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Legende wird zum Mythos
"Jeanne d'Arc au b�cher " - "Johanna auf dem Scheiterhaufen ", ein Titel,
der viele Erwartungen weckt. Noch ein Werk zu der Vielzahl von Werken,
die das Leben der zur Legende gewordenen Nationalheiligen Frankreichs
thematisieren?
Arthur Honegger (1892-1955) und sein Librettist Paul Claudel (1868-1952),
der Hauptvertreter des literarischen Renouveau Catholique, w�hlten einen
neuen Weg, als sie den Plan zu diesem musikalisch-theatralen Projekt fassten:
Ein dramatisches Oratorium sollte es sein, in der Tradition der "Damnation
de Faust" von Hector Berlioz, doch ohne lineare Chronologie - eine szenische
wie musikalische "Collage", in analytischer Struktur und quasi filmischen
Zeitspr�ngen und �berblendungen, strahlenf�rmig ausgehend von den Reflexionen
Jeannes w�hrend ihres Prozesses in Rouen.
Diese Struktur arbeitet der franz�sische Regisseur Stanislas Nordey in
seinem Regiekonzept f�r die Neuproduktion der Ruhrtriennale im Musiktheater
im Revier in Gelsenkirchen pr�zise heraus: Die B�hne, zun�chst ein dunkles
Geviert, �ffnet sich zu dunklen, langsam aufsteigenden sph�rischen Kl�ngen
einen Spalt breit, um eine Gestalt im wei�en Trenchcoat ins Licht treten
zu lassen - Jeanne d'Arc, ausdrucksstark und mit verinnerlicht-intensiver
Diktion fern aller pathetischen Klischees, fast schon entr�ckt, �berzeugend
verk�rpert von der Bochumer Schauspielerin D�rte Lyssewski. Sie steht
von Anfang an im Mittelpunkt, eine Lichtgestalt in einer Welt von Schwarz.
Nach und nach �ffnet sich die B�hne, und die anderen Gestalten treten
sukzessiv ins Geschehen ein: Das gro�e Welttheater entfaltet sich zu einem
streng symmetrischen Panorama in glei�endem Wei�, das eine fast schon
antiseptische Distanz schafft und die durch das dramaturgische Element
des "Spiels im Spiel" auf mehreren Ebenen erzeugte Verfremdung noch verst�rkt.
Die Polarit�t von Schwarz und Wei� dominiert die in k�hle, magisch unwirkliche
Lichtschattierungen getauchten Bilder von Emmanuel Clolus; erst f�r das
Schlussbild - Jeannes Tod und "Apotheose" - findet Light-Designer Philippe
Berthom� w�rmere Tone.
Stanislas Nordey integriert sowohl mittelalterliche Mysterienspiele und
barockes Welttheater als auch assoziationsreiche Figuren des Volkstheaters
wie den Bauern Heurtebise (Horst Vladar), der Nordfrankreich symbolisiert,
und die Inkarnation S�dfrankreichs, die M�re aux Tonneaux (Hannelore Albus).
Das Gericht der Tiere unter dem Vorsitz von Porcus (Erin Caves), der mittelalterlichen
Volksdichtung um Reineke Fuchs nachempfunden und szenisch wie musikalisch
durch Instrumentenkonnotationen grotesk �berzeichnet, antizipiert und
parodiert das machtpolitische (Karten-)Spiel der als Allegorien dargestellten
historischen F�rsten und Kleriker, bei dem Jeanne ihren Feinden, den Engl�ndern,
zugeschanzt wird.
Das Spiel geht vordergr�ndig um die Macht der Gro�en; tats�chlich jedoch
k�mpft Jeanne gegen die M�chte des B�sen um ihren Weg zu Gott. Beistand
erh�lt das M�dchen aus Domr�my von ihren Schutzheiligen Katharina (Marie-Belle
Sandis) und Margarethe (Regine Hermann) sowie der Heiligen Jungfrau (Johanna
Krumin). Individuelle Z�ge in diesem Figurenpanorama hat nur Fr�re Dominique,
in seiner Suche nach Wahrheit �berzeugend und mit klangvoller Diktion
dargestellt von Jean-Fran�ois Sivadier, der das Bindeglied zwischen der
gefangenen Jeanne und der Welt darstellt, bis das Todesurteil sie aus
allen Zw�ngen und Zweifeln befreit.
D�rte Lyssewski portr�tiert dabei eine in sich ruhende, schon weitgehend
entr�ckte Jeanne. Konsequent zeigt Stanislas Nordey ihren grausamen Feuertod
auf dem Scheiterhaufen nicht realistisch, sondern pr�sentiert ihn als
mythische Entr�ckung in einer Apotheose.
Der Vielschichtigkeit der Ereignisse korrespondiert die musikalische Sprache
Arthur Honeggers, ohne sich in Eklektizismus zu verlieren. Dirigent Marc
Piollet zeigt sich der Herausforderung gewachsen, aus dem durchweg dichten
Orchestersatz die unterschiedlichen stilistischen Elemente - Gregorianik,
volkst�mliche Melodien der Kinderch�re, barocke Tanzs�tze und sogar Jazzrhythmen,
aber auch Schl�sselmotive wie das Heulen des H�llenhundes oder das lothringische
Trimaz�-Lied, musikalisches Symbol f�r Jeannes Unschuld - sehr differenziert
herauszuziselieren und ihren genuinen Klangcharakter zu betonen. Mit sicherem
Gesp�r f�r Klangfarben hebt er auch die assoziationsreichen tonmalerischen
Soli vor allem der Holzbl�ser hervor. Die Neue Philharmonie Westfalen
setzt diese dichten polyphonen Klanggewebe ungemein flexibel um, mit sorgf�ltigen
Nuancierungen in Tempo, Dynamik und Artikulation.
Beachtlich ist auch die Leistung des Chores und Extrachores des Musiktheaters
im Revier sowie des Kinderchores der St�dtischen Musikschule Gelsenkirchen,
die die Schwierigkeiten dieser komplexen Partitur stilsicher meistern.
Das Publikum dankte den K�nstlern f�r diese herausragende und �berzeugende
Vorstellung mit �ber 20-min�tigem begeistertem Applaus und "standing ovations".
(kfü) |
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