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Fakten zur Aufführung 

SEMIRAMIDE
(Gioacchino Rossini)
3. September 2003

Deutsche Oper Berlin

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Wie Machthaber entstehen...

Es war schon eine kleine Berliner musikarch�ologische Sensation (oder sollte es sein), als Alberto Zedda in der vergangenen Spielzeit Rossinis letzte neapolitanische Opera seria "Semiramide" in der kompletten, bzw. komplettierten �ber vierst�ndigen Fassung auf die B�hne brachte. Auch in der jetzigen Wiederaufnahme wird sie, von den rossinischen Streicherl�ufen vorangetrieben, ausgesprochen frisch und temperamentvoll gespielt, aber vor allem durch S�nger dargeboten, die ganz offenbar des Maestros Liebe f�r die "mezza voce" teilen, die er selbst - ein pfiffiger, lebhafter, ziemlich kleiner alter Herr - "aristokratisch" nennt.

Von dieser mezza voce machen sie denn einen h�chst lustvollen Gebrauch: Virtuosit�t nicht als aufgesetzte Zirkusnummer, sondern um den fraglos manierierten Ausdruck weitest m�glich voranzutreiben. Das entspricht den inneren Konflikten, die sich in dieser Oper austragen, durchaus, vor allem, weil ihretwegen eigentlich niemals so etwas wie jene, ich will sagen, hysterische Peinlichkeit aufkommen kann, die dem Operngenre seit Beginn der Romantik nicht ganz zu Unrecht anh�ngt und �ber gerade Opernneulinge immer wieder ein eigentlich unwillentliches und den Trag�dien ja auch h�chst unangemessenes Kichern herein-, d.h. aus ihnen herausbrechen l�sst.

In Semiramide hingegen ist selbst der B�sewicht vornehm (und wer w�re - au�er dem "reinen Tor" Arsace - keiner?). Dass sich Rossinis Oper zudem als politische Allegorie ganz gut eignet (feudales Machtspiel zwischen Schicksal und orientalischer Intrige), macht Kirsten Harms' Inszenierung mit leichter Hand deutlich. Dennoch ist das B�hnenbild tempelhaft wuchtig, wohl den babylonischen Ausgrabungen stilisiert nachempfunden. Farben bringen nur das helle hineingeschobene Bett und ein armvoll Rosen, sowie die ber�ckende Erscheinung Raquela Sheerans (ui, dieses Raubkatzenkleid!!), die ihrer Azema au�erdem eine innige Stimme verleiht. Au�erdem muss man einfach gesehen haben, wie selbstverliebt sie mit ihren sch�nen F��en spielt! Mal ganz im Ernst: K�me sie an die Macht, was bliebe ihr �brig, als nun ihrerseits den schw�chelnden Arsace zu t�ten?

Mit Simone Alaimo singt ein h�chst pr�senter Dunkelmann, der von Szene zu Szene mehr Macht, also intrigante Form, verliert und das auch dazustellen vermag. Ewa Podles als Arsace spielt dessen naive Ahnungslosigkeit mit allerh�chster, sich ihrer auch durchaus bewusster Virtuosit�t; dass sich dies nicht als Widerspruch bemerkbar macht, ist seinerseits wohl eine Auswirkung der von Zedda so favorisierten Gesangs- (und S�nger-)haltung. Und Iano Tamar - als Semiramide die wahrscheinlich ambivalenteste Figur dieses liebeshungrigen Machtspiels - erinnert bisweilen an eine Norma des Zweistromlandes.

Man merkt in der Berliner Interpretation der F�hrung gerade dieser Figur ausgesprochen deutlich an, wie meerhaft das Schicksal �ber seine vorgeblichen Repr�sentanten hinwegschl�gt. Wenn Arsace zum Schluss als neuer K�nig dasteht, mehr gedr�ngt als gewollt, dann wirkt er wie ein lauer, furchtsamer Schatten seiner stolzen Mutter, deren Blut doch an seinen H�nden haftet. So klein also, kann man(n) sagen, repr�sentiert sich das Patriarchat. Und so gro� sind M�tter noch, wenn sie gehen. Ein ideologisch seltsamer, auch immer wieder Zwischen-Jubel der vor allem in den vorderen Publikumsreihen �lteren Herrschaften.

Direkt vor mir wippte allezeit ein Damenkopf im Rossinitakt. Und als das Bett auf die B�hne geschoben wurde, wisperte hinter mir eine weibliche Stimme: "Geniale Inszenierung. Geniale Inszenierung." Was dieselbe Stimme auch im zweiten Akt, und zwar mehrmals, wiederholte. Ex oriente lux. (anh)


Foto: © Bernd Uhlig