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Schreckgespenst Avantgarde
Da war sie nun also - "Shadowtime" - die mit Spannung erwartete erste
Oper des britischen Komponisten Brian Ferneyhough. In Zusammenarbeit mit
dem amerikanischen Dichter und Literaturtheoretiker Charles Bernstein
entstand ein siebenteiliges Konstrukt, das Ferneyhough selber als "Gedankenoper"
bezeichnet.
Dreh- und Angelpunkt ist die Figur des Philosophen Walter Benjamin und
dessen Freitod an der franz�sisch-spanischen Grenze. Diese Rahmenhandlung
hat allerdings wenig Gewicht, legen es Ferneyhough und Bernstein doch
viel mehr darauf an, in Benjamins Gedankenwelt einzutauchen. Kunstgriffe
wie fiktive Dialoge Benjamins mit H�lderlin oder "Befragungen" historischer
Figuren alias Hitler und Einstein sollen Einblicke in die Denkstruktur
des Philosophen freilegen.
Dieser f�r sich schon schwer fassbare Stoff wird von Ferneyhough in eine
nicht minder komplexe musikalische Form gebracht. Zahlen- und Zeitverh�ltnisse
spielen dabei eine vorrangige Rolle. Beispielsweise durchmisst der Komponist
in der d�ster surrealen f�nften Szene (Spiegelungen der Dunkelheit) im
Schnelldurchlauf 800 Jahre Musikgeschichte. So komprimiert etwa der letzte
Teil die Form von Beethovens Gro�er Fuge in 48 Sekunden. Eindrucksvolle
Skizzierungen und Erl�uterungen im Programmheft sollen das Verst�ndnis
erleichtern.
Doch nun zum wesentlichen Ma�stab, der an ein musikalisches B�hnenwerk
anzulegen ist. Was brachte die Auff�hrung? Und da setzt bittere Entt�uschung
ein, denn weder Musik noch Handlungsebene konnten sich vermitteln. 120
Minuten gleichf�rmig-z�her Klangbrei in avantgardistischer Manier ohne
nennenswerte H�hepunkte waren das sinnlich wahrnehmbare Resultat dieser
als H�hepunkt der Biennale angepriesenen Oper. Mittels Videoprojektion,
Schattenspielen und (leider unlesbaren) Textstoffbahnen versuchte Regisseur
Fr�d�ric Fisbach mit seinem Team (B�hne: Emmanuel Clolus, Kost�me: Olga
Karpinsky), diesem blutleeren B�hnenwerk Leben einzuhauchen. Dieses Unterfangen
war von m��igem Erfolg gekr�nt, hatte man doch wenig, was sich zur dramatischen
Umsetzung anbot.
Das konnte auch die Verpflichtung der hervorragenden Protagonisten auf
der B�hne und im Orchestergraben nicht retten. Die neuen Vokalsolisten
Stuttgart und das Nieuw Ensemble Amsterdam unter der Leitung von Jurjen
Hempel leisteten Au�ergew�hnliches.
Es bleibt abzuwarten, ob diese neue "Gedankenoper" au�erhalb des elit�ren
und gesch�tzten Zirkels gewogener Festivals bestehen kann. (ecd) |
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