dem Ohr verliert, der auch nur ein einziges Mal eine n�chtliche sizilianische Prozession mitgegangen ist.

Dew/Chaslins "I puritani" sind einer der seltenen F�lle, in denen nicht eine Inszenierung - mehr oder minder "kl�gelnd" - �ber Schw�chen von St�ck-Dramaturgie und Libretto hinwegzuhelfen versucht, indem die Konzentration des H�rers von der Musik weg auf die Szene gelenkt wird, sondern rundweg umgekehrt. Vielleicht hat Dew auch gerade deswegen szenische Einf�lle zur�ckgehalten. Sicher, die liebeswahnsinnige Elvira m�sste nicht unbedingt mit zerzaustem Haar auftreten, das hat die Stimme Maureen O'Flynns �berhaupt nicht n�tig; die S�ngerin wird ja �berhaupt erst pr�sent, wo sie nicht mehr Koloraturen singen muss, sondern Stahl in ihrer Belcanto-Stimme leuchten lassen kann, also ab dem Zweiten Akt. Aber dann wie: Die "Hysterie" bringt Stimme und im Wortsinn Leidenschaft zu sich, die ganze m�dchenhafte Afferei ist vor�ber. Das hat absolut nichts Komisches, nicht, wenn man bereit ist, sich auf Verst�rung einzulassen. Und wie diese Verst�rung liebt!

Wen k�mmert's da noch, dass Dews S�nger unbeeindruckt von irgendeinem Regietheater oft von der Rampe direkt ins Publikum singen? Solln sie doch, sie haben's schwer genug, auf den Wellenk�mmen des Orchesters zu surfen. Und leicht darf man's ihnen eben nicht machen, nicht, wenn ein Bellini auf dem Spiel steht. Und dennoch - oder deswegen �berhaupt erst? - bleibt des Sizilianers Elegie v�llig erhalten. Nur manchmal zuckte ich zusammen, wenn Jos� Semperes Tenor die H�hen zwar schaffte, aber nicht, ohne zu dr�cken, nicht ohne irgendwie flach zu werden. Doch wenig sp�ter: pr�chtigster Belcanto! Vor allem Arutjun Kotchinians Giorgio ist ein, ich will das nicht anders sagen, strahlender Bass, gegen dessen raumvollen Samt vor allem Roberto Serviles Riccardo ganz schmal wird.

Aber das sind Menschlichkeiten, die vor allem dann dazuge"h�ren" und also �ber"h�rt" werden sollten (und k�nnen), wenn ein Ensemble mit solch energischer, ja energetischer Pr�senz ein St�ck befeuert, das ganz gern mit "Biedermeier" weggestempelt wird. Und nat�rlich ist auf der B�hne ein sich ansingendes Schwertduell, beschaut man's realistisch, ridik�l, ob unfreiwillig oder nicht. Gemeinhin fl�chten sich Regisseure bei so was in die Klamotte und denunzieren Emotionen. Dew nicht, er l�sst die Szene so emotional-nackt, wie sie ist, und vertraut auf die �bereinkunft mit der Imaginationskraft.

Wer da lacht wie die junge Kritikerin neben mir, dem seien Kierkegaards �berlegungen zur Schauspielkunst anempfohlen. Es kommt auch auf so was nicht an, wenn die Kontrahenten singen wie Jos� Sempere und Roberto Servile da... wo sie mal keine Furcht vor dem gl�henden Bass haben m�ssen oder vor einem Wahnsinns-Sopran. Polyhymniaseidank, dass Dew sie nicht, w�hrend sie sangen, hat aufeinander losdreschen lassen oder gar Multimedia-Unsinn auf die B�hne brachte � la Dark Vaider will Luke Skywalker killen, zum Beispiel per R�ckprojektion. Es geht um Leidenschaften, geht um Tragik, nicht um M�tzchen, geht um die letzten Dinge. Die Dew ernst nimmt, weil sie die allerersten menschlichen sind. Auch bei Bellini. (anh)






Fotos: © Bernd Uhlig