|

Das Seil des Nibelungen
Richard Wagners Ring des Nibelungen, das ist Kult und KultTour de force
f�r alle Beteiligten. Er ist Referenz an eine Zeit, von der man glaubt,
dass �ber �sthetische Fragen so polarisierend gestritten wurde, wie heute
�ber Steuerreform und Gesundheitsvorsorge. Ein Ringabend gibt noch einen
Eindruck von diesen weltbewegenden Fragen, ist immer noch eine Standesangelegenheit
und ein Insidertreffen. Gluckianer, Brahmsianer, Straussianer sind alle
ausgestorbene Spezies, der Wagnerianer erfreut sich hingegen eines Methusalemalters.
In keiner Oper suggerieren die Zuschauer solche Informiertheit, selten
solche entschiedenen Einstellungen. Ein Ringapplaus ist immer noch ein
kleiner Stellungskrieg. Regisseure m�ssen das wissen, denn der Ring ist
das Lieblingsobjekt des Regietheaters, der Gipfelpunkt jeder Regielaufbahn.
Doch wie geht man mit der Informiertheit und den daraus resultierenden
Erwartungen der Zuschauer um? Ignorieren? Herausfordern? Beleidigen? Erf�llen?
So wartet mancher Regisseur des Rings auf ein Wunder; hofft auf die neue
Sicht, das nie Dagewesene, nicht zuletzt deshalb, weil zu viel schon gewagt,
gezeigt, gedacht wurde.
Die N�rnberger Inszenierung von Stephen Lawless (B�hne: Benoit Dugardyn,
Kost�me: Ingeborg Bernerth) pr�sentiert sich als der Versuch einer Bew�ltigung
dieses rezeptionsgeschichtlichen Balasts mittels seiner Ausbeutung. An
allen Ecken und Enden leuchten Versatzst�cke unterschiedlicher Sichtweisen:
Da sind marxistische Deutungen mit Alberichs Kinderarbeitern, pop-art-verbr�mte
Grotesken mit G�ttern in Hular�ckchen, naturalistische Ans�tze beinahe
im Sinne einer Werktreue mit Frankensteinriesen und wabernd-schwimmenden
doch schrecklich langweiligen Rheint�chtern.
Moderne antikapitalistische Endzeitszenarien werden beschworen, wenn Walhall
zum Abbild des Ground Zero wird, Aussicht auf eine Zukunft: Fehlanzeige.
Es poltern Wagnerversatzst�cke mit Holl�nderschiff (mit dem die G�tter
gestrandet sind?) und Wotans bl�hendem Tannh�userspeer. Kitschige Requisiten,
der Stoffregenbogen Frohs, die leuchtenden �pfel Freias, der Ring, der
aus einem Kaugummiautomaten gezogen scheint, der blinkende Tarnhelm oder
Wotans Ethnospeer generieren zudem ein Theater des Schnickschnacks.
Die Erwartungen der "Schicksalsmomente" (z.B. die erhobene Hand des leblosen
Siegfried) erf�llt Lawless selten. An ihrer Stelle schafft er unbek�mmert
gewichtige Szenen ohne Einf�hrung und Weiterleitung: Noch in den letzten
Minuten der G�tterd�mmerung wird Hagen von seinen eigenen Mannen zur�ckgehalten,
sich Siegfrieds Ring zu bem�chtigen. Solch aussagekr�ftige Abkehr von
der erwarteten Dramaturgie verlangt nach szenischer Erkl�rung. Was hat
Hagen seinen Mannen getan, was f�rchten sie, was sind die Voraussetzungen
solchen Handelns und was die Konsequenzen? Die Antwort h�tte eine G�tterd�mmerung
inszenieren k�nnen.
Gleiches gilt f�r Siegmund und Sieglinde, die sich unbek�mmert ausgerechnet
nach Walhall fl�chten. Wirken solche Szenen wie Verlegenheiten oder Launen
der Regie, hat dieselbe die Kraft ihrer eigenen Dramaturgie vollkommen
untersch�tzt. Regie, die nicht rein illustrativ sein will, ist nur dann
erfolgreich, wenn sie in bewusster Abkehr vom Erwarteten dem Zuschauer
Neues zu zeigen, aber auch zu erkl�ren in der Lage ist.
Lawless' Gesetzlosigkeit und Willf�hrigkeiten werden einzig durch einen
verbindenden roten Faden zusammengehalten. Es ist ein rotes Seil, das
im Sinne unendlicher Verweisung gleicherma�en Symbol und Reales verk�rpert.
Das vervielfachte, kreuz und quer �ber Walhall gespannte Seil steht f�r
Wotans Seilschaften, seine R�nke und Vertr�ge; zieht er an einem, kommen
alle in Bewegung. Loge, der das Verh�ngnis vorausahnt, fesselt mit diesem
Seil Wotan an den bestohlenen Alberich, er macht sie zu Schicksalsgenossen,
die vor der H�hle Fafners den Flachmann miteinander leeren k�nnen. Mit
dem Seil nimmt Hunding Sieglinde und Gunther Br�nhilde an die Leine. Es
g�rtet Siegmund und Siegfried. Den (blinden) Nornen ist es Schicksalsseil
und Orientierungshilfe. Die M�glichkeiten dieses Requisits sind endlos.
Das Seil ist somit auch Dokument des Scheiterns, bindet die konzeptuelle
Schmalbr�stigkeit zusammen, damit sie nicht auseinander bricht.
Erschwerend kommt hinzu, dass die S�nger viel herumstehen oder stundenlang
diffus hinter blau-gr�n-melierten Gazen lavieren. Die G�tterd�mmerung
war das Prachtexemplar dieses unbeholfenen, an schrecklich theatralischen
Operngesten krankenden Stehtheaters. Dabei bewies die Regie in der intimen
und sehr anr�hrenden Schlussszene der Walk�re zwischen Wotan und Br�nhilde
oder in den verzweifelten Gef�hlen Siegfrieds vor seinem Mord an Ziehvater
Mime, dass sie zur Darstellung unpathetischer, mitf�hlend menschlicher
Empfindungen in der Lage gewesen w�re.
Gerhard Siegel zeigte als junger Siegfried, Siegmund und Loge beeindruckend
die Beweglichkeit eines Charaktertenors. Sein Loge benutzte alle Ausdrucksformen
stimmlicher �u�erung: Er singt, spricht, schreit, bellt, qu�kt, winselt
und grunzt zu Gunsten einer plastischen aber stimmzehrenden Darstellung
des z�ngelnden Feuergottes in Gockelgestalt. Dass seine Partie dabei mehr
deklamatorisch geriet war absolut hinnehmbar. Als Siegmund gelang ihm
im ersten Akt der Walk�re durchaus die Wendung zum heldischen Tenor, wenngleich
ohne den sch�nen Schmelz. Nachfolgend und als junger, von der Regie infantil
gewollter Siegfried neben Buchhaltertyp Mime, bediente er sich wieder
verst�rkt seiner deklamatorisch durchdringenden Charakterstimme. John
Treleavens Stimme, cantabler gef�hrt als die Siegels, war nicht tragf�hig
genug um schlie�lich als reifer Siegfried �ber das Orchester zu scheinen.
Ir�ne Theorin bewies als Sieglinde und Br�nhilde (in Siegfried) H�chstform.
Mit einem einzigen Ton ihrer hochdramatischen Wagnerstimme h�tte sie jeden
der G�tter vom Platz fegen k�nnen. Man h�tte sie sich auch in der G�tterd�mmerung
gew�nscht, denn Frances Ginzer brachte kurzatmig nur stets crescendierend
gleissende Spitzent�ne hervor, verblasste in der Mittellage und klang
bei engen Vokalen unangenehm schneidend. Nadine Secunde (Br�nhilde in
Walk�re) �hnelte ihr in der Vokalf�rbung, war jedoch trotz angeschliffener
T�ne die ausdruckst�rkere, charaktervollere S�ngerin, die ihrem inszenierten
G�renimage gerecht und entsprechend bejubelt wurde.
Wotan ist ein schw�chelnder Gott, als Rolle wie in s�ngerischer Umsetzung
durch Ron Peo. Robust noch im Rheingold, allerdings mit deutlichem Defizit
in der stimmlichen Tiefe und im Volumen, schw�chelte er in der Walk�re
bedenklich und �berlebte nur Dank seiner auf Deklamation und Zur�ckhaltung
angelegten Darstellung. Sein Schicksalsgenosse Alberich (Johann Werner
Prein) drohte seinen Kontrahenten nicht selten an stimmlicher Pr�senz
und b�rbei�iger Wucht zu �berfl�geln.
Bleiben die Oscars f�r die Nebenrollen: einer geht an Andrea Baker, vibratoreich,
metallisch war sie eine aufgekratzt verzweifelte Waltraute. Der zweite
geht an Renee Morloc f�r eine schmeichelnde, sinnliche Darstellung einer
durchtriebenen Fricka (Walk�re). Den dritten erh�lt der sehr dunkle Mezzo
von Marina Proudenskaja f�r ihre Erda im Rheingold. So erotisch kann eine
Hochschwangere sein.
Das Stadttheater N�rnberg schenkte sich also zu seiner Abschaffung den
kompletten "Ring des Nibelungen". Doch wie in Wagners Tetralogie, so ist
auch in N�rnberg das Ende ein Anfang und um die nerv�sen Gem�ter zu beruhigen,
diese finale Gro�tat markiert den Sprung zum Staatstheater N�rnberg. Es
w�re eine verst�ndliche Geschichtsverf�lschung, wenn in einigen Jahren
der musikalische Part des Rings 2003 unter Philippe Auguin als Feuertaufe
des Staatstheaters gelten w�rde. Als sich der Vorhang nach der G�tterd�mmerung
auftat, um den Blick auf das versammelte Orchester und den Dirigenten
freizugeben, da ging ein nur ganz selten erlebtes Applaus- und Bravogewitter
nieder, das die Zuh�rer von der zweiten bis zur siebenten Kategorie begeistert
aus den Sitzen springen lie�.
GMD Philippe Auguin hatte vom verst�rend pastellfarbenen Beginn des Rheingoldes,
�ber die bet�rende Liebesmusik des Siegfriedfinales bis zum donnernden
Trauermarsch der G�tterd�mmerung ein vierteiliges Wunder vollbracht. Ein
Ma�stab f�r alle N�rnberger Zeiten. (tv) |
 |