Rezensionen     Kommentare     News     Backstage     Befragung     Links     Kontakt     Impressum    Wir über uns
     

Fakten zur Aufführung 

JEANNE D'ARC AU BÛCHER
(Arthur Honegger)
4. Mai 2003

RuhrTriennale
(Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen)

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Legende wird zum Mythos

"Jeanne d'Arc au b�cher " - "Johanna auf dem Scheiterhaufen ", ein Titel, der viele Erwartungen weckt. Noch ein Werk zu der Vielzahl von Werken, die das Leben der zur Legende gewordenen Nationalheiligen Frankreichs thematisieren?

Arthur Honegger (1892-1955) und sein Librettist Paul Claudel (1868-1952), der Hauptvertreter des literarischen Renouveau Catholique, w�hlten einen neuen Weg, als sie den Plan zu diesem musikalisch-theatralen Projekt fassten: Ein dramatisches Oratorium sollte es sein, in der Tradition der "Damnation de Faust" von Hector Berlioz, doch ohne lineare Chronologie - eine szenische wie musikalische "Collage", in analytischer Struktur und quasi filmischen Zeitspr�ngen und �berblendungen, strahlenf�rmig ausgehend von den Reflexionen Jeannes w�hrend ihres Prozesses in Rouen.

Diese Struktur arbeitet der franz�sische Regisseur Stanislas Nordey in seinem Regiekonzept f�r die Neuproduktion der Ruhrtriennale im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen pr�zise heraus: Die B�hne, zun�chst ein dunkles Geviert, �ffnet sich zu dunklen, langsam aufsteigenden sph�rischen Kl�ngen einen Spalt breit, um eine Gestalt im wei�en Trenchcoat ins Licht treten zu lassen - Jeanne d'Arc, ausdrucksstark und mit verinnerlicht-intensiver Diktion fern aller pathetischen Klischees, fast schon entr�ckt, �berzeugend verk�rpert von der Bochumer Schauspielerin D�rte Lyssewski. Sie steht von Anfang an im Mittelpunkt, eine Lichtgestalt in einer Welt von Schwarz.

Nach und nach �ffnet sich die B�hne, und die anderen Gestalten treten sukzessiv ins Geschehen ein: Das gro�e Welttheater entfaltet sich zu einem streng symmetrischen Panorama in glei�endem Wei�, das eine fast schon antiseptische Distanz schafft und die durch das dramaturgische Element des "Spiels im Spiel" auf mehreren Ebenen erzeugte Verfremdung noch verst�rkt. Die Polarit�t von Schwarz und Wei� dominiert die in k�hle, magisch unwirkliche Lichtschattierungen getauchten Bilder von Emmanuel Clolus; erst f�r das Schlussbild - Jeannes Tod und "Apotheose" - findet Light-Designer Philippe Berthom� w�rmere Tone.

Stanislas Nordey integriert sowohl mittelalterliche Mysterienspiele und barockes Welttheater als auch assoziationsreiche Figuren des Volkstheaters wie den Bauern Heurtebise (Horst Vladar), der Nordfrankreich symbolisiert, und die Inkarnation S�dfrankreichs, die M�re aux Tonneaux (Hannelore Albus). Das Gericht der Tiere unter dem Vorsitz von Porcus (Erin Caves), der mittelalterlichen Volksdichtung um Reineke Fuchs nachempfunden und szenisch wie musikalisch durch Instrumentenkonnotationen grotesk �berzeichnet, antizipiert und parodiert das machtpolitische (Karten-)Spiel der als Allegorien dargestellten historischen F�rsten und Kleriker, bei dem Jeanne ihren Feinden, den Engl�ndern, zugeschanzt wird.

Das Spiel geht vordergr�ndig um die Macht der Gro�en; tats�chlich jedoch k�mpft Jeanne gegen die M�chte des B�sen um ihren Weg zu Gott. Beistand erh�lt das M�dchen aus Domr�my von ihren Schutzheiligen Katharina (Marie-Belle Sandis) und Margarethe (Regine Hermann) sowie der Heiligen Jungfrau (Johanna Krumin). Individuelle Z�ge in diesem Figurenpanorama hat nur Fr�re Dominique, in seiner Suche nach Wahrheit �berzeugend und mit klangvoller Diktion dargestellt von Jean-Fran�ois Sivadier, der das Bindeglied zwischen der gefangenen Jeanne und der Welt darstellt, bis das Todesurteil sie aus allen Zw�ngen und Zweifeln befreit.

D�rte Lyssewski portr�tiert dabei eine in sich ruhende, schon weitgehend entr�ckte Jeanne. Konsequent zeigt Stanislas Nordey ihren grausamen Feuertod auf dem Scheiterhaufen nicht realistisch, sondern pr�sentiert ihn als mythische Entr�ckung in einer Apotheose.

Der Vielschichtigkeit der Ereignisse korrespondiert die musikalische Sprache Arthur Honeggers, ohne sich in Eklektizismus zu verlieren. Dirigent Marc Piollet zeigt sich der Herausforderung gewachsen, aus dem durchweg dichten Orchestersatz die unterschiedlichen stilistischen Elemente - Gregorianik, volkst�mliche Melodien der Kinderch�re, barocke Tanzs�tze und sogar Jazzrhythmen, aber auch Schl�sselmotive wie das Heulen des H�llenhundes oder das lothringische Trimaz�-Lied, musikalisches Symbol f�r Jeannes Unschuld - sehr differenziert herauszuziselieren und ihren genuinen Klangcharakter zu betonen. Mit sicherem Gesp�r f�r Klangfarben hebt er auch die assoziationsreichen tonmalerischen Soli vor allem der Holzbl�ser hervor. Die Neue Philharmonie Westfalen setzt diese dichten polyphonen Klanggewebe ungemein flexibel um, mit sorgf�ltigen Nuancierungen in Tempo, Dynamik und Artikulation.

Beachtlich ist auch die Leistung des Chores und Extrachores des Musiktheaters im Revier sowie des Kinderchores der St�dtischen Musikschule Gelsenkirchen, die die Schwierigkeiten dieser komplexen Partitur stilsicher meistern.

Das Publikum dankte den K�nstlern f�r diese herausragende und �berzeugende Vorstellung mit �ber 20-min�tigem begeistertem Applaus und "standing ovations". (kfü)


Foto: © Foto Majer-Finkes, Rudolf Finkes