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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
18. Mai 2003

Staatsoper Unter den Linden (Berlin)

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Bis in die Stimme zerrissen

�ber drei Jahre ist sie nun alt, diese Staatsoperninszenierung von Harry Kupfer in Hans Schavernochs B�hnenbild, zwar mittlerweile unter F�hrung Sebastian Weigles, aber das nimmt der Kraft dieser immerhin 18. Auff�hrung durchaus nichts... auch wenn es besonders beim ersten Vorspiel im Orchestergraben doch ein wenig zuviel an routinierter Sicherheit war. Eine von Syberberg hintertragene Anekdote will wissen, weshalb Carlos Kleiber so schwierig sei: N�mlich habe er verlangt, dass dieselben Musiker die Auff�hrung bestritten, mit denen sie geprobt worden sei... ein wirklich �berzogenes, also unsensibel jede B�hnengewerkschaftswirklichkeit �berziehendes Ansinnen.

Etwas davon war anfangs auch hier zu sp�ren, doch bekam Weigle das ziemlich schnell in den Griff. Er hatte wohl auch mit einer prinzipiellen Inbalance der Staatsopernakustik zu k�mpfen, die gerne Streicherh�hen etwas schluckt. Das ist besonders da schade, wo die schnellen Geigenfiguren das Pilgerthema zugleich vorantreiben wie schweben lassen. Dennoch und nicht ganz im Wagnersinn: Ouvert�ren-Applaus. Der f�hrte dann auch zu meist sehr sch�nem, kr�ftigem Spiel (nur die H�rner blieben zickig).

Schon der Vorhang: Dahinter ein Raum, der zugleich an die Kathedrale von Chartres wie Piranesis Carceri erinnert, darin fahren - man wei� nicht, ob lebende Figuren oder Schaufensterpuppen - antikisierte, zwar nackte, doch statuatisch de-erotisierte Figuren durchs Bild, vor dem der Tannh�user, sie tr�umend, liegt. Er erwacht, stellt fest, dass ihm die rein-imagin�re Welt nicht gen�gt, und nimmt den bekannten Abschied von Venus. Es ist in dieser Inszenierung sehr schl�ssig, wenn Venus und Elisabeth von derselben Frau dargestellt werden, auch wenn die Stimme Evelyn Herlitzius' f�r die Filigranit�t Elisabeths vielleicht doch ein wenig zu br�nnhildisch-st�hlern ist. Andererseits wird der Figur dadurch Blut gegeben, so dass man verstehen kann, weshalb Tannh�user sie der saftigen Venus vorzieht. Bis dato ist mir das immer schleierhaft gewesen.

Schavernoch hat den mystischen Raum ganz ebenso gespalten wie Tannh�users Seele gespalten ist: Rechts eine hohe, durch- und durchgequaderte Glasfront, hinter der vermittels Diaprojektionen Gegenwart hereingeholt wird - selbst wenn sie nur "Wald" ist und zur J�ger-Ironisierung verf�hrt. Sicher kann man sich auch dar�ber streiten, ob es sinnvoll ist, die Pilger von einem d�sterkargen Bahnhof abreisen zu lassen, da doch Schienen - derart symbolisch herprojeziert - in Deutschland immer an Deportationen gemahnen.

Wunderbarerweise gibt es keine Neonr�hren, auch nicht im Saal der Wartburg, daf�r kommen die Ritter und Grafen in bourgeoiser Milit�rkleidung hereinspaziert: Sinnbild eines Establishments, das, meine ich, nicht mehr in dieser Uniformierung gezeichnet werden kann; Jungs wie Bill Gates tragen l�ngst Jeans... die Typisierung durch die Kost�me Buki Shiffs ist insofern ein wenig verlogen, zumindest ausgesprochen naiv.

Der wundervolle Wolfram Roman Trekels macht das allerdings ziemlich wett... und noch etwas... nein, das Eigentliche: Vor Aufzug II tritt ein gut gekleideter Herr vor den Vorhang und l�sst den Kammers�nger Reiner Goldberg sich entschuldigen... er, Goldberg, k�mpfe seit drei Monaten mit einer grippalen Indisposition. Ich kann mich nicht enthalten, leise zu fl�stern: "Seit drei Jahren...", worauf die Dame in dem exquisiten Abendkleid vor mir "seit z e h n Jahren" haucht, gemeinsames Lachen �ber unsre Gemeinheit (schade, dass in der Pause ihr Freund kam)... und schon k�mpft Goldberg weiter. Aber genau das - n�mlich die Intensit�t, mit der er sich durch diese Partie qu�lt - ist es, was der Charakter des Tannh�users braucht, ja was ihn tats�chlich glaubw�rdig macht. Mit etwas erweiterter Bosheit lie�e sich annehmen, der pfiffige Kupfer habe die Rolle extra mit jemandem besetzt, der ihr nicht (mehr) gewachsen ist und - zusammenbrechen muss. Tannh�users Schw�che wird im Laufe des Abends immer deutlicher, immer zwingender (anders als der auch gestisch �berforderte Biterolf Bernd Zettischs), zumal sich Venus/Elisabeth bewundernswerterweise immer st�hlerner - ich m�chte sagen: matriarchaler - aussingt.

Dieser Aspekt von frouwe macht klar, weshalb der Riss nicht nur zwischen Tannh�user und den M�nnerb�ndlern der Wartburgs�nger, sondern auch zwischen denen und Elisabeth/Venus verl�uft. Wenn eine Inszenierung so etwas noch drei Jahre nach ihrer Premiere zu bewirken vermag, kann man eigentlich nur empfehlen, sich eine Auff�hrung anzusehen, und zwar auch oder sogar gerade dann, wenn man - wie ich - mit der Interpretation des Opernschlusses durchaus nicht einverstanden ist. Ja, wenn man sie - wie ebenfalls ich - f�r verfehlt h�lt, weil es zum Beispiel ziemlich deus-ex-machinal ist, die bourgeoise Gesellschaft ganz pl�tzlich den Pilgerchor �bernehmen und sie und h�chstselbst den Papst vom entseelten Tannh�user oder (s)einem donnernden und blitzenden Geist von der B�hne pusten zu lassen. (anh)


Foto: © Monika Rittershaus