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Farbe als Abwehr der Trauer
Was soll man sagen, wenn einem (mir zwar unangenehmen, aber) gro�artigen
Dirigenten nicht das richtige Orchester zur Seite steht... oder er nicht
gen�gend Zeit hatte, es auf die Seite seiner ausgesprochen langsamen Tempi
zu bringen?
Es geht hier um M u s i k, weshalb mir die Erinnerung an Eliahu Inbals
zu Recht legend�re Frankfurter Mahler-Serie, die bei Denon dokumentiert
ist, erlaubt sei: Ein Zweitklasse-Orchester k�nne dasselbe, vielleicht
sogar ein innigeres Niveau erreichen, wie eines der allervordersten R�nge,
sagte Inbal damals in einem Interview, man brauche nur mehr Zeit... Daran
dachte ich gestern Abend bei der Premiere von Korngolds ber�hmter Oper
"Die Tote Stadt" unter Christin Thielemann in der so bunten wie verquasselten
Regie Philip Arlauds.
Vieles, was s�ngerisch unbefriedigt l�sst, hat der Regisseur zu verantworten:
Wie soll denn ein Charakter (intonierte) Innigkeit bekommen, wenn sein
S�nger sich hysterisch �ber den Boden rollen soll und �berhaupt den Darstellern
aufgegeben ist, wie im Stummfilm mit gestikularen Bimbo-Augen zu outrieren?
Da kann sich ein Dirigent abm�hen, wie er nur will... es wird einfach
alles Farbgeschreie der Welt und jede nur denkbare Zappelei �ber das Orchester
und ihn und das Publikum dr�bergeworfen...
dazu das B�hnenbild reiner Oberfl�chen-Lack, m�glichst nirgends Tiefe,
m�glichst jedes "Gef�hl" vermieden... ein Disney-Br�gge also - und zwar
ohne Pixar-Studios- , was der Regisseur, der dummerweise auch noch sein
eigener B�hnenbildner ist, unterm Schn�rboden aufgestellt hat: Es ist
weder klar, weshalb Pauls (Stephen Goulds) Zimmer ein strichgelbes Griechisches
Theaterwinzelchen sein muss, noch wozu die attraktiven Parabolspiegel
dienen... und �berhaupt: Weshalb sieht Pauls Freund Frank aus wie wie
ein in einer Kolonialwarenhandlung angestellter Vampir? Und weshlb sieht
Paul selbst so aus? Blo� deshalb, weil Gould sieben Jahre lang Lloyd Webbers
Phantom der Oper war? Das h�rt man ihm im �brigen an: Er hat eine gro�e
Stimme, aber sie ist vom Operetten-Kitsch ziemlich verklebt, ihr fehlt
sowieso Seele; und nur, dass Korngold selbst Operetten liebte, ist kein
Grund, einen S�nger zu w�hlen, der unter demselben Geschmacksmakel leidet.
Thielemann h�tte ihm das gewiss saubergewischt, baute nicht Arlaud st�ndig
inszenatorische Tablaus, die die immer bequemste Haltung favorisieren
und eigentlich nicht eine einzige Peinlichkeit aussparen. Es besteht wirklich
kein Grund, Paul in einer imaginierten Projektion zum Gekreuzigten-selbst
zu machen, mit Dornenkronen-Bildern in den Hintergrundfenstern und auch
allem sonstigen Symbolsimuskitsch. Zur Verdoppelung hat Arlauf ja auch
schon bei seiner hiesigen Strauss-Inszenierung nicht nur geneigt, sondern
sich und die Geduld des Publikums mit ihr wundgerieben.
Ja, merkt Herr Thielemann das nicht? Man musste am Ende des Abends den
Regisseur nur auf die B�hne hoppsen sehen, um zu ahnen, welches Ausma�
an Verdr�ngung und Affirmation hier wirkt: Den wenigen, unendlich berechtigten
und deshalb viel zu sanften Buh-Rufen warf der strahlende Hibbel-Leptosom
Handkuss um Handkuss entgegen, hoppelte dann tuntig zu den S�ngern, k�sste
die Bedauernswerten, hoppste strahlend aufgezogen weiter - als w�re es
mit der Inszenierung noch nicht vorbei. Dabei war ihm der Opernschluss
eigentlich - und endlich etwas - gelungen... Und mir wurde - ohne Schrecken,
was das schrecklichse war - bewusst: Das ist ein Replikant!
Schade also. Denn Thielemann ist dieses St�ck wie auf den Leib geschrieben,
und er dirigiert diesmal klar, g�nzlich ohne M�tzchen, manchmal faltet
er die synkretistische Klangwelt staunenmachend auf, dann kommt einmal
das Blech nicht mit, man erschrickt, dann nehmen die Holzbl�ser einen
Auftakt knapp zu vorlaut gegen�ber den Streichern, und man leidet mit...
So soll es eigentlich sein in den nachwagnerischen Opern, die das psychische
Leben in den Orchstergraben verlegten.
Zudem ist das S�nger-Ensemble stimmlich allezeit mehr als pr�sent... es
ist sogar gro�artig. Doch was Silvana Dussmann (Marietta), Reinhild Runkel
(Brigitta) und die anderen seelisch leisten k�nnten, h�tte ihnen ein sensibler
Regisseur zur Seite gestanden - einer, sich sich nicht mit Pop-Quatsch
bei sich selbst anbiedern will -, ist nun leider nicht zu sagen.
Ich entsinne mich einer Inszenierung von 1997 in Wiesbaden - keinem ersten
Haus -, wo unter dem unbekannten Toshiyuki Kamioka ein gewisser Hubert
Delamboye und eine ungewisse Sue Patchell genau das gestalteten, worum
es in dieser Oper geht: Trauer. Und nicht ihre Abwehr, die Monsieur Arlaud
so angelegen ist. - Oh! Weshalb eigentlich? Kunst bedeutet auch, sich
genau das zu fragen. Und ich frage Herrn Arlaud. (anh) |
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