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Avancierte Avantgarde
1966 scheiterte Haubenstock-Ramatis avanciert-innovatives Projekt an der
Deutschen Oper in Berlin, 1992 gab es eine Revitalisierung in Graz, nun
wagt Bielefelds experimentierfreudiges Theater einen neuen - gelungenen
- Versuch. Andrej Woron inszeniert im umbaureifen Theater eine Baustelle
Amerika, entwickelt ein Kaleidoskop des Amerika-Bilds der 60er Jahre mit
besch�digter Freiheitsstatue, Sex-Verklemmtheiten, Indianer-Missachtung,
Goldbarren-Transport als Synonym unmoralisches Streben nach Reichtum.
Er orientiert sich eher an Kafkas Amerika-Bild, verzichtet klug auf plumpe
Aktualisierungen, �berl�sst die Erkenntnisse dem Publikum. Ein Meisterst�ck!
Musikalisch kommt Peter Kuhn mit dem kompetenten Philharmonischen Orchester
der Stadt Bielefeld sowohl direkt als auch in zugespielten Passagen mit
den kompositorisch-diffizilen Angeboten gut zurecht. Die Klangregie Peter
B�hms ist daher entscheidend, das Vokalensemble NOVA Wien unterst�tzt
diese erfolgreichen Bem�hungen f�r ein sinnliches Erleben.
Die musikalische Avantgarde des Experimentierens mit neuen Formen der
Oper erlebt eine aufregende Wiederbelebung. Keine lineare Handlung, Verabschiedung
von harmonisch-kollektiven Orchesterkl�ngen, stattdessen Fragmente von
Kafka-Texten und eine faszinierende Mischung von sirrenden Streichern,
tickenden Percussions, explosiven Bl�sern, allesamt Cluster vermittelnd,
zusammengesetzt aus Live-Orchesterkl�ngen, zugespielten Passagen und Erg�nzenden
Stimmen und Ger�uschen. Das alles bei extrem hohem technischen Aufwand!
Die S�nger-Darstellerinnen identifizieren sich mit ihren Rollen und beherrschen
den hochartifiziellen Sprechgesang (man denke an Sch�nbergs Pierrot Lunaire)
perfekt, lassen "Typen" lebendig werden. Hervorzuheben: Clemens L�schmann
als "Opfer" Rossmann, Melanie Krenter als Baby-Doll-Brunelda, Michael
Bachtadze als gieriger "Heizer", Mathias Schaletzky als kommentierender
Pollunder; das Bielefelder Ensemble beweist Kompetenz in der intensiven
Umsetzung spr�der musikalischer Substanz.
Bei der hochkar�tigen Auff�hrung ist das Haus bei der letzten Premiere
vor der zweij�hrigen Umbauphase von Besuchern aus der europ�ischen Szene
besetzt. Anwesende Ostwestfalen n�rgeln w�hrend der Auff�hrung, lassen
auch nach Jahrzehnten avancierten Musiktheaters kein emotionales "Pro"
erkennen. Bielefeld wird demn�chst auf spektakul�re Inszenierungen verzichten;
die konservative Ratsmehrheit legt das Musiktheater mit seinen �berregionalen
Potenzen lahm. Es ist zum Erbarmen! (frs) |
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