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Fakten zur Aufführung 

LEONORE
(Ludwig van Beethoven)
1. November 2003


Staatstheater am Gärtnerplatz (München)



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Medikament�ser Staatsterror

Komponierte Erstfassungen haben es meist schwer. Etwas Unfertiges, �bergangsartiges haftet diesen Werken an. Dabei ist es wohl nur die Beleidigung unserer H�rgewohnheit, die die K�hnheiten des Erstlings verstellt. F�r M�nchen bot sich jetzt erstmals die M�glichkeit, Gewohntes durch "Leonore" in Frage stellen zu lassen.

Gewiss, manches in dieser Partitur ist zu ausschweifend, doch die zwingende strukturelle Dramaturgie des 1. Aktes, die sich �ber Arie, Duett und Terzett zum wundersamen Eintritt Leonores im Quartett entwickelt, vermisst man im "Fidelio". Privates Gl�ck und gro�e Politik prallen hier noch radikal aufeinander. Diese Konfrontation zeigt auch die Regie von Hans-Ulrich Becker.

Das B�hnenbild (Alexander M�ller-Elmau) stellt ein Panoptikum dar, ein rundes Gef�ngnis, dessen Zellen aus der Mitte stets einzusehen sind - totale �berwachung. Dass diese Anordnung psychologisch nur funktioniert, wenn die M�chtigen unsichtbar sind, verschweigt die Inszenierung. Um dies aufzul�sen, benutzt Becker Tabletten. Die Gefangenen in gelben Kitteln in offenen Zellen mit B�gelbrett werden medikament�s ruhiggestellt. Schwer vorstellbar, dass sie andernfalls nicht die Revolte wagten, sind doch Rocco, Jaquino und Fidelio in hellblauen Polizeiuniformen auf ihrem gut einsehbaren, blumengeschm�ckten Plateau zu sehr mit sich selbst besch�ftigt, um als furchterregende Aufseher zu taugen. Becker zeigt nicht den Triumph Leonores. Florestan bricht am Ende (tot?) zusammen, von einer infotainmentgeilen Presse angeknipst. Deren Schlusshymnus dirigiert Fernando mit Blick auf die Uhr. Sein Regime wird schnellstens das des besessenen Pizarro, der als Transe gern die Anti-Leonore gespielt h�tte, abl�sen. Damit ist klar, dass Cholera auf Pest folgt.

Die S�nger wirken in diesem Spiel der gro�en Wirkungen isoliert voneinander. Schon der B�hnenraum ist akustisch ung�nstig, vieles verhallt, feine Nuancen werden kaum h�rbar. Am ehesten behauptete sich Christoph Stephingers sonorer Rocco, der k�stlich jovial den Kopf warf, wenn es ums Geld ging. Der dramatische Sopran Brigitte Wohlfarths (Leonore) war stimmsicher und pr�sent, doch sehr scharf und tremolierend. Der lyrischen M�rta Kosztol�nyi fehlte als Marzelline Unbefangenheit, liebende Emphase. Gerade ihre erste Arie blieb flach und nahm Leonores Gewissensbissen die Brisanz. Thomas Gazheli (Pizarro) k�mpfte tapfer mit der tiefen Lage seiner Partie. Preisverd�chtig war sein Spiel mit vollem K�rpereinsatz und verzerrten Gesichtsz�gen. Wolfgang Schwaningers Florestan n�tigte Respekt ab. Bei sch�ner tenoraler Klarheit neigte er jedoch dazu, T�ne anzuschleifen.

Die erstmalige Leitung von Ekkehard Klemm konnte in der Feinabstimmung zwischen B�hne und Graben einige Wackler nicht verhindern. Die Ouvert�re leitete eruptiv das insgesamt markige Spiel des Orchesters ein.

Begeisterter Applaus des ausverkauften Hauses. (tv)




Fotos: © Anita Pinggera