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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang A. Mozart)
23. Juni 2004

Komische Oper Berlin

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Sexualit�t Gewalt Klamauk

Der n�chste Skandal... nun ja, ein Skand�lchen. Man sieht Br�ste und Schw�nze (die auch f�r den makierten Sexualakt das Problem eines ungeeigneten Aggregatzustands haben), die B�hne ist mit Glask�sten zugestellt, die als Separ�s dienen und au�en mit Edelwerbung plakatiert sind; zugleich wirken sie wie eine Stadt. Links und rechts der B�hne, je �ber dem Orchester, laufen Monitore mit der permanenten Selbst-Schminkung einer trauernden, suizidalen Frau zur erotischen Schaufensterpuppe (dieses Video w�re einer eigenen Interpretation wert).

Bassa Selim leitet ein �ffentliches Haus, Osmin sorgt f�r reibungslosen Ablauf: mit der gesamten Brutalit�t eines Frauen-Schleppers aus dem Osten. Pedrillo verteilt Kondome und pfl�ckt die benutzten Tempos vom Boden. Kurz: Das Serail ist bei Calixto Bieito ein Puff.

Was f�r Mozarts auf ersten Blick harmloses, auf den zweiten zugleich rassistisches wie machistisches Singspiel eine so naheliegende wie gro�artige Idee ist. Sie funktioniert tats�chlich ziemlich lange. Allerdings wird sie anfangs von einer geradezu ansteckenden Komik getragen, und wir wissen ja: Sex und Witz werden zotig, hinter Zoten indes versteckt sich pure Gewalt. Bieito macht sie auch sichtbar, anspielungs- und kenntnisreich, was die diversen SM-Szenen anbelangt, bisweilen ein wenig vouyeurhaft, oft aber in einer angemessen kritischen N�herung, die wirklich versucht, etwas zu begreifen. Die hochambivalente Haltung Konstanzes etwa bei iher Befreiung ist ganz gro�artig inszeniert, dieses sich-nicht-mehr-ber�hren-lassen-Wollen, das zugleich kuscheln und wegsto�en muss, und sogar die Identifizierung des Opfers mit dem T�ter findet hier einen darstellerisch beklemmenden Reflex.

Doch die sehr gro�en (nicht etwa nur groben) Mittel dieser Inszenierung unterliegen der Eskalationsschraube: Was soll denn auf die sicher heftigste Szene, in der eine Prostituierte zu Tode "gecuttet" wird, an Steigerung noch folgen? Anstelle sich, darauf gest�tzt, auf den Konflikt zu konzentrieren, den Konflikt aus der Perspektive Konstanzes, knallt die Inszenierung Bieitos alles unter Krawall und Klamauk zusammen. Am Schluss bringt sich Konstanze auch noch um, klar, mit Knall. Da war nebenan, an der Staatsoper, Himmelmann kl�ger, als er sich f�r die zweite H�lfte seines "Don Carlo" weitere Provokation im Interesse einer unerbittlich grabenden Dramaturgie verbat.

Bieito aber ist die Hast anzumerken, immer weiterprovozieren zu wollen/zu m�ssen. Doch l�uft sich das tot, da kann man hundertmal auf der B�hne duschen. Ein herrlicher Einfall, zweifelsfrei; als Darsteller h�tte auch ich mich da dauernd gewaschen. Der Spa�charakter ist ganz enorm; er ist aber auch der Stein, �ber den Bieito so sehr stolpert, dass er die dramaturgische �bersicht verliert.

Andererseits ist das auch wieder egal. Denn mit Inszenierungen wie diesen, auch wenn sie letztlich misslingen, holt sich die Oper ihren politischen Einspruch zur�ck, und zwar eben dort, wo ihn keiner (mehr) erwartete. Zumal dieses Mozartget�ndel ohne den inszenierenden Durchgriff sowieso nur noch langweilig w�re.

Petrenko leitet denn auch sein Orchester - man darf im Doppelsinn hier sagen: spritzig. Wunderbar die Gesangsleistungen, wunderbar vor allem, wie die Darsteller spielen. Holen Sie sich die Namen aus dem Link zur Komischen Oper, ich muss ja Redundanzen nicht wiederholen. Jedenfalls habe ich selten so viel Sprech-Theater-Kultur bei inszenierten S�ngern erlebt. Allein daf�r lohnte sich der Besuch, der mich in seinen guten Momenten an den Mozartgeist Peter Sellars denken lie� und in seinen schlechten... nun ja: an den Kitkat-Club in Berlin. (anh)




Fotos: © Monika Rittershaus