Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

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Verrückt-barocker Blumenstrauß

Man glaubt es Gilles und Corinne Benizio gern, die diese wenig bekannte Barockoper inszenieren, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Hervé Niquet als „aufregendes Wagnis“, als Glücksfall betrachten. Niquet ist nicht nur ein Meister seines Faches, sondern ein fröhlicher, unkonventioneller Musiker, den „künstlerischer Wagemut, Humor, aber auch Gründlichkeit auszeichnen“ und der gern selbst für Leichtigkeit und Unterhaltung in diesem Bühnenwerk sorgt. Er scheut er sich nicht, selbst in die Rolle des Spaßmachers zu schlüpfen, am Schlagzeug die Kastagnetten zu übernehmen oder vom Orchestergraben aus direkt in das Bühnengeschehen einzugreifen – genau der richtige Musikpartner für dieses bunte Werk, das zwischen Märchen, Volkssage und augenzwinkernder Satire des höfischen Lebens changiert. Entstanden eigentlich als musikalisch-freche Variante des populären Pariser Jahrmarkttheaters, entdeckt Boismortier in ihm viel komödiantisches Potential und greift kompositorisch in die Vollen. Seine leichte Musik sprüht barocke Lebenslust.

Niquet sieht in Joseph Bodin de Boismortier „eines der größten Genies des 18. Jahrhunderts“, dessen Opéra-ballet Don Quichotte chez la Duchesse leider nur in Bruchstücken erhalten ist. Sie scheint ihm aber wert, sich mit Gilles und Corinne Benizio daran zu setzen und in einer Überarbeitung so zu ergänzen, dass daraus ein überaus vergnügliches Opernwerk entstehen kann. So wird aus den narrativen Resten und dem Blick in Cervantes´ Original doch noch eine gelungenes Opéra-ballet ähnlich einer komischen Oper.

Die wohlhabenden Menschen des Barocks waren keine Kinder von Traurigkeit, sie genossen ihr meist gut ausgestattetes Leben in vollen Zügen und ohne Scheu. Diejenigen, die das durch ihre Steuern und Abgaben bezahlen mussten, waren eher die wenig geachteten, oft verspotteten, einfachen Leute, die Bauern, Tagelöhner, Viehtreiber und so weiter. Und die ebenfalls selten auf Rosen gebetteten Künstler lebten mehr als einmal nur von der Gunst der Fürsten und Könige. Sie waren im wahrsten Sinne des Worte deren „Günstlinge“. Auch der Franzose Joseph Bodin de Boismortier fängt als solcher an und genießt als Flötist, Cembalist, Komponist und Hofmusikant bei der Herzogin von Maine et Sceaux die Freuden des französischen Hoflebens. Dafür liefert er den Herren und Damen bei Hofe ein wenig Zeitvertreib, Amüsement und Stoff dafür, über die anderen zu spotten und zu lachen. In Paris angelangt, genießt er bald den Ruf eines galanten Komponisten, der durch Instrumentalmusik, Kantaten, Opernballette und Gesangsstücke auf sich aufmerksam macht. Der Verzicht auf strenge, gebundene Kompositionen und der Schritt in freiere Musikformen mit gefühlvollen, wohlklingenden Melodiebögen gefallen dem barocken Publikum bei Hofe, Boismortier wird populär und schafft es zu einem wohlhabenden Mann.

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Kamera
Ton
Chat-Faktor

Seine im „ritterlichen Stil“ angelegte Oper nimmt das Leben des „Ritters von der traurigen Gestalt“ auf, der unter vielen Fährnissen zwischen seiner Liebe zu Altisidora und der Herzogin Dulcinea von Toboso hin und her gerissen wird. Sein Diener und Knappe Sancho Pansa und der Kammerdiener respektive Zauberer Merlin greifen ebenfalls in das Geschehen ein, das Bühnen-Tohuwabohu ist vorprogrammiert. Wenn am Schluss Altisidora als Königin von Japan gekrönt wird und sich Don Quichotte zum König nimmt, schließlich noch  Sancho Pansa König von Kongolesien wird,  wundert das niemanden mehr – wir sind in der Oper!

Das Libretto erlaubt, nein, verlangt es, dass die Darsteller ihre Rollen reichlich überspielen, was ihnen allen offenkundig Freude bereitet, sie halten sich nicht zurück. Stimmlich ist die Aufführung bestens besetzt. François-Nicolas Geslot gibt dem Don Quichotte mit tenoraler Stimmlage eine skurrile Ausstrahlung. Als Altisidora und Herzogin brilliert Chantal Santon Jeffery mit technisch versiertem Sopran ausdrucksstark sowohl in den emotionalen wie den komischen Partien. Virgile Ancely gibt einen jenseitig beleuchteten sonoren Zauberer. Der blumenhaft auftretende Chor gefällt vor allem mit seinen Tanzszenen.

Die 1743 in Paris uraufgeführte Ballett-Oper Don Quichotte chez la Duchesse ist eine verrückt-spektakulär eingerichtete Parodie auf das Leben bei Hofe um den einfältigen Ritter Don Quichotte und seinen noch einfältigeren Diener Sancho Pansa. Dem 1988 von Hervé Niquet gegründeten Ensemble Le Concert Spirituel  ist mit dieser Neubearbeitung ein Treffer gelungen, der dem Liebhaber einer wirklich „komischen“ Oper außerordentlich vergnügte Stunden bereiten kann. Wer der „allgemein herrschenden Verdrossenheit“ zumindest zeitweilig entkommen will, kann sich mit dieser etwa zweieinhalb Stunden dauernden Aufzeichnung aus Metz und Paris in eine lebensfroh-verrückte Welt zurück ziehen – beste Unterhaltung garantiert.

Horst Dichanz