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Fakten zur Aufführung 

DIE TOTE STADT
(Erich Wolfgang Korngold)
25. Januar 2004 (Premiere)

Deutsche Oper Berlin

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Farbe als Abwehr der Trauer

Was soll man sagen, wenn einem (mir zwar unangenehmen, aber) gro�artigen Dirigenten nicht das richtige Orchester zur Seite steht... oder er nicht gen�gend Zeit hatte, es auf die Seite seiner ausgesprochen langsamen Tempi zu bringen?

Es geht hier um M u s i k, weshalb mir die Erinnerung an Eliahu Inbals zu Recht legend�re Frankfurter Mahler-Serie, die bei Denon dokumentiert ist, erlaubt sei: Ein Zweitklasse-Orchester k�nne dasselbe, vielleicht sogar ein innigeres Niveau erreichen, wie eines der allervordersten R�nge, sagte Inbal damals in einem Interview, man brauche nur mehr Zeit... Daran dachte ich gestern Abend bei der Premiere von Korngolds ber�hmter Oper "Die Tote Stadt" unter Christin Thielemann in der so bunten wie verquasselten Regie Philip Arlauds.

Vieles, was s�ngerisch unbefriedigt l�sst, hat der Regisseur zu verantworten: Wie soll denn ein Charakter (intonierte) Innigkeit bekommen, wenn sein S�nger sich hysterisch �ber den Boden rollen soll und �berhaupt den Darstellern aufgegeben ist, wie im Stummfilm mit gestikularen Bimbo-Augen zu outrieren? Da kann sich ein Dirigent abm�hen, wie er nur will... es wird einfach alles Farbgeschreie der Welt und jede nur denkbare Zappelei �ber das Orchester und ihn und das Publikum dr�bergeworfen...

dazu das B�hnenbild reiner Oberfl�chen-Lack, m�glichst nirgends Tiefe, m�glichst jedes "Gef�hl" vermieden... ein Disney-Br�gge also - und zwar ohne Pixar-Studios- , was der Regisseur, der dummerweise auch noch sein eigener B�hnenbildner ist, unterm Schn�rboden aufgestellt hat: Es ist weder klar, weshalb Pauls (Stephen Goulds) Zimmer ein strichgelbes Griechisches Theaterwinzelchen sein muss, noch wozu die attraktiven Parabolspiegel dienen... und �berhaupt: Weshalb sieht Pauls Freund Frank aus wie wie ein in einer Kolonialwarenhandlung angestellter Vampir? Und weshlb sieht Paul selbst so aus? Blo� deshalb, weil Gould sieben Jahre lang Lloyd Webbers Phantom der Oper war? Das h�rt man ihm im �brigen an: Er hat eine gro�e Stimme, aber sie ist vom Operetten-Kitsch ziemlich verklebt, ihr fehlt sowieso Seele; und nur, dass Korngold selbst Operetten liebte, ist kein Grund, einen S�nger zu w�hlen, der unter demselben Geschmacksmakel leidet.

Thielemann h�tte ihm das gewiss saubergewischt, baute nicht Arlaud st�ndig inszenatorische Tablaus, die die immer bequemste Haltung favorisieren und eigentlich nicht eine einzige Peinlichkeit aussparen. Es besteht wirklich kein Grund, Paul in einer imaginierten Projektion zum Gekreuzigten-selbst zu machen, mit Dornenkronen-Bildern in den Hintergrundfenstern und auch allem sonstigen Symbolsimuskitsch. Zur Verdoppelung hat Arlauf ja auch schon bei seiner hiesigen Strauss-Inszenierung nicht nur geneigt, sondern sich und die Geduld des Publikums mit ihr wundgerieben.

Ja, merkt Herr Thielemann das nicht? Man musste am Ende des Abends den Regisseur nur auf die B�hne hoppsen sehen, um zu ahnen, welches Ausma� an Verdr�ngung und Affirmation hier wirkt: Den wenigen, unendlich berechtigten und deshalb viel zu sanften Buh-Rufen warf der strahlende Hibbel-Leptosom Handkuss um Handkuss entgegen, hoppelte dann tuntig zu den S�ngern, k�sste die Bedauernswerten, hoppste strahlend aufgezogen weiter - als w�re es mit der Inszenierung noch nicht vorbei. Dabei war ihm der Opernschluss eigentlich - und endlich etwas - gelungen... Und mir wurde - ohne Schrecken, was das schrecklichse war - bewusst: Das ist ein Replikant!

Schade also. Denn Thielemann ist dieses St�ck wie auf den Leib geschrieben, und er dirigiert diesmal klar, g�nzlich ohne M�tzchen, manchmal faltet er die synkretistische Klangwelt staunenmachend auf, dann kommt einmal das Blech nicht mit, man erschrickt, dann nehmen die Holzbl�ser einen Auftakt knapp zu vorlaut gegen�ber den Streichern, und man leidet mit... So soll es eigentlich sein in den nachwagnerischen Opern, die das psychische Leben in den Orchstergraben verlegten.

Zudem ist das S�nger-Ensemble stimmlich allezeit mehr als pr�sent... es ist sogar gro�artig. Doch was Silvana Dussmann (Marietta), Reinhild Runkel (Brigitta) und die anderen seelisch leisten k�nnten, h�tte ihnen ein sensibler Regisseur zur Seite gestanden - einer, sich sich nicht mit Pop-Quatsch bei sich selbst anbiedern will -, ist nun leider nicht zu sagen.

Ich entsinne mich einer Inszenierung von 1997 in Wiesbaden - keinem ersten Haus -, wo unter dem unbekannten Toshiyuki Kamioka ein gewisser Hubert Delamboye und eine ungewisse Sue Patchell genau das gestalteten, worum es in dieser Oper geht: Trauer. Und nicht ihre Abwehr, die Monsieur Arlaud so angelegen ist. - Oh! Weshalb eigentlich? Kunst bedeutet auch, sich genau das zu fragen. Und ich frage Herrn Arlaud. (anh)






Fotos: © Detlef Kurth