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Fakten zur Aufführung 

DER FREISCHÜTZ
(Carl Maria von Weber)
12. April 2014
(Premiere)

Oper Köln, Oper am Dom

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Publikum

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Ein böser Scherz

Webers Freischütz kann man getrost als ein klassisches Nationalheiligtum der Deutschen bezeichnen. Die Mischung aus Bräuchen, Waldromantik und Ohrwürmern ist eben ein Publikumsliebling. Schon oft hat sich ein Regisseur den Unmut des Publikums zugezogen, weil er es gewagt hinter die Kulisse der Heimatoper zu schauen. Das jüngste Beispiel ist nun an der Oper Köln zu finden, wo Regisseur Viestur Kairish mit Anlauf einen kleinen Skandal inszeniert. Bei Noch-GMD Markus Stenz klingt das Waldmotiv zu Beginn der Ouvertüre wie eine wehmütige Erinnerung aus dem Graben der Oper am Dom herauf, während sich der Vorhang öffnet und den Blick auf ein Zimmer der Oberflächlichkeit frei gibt. Eine Kombination aus Waschmaschine, Backofen und Couch wiederholt sich vor der rosa Rückwand im Hintergrund aneinandergereiht. Überhaupt ist Rosa ein prägendes Element in Ieva Jurijänes Bühnenbildern und Kostümen. Anscheinend sollen hier wirklich die Frauen allesamt als blond-dumme, Putzlappen wirbelnde Barbiepüppchen verkauft werden – die Ausgeburten der Fantasien ihrer Männer. Die sind in diesem Fall die Jäger und Bauern, die sich in ihren Uniformen aufplustern wie Michelin-Männchen. Kairish findet in der Moderne einen Ersatz für das volkstümliche Sternschießen: Zwei Mannschaften treten im Paint-Ball gegeneinander an. Die Jäger verlieren die Meisterschaft, weil sich Jäger Max unkonzentriert vom Bauer Kilian hat abschießen lassen. Kilian wird fortan nur noch mit seinem Pokal über die Bühne rennen beziehungsweise torkeln, damit auch jeder bemerkt, dass dies der einzige Erfolg seines bisherigen Lebens ist.

Am Anfang hat man noch das Gefühl, dass das ein schlechter Scherz ist – und schon schleicht sich dieser als Clown personifiziert auf die Bühne. In einer Mischung aus Pennywise und Ronald McDonald bringt Samiel sein Softeis unter die Leute und versteckt sich schnell in der Truhe, wenn der Name Gott fällt. Und schon macht sich hinter der Persiflage das System, die kranken Strukturen bemerkbar: Etwa bei Max, der seiner rothaarigen Agathe gerne die blonde Perücke aufsetzen möchte. Auch Kaspar, der in seiner Militärkluft das Paint-Ballspiel nur belächeln kann, wird als einsamer Außenseiter gekennzeichnet.

Die lange Umbaupause vor der Wolfsschluchtszene nutzt Kairish für eine Gespensterstunde. Saaltüren knarren und düstere Schritte hallen wie das gnadenlose Ticken eines Sekundenzeigers durch den Saal, wenn Schauspieler Renato Schuch als Samiel genüsslich durch die Reihen schreitet und hinter der Clownsmaske sein feuerrotes Haar und die Grimasse von Batman-Gegenspieler Joker (sic!) erkennen lässt. Auch im Publikum findet er seinen Speichellecker, der ihm die großen Clownsschuhe küsst. Völlig überrascht stellt man fest, dass die Wolfsschlucht in einem fast traditionellen Ambiente spielt: Hinter der rosafarbenen Fassade hat sich ein Dornenwald aufgebaut, in dem Samiel nur noch mit einer Krawatte bekleidet erscheint. Spätestens an dieser Stelle beginnt ein beliebtes Publikumsspiel angesichts unbequemer Inszenierungen: Frei nach dem Text von Zehn kleine Jägermeister verlassen die ersten Zuschauer den Saal. „…. dem einen gefiel der Penis nicht, da waren’s nur noch 9“. Hätten sie noch zehn Minuten gewartet, hätten sie erlebt, wie stark Kairish nach einem theatralischen Kugelsegen über dem Fleischwolf mit der Tradition wieder bricht. Herbeitaumelnde Clowns schneiden sich die Freikugeln aus dem Körper.

Nach der Pause bleiben einige Plätze leer, das Jägermeisterspiel geht auch munter weiter und der dritte Akt zudem gleich handwerklich schlechter. Lediglich in der Charakterisierung Agathes bietet Kairish eine starke Entwicklung. Agathe, die sich in ihrem Umfeld alles andere als wohl gefühlt hat, sieht ihrer Hochzeit mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Das Brautjungfern-Quartett sind vier Geister-Clowns-Wesen, die Agathes Angst symbolisieren. Folgerichtig ist für Agathe ein echter Kranz mit weißen Rosen eine Totenkrone und sie bindet einen Kranz aus braunem Laub als Hochzeitskranz. Für die Auflösung fehlt dem Regisseur eindeutig die Zeit. Ottakar als Fürst der Manege und der Eremit – eine Mischung aus Clown und Mumie – ist anscheinend zum Tätowier-Künstler mutiert. Jedenfalls hat er Agathe eine weiße Rose auf den Arm gestochen, und auch Max bekommt als Zeichen seiner Bewährung ein Tattoo auf den Brustkorb. Das Symbol bleibt aber den Leuten mit den besseren Sitzplätzen vorbehalten. Am Ende findet sich hinter der rosafarbenen Tapete eine kleine Tür in die Zukunft, hinter der es schneit. Nur Agathe findet den Mut, auf diese Tür zuzugehen.

Freilich hätte das Regieteam einiges auch provokant und plakativ erzählen können – wenn es denn gewollt hätte. Aber ohne bestimmte Mätzchen kommt man anscheinend nicht mehr aus, wenn man unter dem gemütlichen Bett der romantischen Oper das Monster suchen möchte. Kasper muss den bewusstlosen Max anal penetrieren, nachdem er ihm eine blonde Perücke aufgesetzt und ihn mit Waschmittel – Weichspüler? – überschüttet hat. Auch der kurze Oralverkehr, den er von einer kleinen Agathe bekommt, ist schon sehr grenzwertig. Anderes ist mehr peinlich als provokant: Beispielsweise, wie Ännchen mit Jungfer Agathe vorab Kamasutra-Stellungen einstudiert, und nebenbei wird in den Dialogen ganz deutlich und wiederholt auf die Jungfer hingewiesen. Auf solch plakativen Abwegen wird dem Konzept viel Atmosphäre genommen, die auch Nicol Hungsberg mit einer klugen Beleuchtung nicht wiederherstellen kann.

Doch zum Glück gibt es in der Oper ja noch Musik, und die rettet trotz der grausamen Akustik im Musical-Dome einiges. Bewundernswert, wie sich das Ensemble szenisch und musikalisch gleichzeitig ins Zeug wirft. Beim Chor der Oper Köln geht dieses Multitasking nicht immer gut. Als Geisterchor ist er unschlagbar, ansonsten fehlt es da bisweilen noch an Geschlossenheit. Besonders mit den Männern muss Chorleiter Andrew Ollivant noch am Jägerchor feilen, denn ausgerechnet diesen Gassenhauer zersägen sie zielsicher. Die Solisten verbinden durchgehend schöne Stimmen mit darstellerischer Präsenz. Angefangen bei den vier Brautjungfern Aoife Miskelly, Erika Simons, Ji-Hyun An und Anna Herbst, die so schön homogen singen. Paul Armin Edelmann übernimmt für den erkrankten Miljenko Turk den Ottokar und überzeugt mit kultivierter Autorität. Diese kann auch Young Doo Park als Eremit unter Beweis stellen. Dirk Aleschus ist ein souveräner Kuno, Martin Koch ein hämischer Kilian. Gloria Rehm darf szenisch das überkandidelte Ännchen mit Bravour geben. Trotz einer sehr schönen Leistung erreicht diese Partie aber gesanglich in diesem akustischen Rahmen eine Grenze. Der ganz starke Oliver Zwarg offenbart als Kaspar hinter seinem bösen Charakter innere Einsamkeit. Andreas Schager gibt körperlich den traurigen Versager und ist vokal das absolute Gegenteil davon. Sein kräftiger, textverständlicher Tenor steht gerne mal über dem Ensemble, besitzt zuweilen etwas wenig Feingefühl, aber das ist schon Meckern auf hohem Niveau. Aus anderem Holz geschnitzt ist die Gesangskultur von Claudia Rohrbach, deren Debüt als Agathe zu einem bejubelten Triumph gerät. Ihre sensible Gestaltung, ihr unforciertes Material setzt an der Oper Köln für die Zukunft wohl Maßstäbe.

Schmerzlich vermissen wird man hier Markus Stenz, das hat diese Freischütz-Interpretation einmal mehr nachdrücklich gezeigt. Das Gürzenich-Orchester schwelgt nicht in schwülstiger Romantik, sondern legt unter seinem Dirigat eine faszinierende Deutung hin. Motive werden nicht gespielt, sondern entwickeln sich aus einem schlanken Klangbild heraus. Schöne Kontrastarbeit kommt in den Nebenstimmen zum Ausdruck. Die ausgemalte Stimmung ist nervös, die Spannung zum Greifen nahe. Dieser Freischütz ist nicht zum Genießen, sondern lässt den Zuhörer auf der Stuhlkante mitfiebern. Das bekommt man trotz eines akustisch schlechten Umfeldes geboten.

Dieses Niveau weiß das Premierenpublikum aber kaum zu schätzen. Man ist halt sichtlich verunsichert, sogar verärgert über die Inszenierung. Schon der Zwischenapplaus nach einzelnen Arien fällt sehr zurückhaltend aus. Immerhin bleiben Zwischenrufe wie beim Skandal-Don-Giovanni von David Alden seinerzeit aus. Trotzdem, der Buh-Orkan für das Regieteam ist zu erwarten gewesen. Das hätte der Oper Köln aber auch vorher klar sein müssen. Eine derartige Inszenierung weckt Widerstand, regt aber immerhin zu Diskussionen an, wie man schon in der Pause deutlich merkt. Allerdings geben sich die meisten auch kaum Mühe, die Stärken der Produktion zu entdecken. Denn unterhaltsam ist sie allemal. Für die musikalische Seite gibt es lautstarke Zustimmung, doch für sich genommen ist der rekordverdächtig kurze Applaus ein schlechter Scherz.

Christoph Broermann

 





Fotos: Bernd Uhlig